Gorilladame KOKO starb, knapp 47jährig, letzte Woche in Kalifornien. Sie war aufgrund ihrer außergewöhnlichen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten – sie galt als "erster und einziger sprechender Gorilla" – zu Weltruhm gelangt.
KOKO war am 4. Juli 1971 im Zoo von San Francisco zur Welt gekommen. Eigentlich hieß sie HANABIKO, was auf japanisch soviel bedeutet wie "Feuerwerkskind", da ihr Geburtstag, der 4. Juli, in den USA mit Getöse und Feuerwerk als "Unabhängigkeitstag" gefeiert wird. Bekannt aber wurde sie als KOKO.
Vom Zoo San Francisco wurde KOKO als Kleinkind an die Stanford-Psychologin Francine Patterson ausgeliehen, die sie in einer vereinfachten Version der amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language/ASL) unterrichtete. Als der Zoo KOKO zurückforderte, kaufte sie ihm das mittlerweile dreijährige Gorillamädchen für 12.000 US-Dollar ab. In einem eigens dafür eingerichteten Gartenhaus im kalifornischen Woodside, nahe Palo Alto, wuchs KOKO in den Folgejahren zu einem über 130 Kilo schweren Flachlandgorilla heran.
Patterson setzte ihren Unterricht in Gebärdensprache systematisch fort, so dass KOKO letztlich mehr als 1000 ASL-Zeichen kannte und nutzte, die sie zu von ihr selbst neugeschaffenen Begriffen wie auch zu ganzen Sätzen mit bis zu sechs hintereinander gestellten Begriffen zu kombinieren wusste; einige Zeichen erfand sie sogar selbst dazu. Darüber hinaus verstand sie mehr als 2000 Wörter gesprochenes Englisch – auf lautsprachlich gestellte Fragen antwortete sie in Gebärdensprache –, sie kannte das Alphabet und konnte gar einige gedruckte Worte lesen, mithin ihren eigenen Namen. Beim mehrfach mit ihr durchgeführten Stanford-Binet-Intelligenztest erzielte sie zwischen 85 und 95 Punkten (der Durchschnitts-IQ von US-Amerikanern liegt bei diesem Testverfahren bei 108+/-15 Punkten, Ex-Präsident George W. Bush soll bei 91 gelegen haben).
Mit ihrem langjährigen Lebensgefährten MICHAEL, der ebenfalls in ASL unterrichtet wurde (allerdings "nur" etwa 400 Begriffe beherrschte), verständigte sich KOKO in Ergänzung ihrer natürlichen kommunikativen Gesten und Laute regelmäßig auch über Gebärden. (MICHAEL stammte aus dem zentralafrikanischen Kamerun: er war Anfang der 1970er als Kleinkind aus der Hand von Wilderern befreit worden, die seine Eltern erschossen hatten. Über Vermittlung der Stanford-University war er zu Patterson und KOKO gekommen.) Gebärdensprache war, wie Patterson berichtet, so sehr zum integralen Bestandteil des Lebensalltags der beiden Gorillas geworden, dass sie sie besser beherrschten, als einige ihrer menschlichen Betreuer. Beide machten die Zeichen langsam und wiederholten sie geduldig, wenn sie sich mit einem Menschen verständigten, der die Gebärden nicht so gut beherrschte wie sie selbst. (Auch mit ihrem späteren Lebensgefährten NDUME, der ihr nach dem Tod MICHAELS im April 2000 zugesellt wurde, verständigt KOKO sich unter Gebrauch der Gebärdensprache.)
