Interview

"Kinder lernen im Zoo, immun zu werden gegen das Leid der Tiere"

Der Autor und Psychologe Colin Goldner ist in säkularen Kreisen vor allem durch seine religions- und esoterikkritischen Arbeiten bekannt. Nun hat er sein erstes Kinderbuch verfasst – eine Zookritik: "Lotte Siebengescheit geht in den Zoo – und findet’s gar nicht toll". Sabine Hufnagl hat sich mit dem Autor über sein neues Werk unterhalten. 

hpd: Colin, Du bist den Leserinnen und Lesern des hpd eher durch deine religions- und esoterikkritischen Arbeiten bekannt. Nun hast du unlängst ein Kinderbuch veröffentlicht, das sich mit einem ganz anderen Thema und vor allem einer ganz anderen Zielgruppe befasst. Was hat dich dazu veranlasst, dich in das ausgesprochen schwierige Metier "Kinderbuch" zu begeben?

Colin Goldner: Ich befasse mich seit Jahren nur noch am Rande mit den genannten Themen, der Schwerpunkt meiner Arbeit hat sich komplett in Richtung Tierschutz und Tierrechte verschoben. Das hat zwar immer noch mit Religion zu tun, die bekanntlich die Blaupause abgibt für unseren Umgang mit Tieren – Stichwort: "Krone der Schöpfung" –, aber meine Herangehensweise ist eine ganz andere geworden. Ich halte es da mit dem großen Tierfreund Karlheinz Deschner, der mir kurz vor seinem Tod in einem persönlichen Gespräch sagte, wenn er nochmal auf die Welt kommen könnte, würde er seine gesamte Kraft einer noch weit hoffnungsloseren Thematik widmen als der Bekämpfung des Pfaffentums: nämlich der Befreiung der Tiere. In dem Kinderbuch geht es um das Thema "Zoo", um jene Einrichtung also, die als fixer Bestandteil deutscher Kleinkindpädagogik das Verhältnis Mensch-Tier entscheidend mitprägt: bis zum Eintritt in die Kita, in der Ausflüge in den Zoo zur regelmäßigen Übung werden, war der Spross schon dutzende Male dort, mit Mutti, Omi, Patentante oder sonstwem, der oder die mit seiner Erziehung befasst ist.

Und was lernt der Nachwuchs da?

Zoos fungieren als primäre Konditionierungseinrichtungen. Sie dienen als Anschauungs- und Lernorte einer als unverzichtbar definierten Grenzziehung zwischen Tier und Mensch – "wir" diesseits der Gitter und Panzerglasscheiben, "die anderen" jenseits –, die es dem Menschen erlaubt, alles, was nicht unter die eigene Spezies zu subsumieren ist, nach Gutdünken zu vereinnahmen, zu nutzen und auszubeuten, ganz nach der biblischen Vorgabe: "Machet sie euch unterthan und herrschet …". Kinder lernen im Zoo, dass es normal und richtig ist, Tiere hinter Isolierglasscheiben, Eisengittern und stromführenden Zäunen einzusperren, sprich: sie zu eigenem Interesse und Vergnügen zu nutzen. Sie lernen, immun zu werden gegen das Leid der Tiere, die, eingesperrt auf Lebenszeit und jeder Regung ihres Wesens beraubt, zu bejammernswerten Karikaturen ihrer selbst verkommen.

Beispielbild
Gepard hinter Gittern – Szene aus "Lotte Siebengescheit".

Dein Buch will dem etwas entgegensetzen?

Ja, insbesondere auch der Unzahl an zooaffirmativen Bilder-, Vorlese-, Spiel-, Bastel- und Malbüchern, die der Buchhandel bereithält, von all den Wimmelbildbüchern gar nicht zu sprechen. Andersherum gibt es bislang kein einziges Buch für Kinder oder Jugendliche, das sich kritisch mit der Gefangenhaltung und Zurschaustellung von Wildtieren in Zoos befasst. Das Buch richtet sich insofern auch an besagte Muttis, Omis und Patentanten, desgleichen an Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen, die mit ihren Gruppen und Klassen regelmäßig in den Zoo gehen.

Erzählt das Buch denn auch eine eigene Geschichte?

Selbstredend, sonst wär’s ja langweilig: Die Oma kommt zu Besuch und lädt ihre 7jährige Enkelin Lotte zum Zoobesuch ein:

Die Lotte findet’s gar nicht toll,
dass sie den Zoo besuchen soll.
Sie war schon mal mit Papa dort,
an diesem Tierequälerort.

