Kommentar zum Missbrauch in der katholischen Kirche

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Gestern wurde von der Deutschen Bischofskonferenz eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Die Untersuchung zeigt gravierende strukturelle Probleme der katholischen Kirche auf, die den Missbrauch in diesem Umfang erst ermöglichten. Ein Kommentar von hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.

Religiöse Menschen unterstellen Nicht-Religiösen gelegentlich, dass sie sich angesichts der Skandale rund um Religionsgemeinschaften ins Fäustchen lachen würden. Was den weltweiten Missbrauchsskandal der katholischen Kirchen betrifft, gestehe ich gern, dass sich meine Hand zur Faust ballt. Doch von Lachen kann nicht ansatzweise die Rede sein. Mit jeder weiteren Enthüllung hinsichtlich der Dimensionen dieses Skandals wächst bei mir einfach nur das blanke Entsetzen.

So nahm ich auch gestern fassungslos die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung der Missbrauchsfälle in der deutschen katholischen Kirche zur Kenntnis. Machtstrukturen und Abwehrmechanismen seien unter anderem Gründe, warum der Missbrauch in der katholischen Kirche blühen konnte – und es wahrscheinlich noch immer tut. Denn der Missbrauch und seine breit angelegte Vertuschung seien keinesfalls als abgeschlossenes Phänomen zu betrachten, obwohl die Kirche seit langem davon wisse und an der Behebung des Problems offiziell arbeite, so die Wissenschaftler. Auch katholische Spezialitäten wie Zölibat und Beichte seien Faktoren, die das Missbrauchsgeflecht begünstigten. Salopp gesagt: Durch den Zölibat staut sich sexuelle Energie auf, durch den Missbrauch entlädt sie sich und durch fünf Ave Maria und zwei Vater Unser wäscht man sich danach wieder rein.

Die untersuchten Fälle zeigten, dass sich 4,4 % der Geistlichen insgesamt, unter Gemeindepriestern sogar 5,1 %, in den Jahren 1946 bis 2014 des Missbrauchs schuldig gemacht haben. Wobei die Wissenschaftler betonen, dass die Dunkelziffer wesentlich höher liegt. Auch habe man – aus Datenschutzgründen – nicht auf Originalakten zugreifen können und in den unterschiedlichen Bistümern sei man bei der Bereitstellung von Informationen auf unterschiedlich starkes Entgegenkommen gestoßen.

Doch selbst wenn wir bei den 4,4 % bleiben, bedeutet dies, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten jeder zwanzigste katholische Geistliche des Missbrauchs schuldig gemacht hat. Rein statistisch ist es daher wahrscheinlich, dass ich, die ich katholisch aufgewachsen bin, einem solchen Menschen bereits persönlich begegnet bin. Eine gruselige Vorstellung.

Natürlich beteuern auch die Kirchenvertreter regelmäßig ihr Entsetzen über die Geschehnisse. Und sicher gibt es auch Kirchenvertreter, die dies ernst meinen. Doch angesichts des Ausmaßes von Missbrauch und Vertuschung ist die erste Frage, die sich mir bei jeder Entsetzens-Beteuerung durch einen Kirchenvertreter stellt: Gehört er zu den Missbrauchern und Vertuschern oder ist sein Entsetzen wirklich aufrichtig?

Als gestern die Ergebnisse der Missbrauchsuntersuchung öffentlich vorgestellt wurden, bekundeten natürlich auch Kardinal Marx und Bischof Ackermann ihre Erschütterung, gelobten Besserung und baten reumütig um Hilfe durch Dritte bei der weiteren Aufarbeitung und bei Präventionsmaßnahmen. Doch wer genau hinhörte, konnte bereits erahnen, dass die von den Wissenschaftlern gerügten Abwehrmechnismen noch immer stark sind.

Kardinal Marx lavierte herum, dass man die Akten nicht einfach herausgeben könne. Man müsse schließlich auch an den Datenschutz denken. Und an die Familien der Täter, die Nichten und Neffen, die plötzlich erführen, dass ihr geistlicher Onkel Menschen sexuell missbraucht. Und Bischof Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, ließ wissen, dass er sich einfach nicht daran gewöhnen könne und wolle, dass so etwas zum kirchlichen Leben dazu gehöre. Bedauerlich, denn Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.

Wo wir gerade bei Redewendungen sind: Einem alten Sprichwort zufolge stinkt der Fisch vom Kopf her. (Üblicherweise dann, wenn er sich im Verwesungsprozess befindet.) Dass dies in Sachen Missbrauchsskandal auch in der katholischen Kirche gilt, führten hochrangige Geistliche in den vergangenen Wochen immer wieder vor

Auch der Papst bekleckerte sich keineswegs mit Ruhm. Natürlich ist auch von ihm regelmäßig das Erschütterungs-Mantra in Bezug auf die Missbrauchsfälle zu hören, doch die Erkenntnis, dass diese Missbrauchsfälle zutiefst mit der Struktur der katholischen Kirche verwoben sind, hat in sein Denken noch nicht Einzug gehalten. Erst vor Kurzem erklärte Franziskus in kleinem Kreis das aktuelle Aufflammen des Missbrauchsskandals theologisch: Der "große Ankläger", sprich der Teufel, sei für das Aufdecken der Taten verantwortlich zu machen.

Und gestern, nach Veröffentlichung der deutschen Missbrauchsuntersuchung, ließ der Papst auf einer Flugreise verlauten, dass er es unfair fände, heutige moralische Maßstäbe an frühere Vertuschungen von sexuellen Übergriffen durch Priester anzulegen, da eine Vertuschung von solchen Missbrauchsfällen früher auch im nicht-kirchlichen Bereich üblich gewesen sei.

Was will man dazu noch sagen? Allenfalls ein Zitat aus Dantes Göttlicher Komödie wäre angesichts dieser wahrlich traurigen Farce wahrscheinlich angemessen, um eine Prognose für Änderungen in punkto Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche zu geben: "Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren" – bei Dante übrigens der Spruch über dem Tor zur Hölle.