KOKOs Selbstbewusstsein, so Patterson, sei besonders dann deutlich zum Ausdruck gekommen, wenn sie vor dem Spiegel auf sich selbst gerichtete Handlungen vollzog, indem sie beispielsweise Grimassen schnitt oder ihre Zähne untersuchte. (Weltberühmt wurde ein Foto, das sie von ihrem eigenen Spiegelbild machte: es erschien im Oktober 1978 auf dem Titel von National Geographic.) Ihr Erinnerungsvermögen zeigte sich darin, wie Patterson schrieb, dass sie über vergangene Ereignisse in ihrem Leben sprechen konnte. Sie verstand und verwendete Worte, die sich auf die Zeit beziehen, wie "vorher", "nachher", "später" und "gestern". Sie lachte über ihre eigenen Scherze und die anderer. Sie weinte, wenn sie verletzt oder allein gelassen wurde, und schrie, wenn sie sich fürchtete oder ärgerte. Sie sprach über ihre Gefühle und verwendete dabei Worte wie "glücklich", "traurig", "furchtsam", "freuen", "begierig", "enttäuschen", "böse" und sehr oft "Liebe". Sie trauerte um diejenigen, die sie verloren hatte, und sie konnte darüber sprechen, was geschieht, wenn jemand stirbt, aber sie wurde nervös und es war ihr unangenehm, wenn man sie aufforderte, über ihren eigenen Tod oder den Tod ihrer Freunde zu sprechen. Sie konnte außerordentlich zärtlich mit jungen Katzen oder anderen kleinen Tieren umgehen. Und sie hat sogar Mitgefühl für andere gezeigt, die sie nur auf Bildern gesehen hatte. "Hat dieses Individuum Anspruch auf moralische Grundrechte?", fragte Patterson, und gab selbst die Antwort: "Man kann sich kaum ein überzeugendes Argument vorstellen, mit dem ihm diese Rechte verweigert werden können." (1)
KOKO guter Vogel
Besonders hob Francine Patterson den Humor Kokos hervor. Humor verlangt die kognitiv hochstehende Fähigkeit, von dem, was in strengem Sinne richtig, normal oder zu erwarten ist, abzuweichen. Barbara, eine Assistentin Pattersons, zeigte dem seinerzeit 10jährigen Gorillamädchen das Bild eines Vogels, der seine Jungen füttert.
KOKO: "Das ich" (und zeigt auf den erwachsenen Vogel).
Barbara: "Bist du das wirklich?"
KOKO: "Koko guter Vogel."
Barbara: "Ich dachte, du bist ein Gorilla."
KOKO: "Koko Vogel."
Barbara: "Kannst du fliegen?"
KOKO: "Gut" ("Gut" kann auch "ja" bedeuten.)
Barbara: "Zeige es mir."
KOKO: "Nachmachen Vogel, Clown." (KOKO lacht.)
Barbara: "Du neckst mich." (KOKO lacht.)
Barbara: "Was bist du wirklich?"
KOKO (lacht wieder und macht nach einer Weile die Zeichen): "Gorilla KOKO". (2)
Great Ape Project
Die Gespräche mit KOKO, wie auch mit Schimpansin WASHOE (*1965), Orang Utan CHANTEK (*1977) und einer Reihe weiterer Menschenaffen, die ASL oder sonstig menschliche Kommunikationsformen erlernten, spielten eine wesentliche Rolle in der Begründung des Great Ape Project (auch wenn aus heutiger Sicht und trotz aller Erkenntnis, die aus diesen Gesprächen gewonnen wurde, die Haltung von Menschenaffen in derlei Forschungssettings als gänzlich inakzeptabel erscheinen muss). Patterson schrieb in dem von Peter Singer und Paola Cavalieri herausgegebenen Grundlagenband des Great Ape Project von 1994:
"Viele von denjenigen, die die traditionelle Barriere zwischen dem Homo sapiens und allen anderen Spezies verteidigen wollen, halten daran fest, dass der wesentliche Unterschied zwischen den Menschen und anderen Tieren darin liegt, dass der Mensch als einziger eine Sprache besitzt. Nachdem durch die Großen Menschenaffen dieser letzte Anspruch auf die Einzigartigkeit des Menschen in Frage gestellt wurde, zeigt es sich deutlicher als je zuvor, dass es im Hinblick auf die Definition der Sprache keine klare Übereinstimmung mehr gibt. Viele Menschen, und zu ihnen gehören alle Säuglinge, schwer geistig Behinderte und einige normal intelligente Taubstumme, die keine angemessene Erziehung genossen haben, erfüllen nicht das Kriterium des ‚Sprachbesitzes’, ganz gleich wie es definiert wird. Die Fähigkeit, eine Sprache zu benutzen, ist also wahrscheinlich gar kein gültiger Test dafür, ob einem Individuum Rechte zugestanden werden. Wenn aber ein Lebewesen über zumindest grundlegende Sprachfertigkeiten verfügt, dann ist dies ein weiterer Hinweis für die Existenz eines Bewusstseins, das berücksichtigt werden muß." (3)
Selbstredend wurden und werden die kognitiven Fähigkeiten Großer Menschenaffen seit je auch Labortests unterzogen. So paradox es klingt: auch und gerade aus tierrechtlicher Sicht kann solchen Tests durchaus Wert zugemessen werden. Während die Heranziehung von Tieren für irgendwelche Versuchsreihen grundsätzlich abzulehnen ist – es gilt dies auch für Training zum Erwerb von Gesten und Handzeichen aus der Gehörlosensprache oder von Fähigkeiten, über Computersymbole zu kommunizieren (4) –, können nicht-invasive Experimente zur Kognitionsforschung helfen, dem krankmachenden "Langeweilesyndrom" entgegenzuwirken, dem gefangengehaltene Tiere üblicherweise unterliegen. Tiere in Gefangenschaft müssen kognitiv beschäftigt und herausgefordert werden, Experimente, wie sie etwa am Leipziger Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie mit den im örtlichen Zoo vorgehaltenen Menschenaffen durchgeführt werden, können insofern durchaus im Interesse der Tiere liegen. Der Umstand, dass sie "freiwillig" und "gerne" an den jeweiligen Experimenten teilnehmen, kann allerdings nicht als Rechtfertigung für ihre Gefangenhaltung gelten; umso weniger, dass irgendwelcher Erkenntnisgewinn daraus gezogen werden kann.