Um des lieben Friedens willen und weil sie ihre Oma nicht enttäuschen will, geht Lotte trotzdem mit:

"Vielleicht, dass Oma ja erfährt,
wenn man ihr’s mit Geduld erklärt,
was kluge Kinder längst schon wissen:
Zootierleben ist besch…euert."

Schritt für Schritt und ein wenig vorlaut zeigt Lotte ihrer Oma, was es mit der Einrichtung "Zoo" wirklich auf sich hat:

Beispielbild
Affe in Betonkulisse – Szene aus "Lotte Siebengescheit".

Weiter geht’s zu den Mandrillen,
"das sind die mit den schwarzen Rillen"
sagt Lotte, "die man im Gesicht
bei ihnen sieht. Wer kennt sie nicht,
die samt purpurrotem Po
und blauer Nase, farbenfroh
wie kein and’res Säugetier
streifen durch ihr Waldrevier."

Doch die Armen hier im Zoo
mit leerem Blick ins Nirgendwo
in düsteren Betonkulissen
sie Tag für Tag verbringen müssen.

Die Oma versteht letztlich, weshalb Lotte Zoobesuche gar nicht toll findet:

"Da kann mir keiner was erzählen",
sagt Oma, "das ist Tierequälen,
und etwas, das – Aus, Ende, Schluß –
sofort verboten werden muß."

Das Buch ist durchgehend in Reimform gehalten. Ist das nicht ein wenig altbacken?

Mag sein, bei Kindern jeder Altersstufe aber bleiben Reime sehr viel eher hängen als Prosatexte. Was mithin den großen Erfolg der Janosch-Bücher ausmacht.

Deine Art des Reimens erinnert stark an Wilhelm Busch. Zufall oder Absicht?

Der ungeheuere Sprachwitz in Buschens Bilderpossen – von der "Frommen Helene" bis "Hans Huckebein" oder auch "Fipps dem Affen" – hat mich immer schon fasziniert: ein dickleibiger Sammelband, in dem ich oft und gerne las, stand im Bücherregal meiner Eltern. Ich konnte – und kann bis heute – ganze Passagen daraus auswendig. Wenn ich es also jetzt gewagt habe, in Buschscher Manier zu schreiben, so ist das als bescheidene Hommage an den Großmeister aus Wiedensahl zu verstehen. Ganz abgesehen natürlich von Buschs ausgewiesenem Antiklerikalismus und seiner mir sehr sympathischen Nähe zu Arthur Schopenhauer. Zudem war Busch großer Tierfreund und lebte als solcher selbstredend vegetarisch, vielleicht gar vegan, was zu dem Bild passen würde, das ich von ihm habe. Auch Lotte ist natürlich Veganerin.

Apropos antiklerikal: die Lotte zieht da ja gehörig vom Leder.

Ja, in einer Szene stehen Oma und sie vor einer Vogelvoliere:

"Der liebe Gott", sagt Lotte keck,
"wenn’s ihn denn gibt, schert sich ’nen Dreck
um all die Tiere hier im Zoo,
im Zirkus und auch anderswo.
Die sind ihm alle piepegal,
die Vögel hier auf jeden Fall."

Das Buch wurde illustriert von einem renommierten Künstlerpaar, wie bist du auf die beiden gestoßen?

Krystyna und Manuel Valverde, beide engagierte Tierrechtler, haben das Buch mit Riesenaufwand und großer Liebe zum Detail gestaltet. Für die einzelnen Szenen – Affengehege, Elefantenhaus, Raubtierkäfig usw. – hat Krystyna zahlreiche kleine Figuren geformt, die, gleichwohl aus Kinderknetmasse gefertigt, hohem künstlerischem Anspruch gerecht werden: Krystyna ist Absolventin der Hochschule für Gestaltung in Offenbach a. M., unlängst erst war sie im Künstlerhaus Dortmund  mit ihrer "Pietà der Tiere" zu sehen, einer an Michelangelo angelehnten Großskulptur zum Thema "Umgang des Menschen mit dem Tier". Manuel, der die großartigen Szenenbilder für das Lotte-Buch geschaffen hat, ist klassischer Kunstmaler. Meine Begegnung mit den beiden beruhte auf einem glücklichen Zufall.

Colin Goldner / Krystyna & Manuel Valverde: Lotte Siebengescheit geht in den Zoo und findet’s gar nicht toll. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2018. 52 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-86569-297-9.