Um es nocheinmal zu verdeutlichen: all die Erkenntnisse, die aus Kognitionsexperimenten mit Großen Menschenaffen (und anderen Wildtieren) gewonnen wurden und werden, müssten konsequenterweise dazu führen, ihre Gefangenhaltung für derlei Experimente sofort einzustellen. Gleichwohl ist das Gros kognitionsforschender Primatologen nicht bereit, diese moralische Konsequenz zu ziehen. Der Primatologe Frans de Waal beispielsweise betont, seine nicht-invasiven Experimente könnten jederzeit auch mit Menschen durchgeführt werden, weshalb sie, anders als invasive Experimente, bei denen die Tiere Schaden nähmen, ethisch vertretbar seien. Welcher höheren Logik er dabei folgt, erschließt sich freilich nicht, wie der Verhaltensbiologe Karsten Brensing aufzeigt:
"Wie kann man immer wieder betonen und wissenschaftlich beweisen, dass uns die Menschenaffen so nah sind und ihnen andererseits das wichtigste Recht, das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung vorenthalten? Tatsächlich führt de Waal seit Jahren Experimente mit Affen durch, die er mit Menschen so nicht durchführt oder durchführen würde, denn kein Mensch würde sich freiwillig sein Leben lang in Gefangenschaft begeben. Die Tatsache, dass uns heute genügend wissenschaftliche Argumente zur Verfügung stehen, um einen Persönlichkeitsstatus von verschiedenen Tierarten gut zu begründen, gibt uns die Möglichkeit, auf der Grundlage dieser Erkenntnisse Entscheidungen zu fällen. Wenn diese Entscheidungen dazu führen, dass wir vergangenes Verhalten aus ethischen Gründen nicht mehr gutheißen können, dann haben wir die Verpflichtung, dieses heute zu ändern." (5)
Gerade im Gedenken an Gorilladame KOKO, die nie wirklich ein Leben als Gorilla hatte.
(1) Patterson, Francine/Gordon, Wendy: Zur Verteidigung des Personenstatus von Gorillas. in: Cavalieri, Paola/Singer, Peter: Menschenrechte für die Großen Menschenaffen: Das Great Ape Project. Hamburg, 1994, S.95 f.
(2) ebd. S.107 f.
(3) ebd. S.97 f.
(4) vgl. Linden, Eugene: Silent Partners: The Legacy of the Ape Language Experiments. New York, 1987
(5) Brensing, Karsten: Persönlichkeitsrechte für Tiere: Die nächste Stufe der Evolution. Freiburg, 2013, S.206 f.
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
COLIN Schreiber gut.
Paul am Permanenter Link
Ich finde es schade von solch großartigen Projekten erst sehr spät erfahren zu haben. Vor allem in unserem öffentlich, rechtlichen Fernsehen werden diese wohl totgeschwiegen.
David Z am Permanenter Link
Spannendes Thema. Ich kann nicht einschätzen, wie seriös bzw neutral diese Forschungen tatsächlich waren/sind, aber wenn auch nur die Hälfte stimmt, macht das schon sehr nachdenklich.
Konni Scheller am Permanenter Link
Leider wurden die Ergebnisse niemals von unabhängigen Forschern untersucht - die Betreuerin hat das nicht zugelassen. Insofern erinnert das ein wenig an Loriots sprechenden Hund.
Dass Colin Goldner daraus gleich wieder Benefit für das Great Ape Project ziehen will, war ja klar.
Karin Reinhardt am Permanenter Link
COLIN Schreiber "sehr gut"!
Kay Krause am Permanenter Link
Ich akzeptiere grundsätzlich alle Lebewesen als gleichberechtigtund halte den Menschen keinesfalls für höherstehend. Insofern auch für mich ein wunderbarer Bericht!
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Alle Primaten in Zoos sollten entsprechend ausgebildet werden. Dann könnten sie den Besuchern berichten, wie es sich hinter Gittern anfühlt und was sie so denken.