Ungarn

Orbán verbietet Gender Studies – Lehrstühle fliegen aus den Universitäten

Die christlich-rechtsnationale Regierung Ungarns hat die Geschlechterforschung aus den Universitäten verbannt – weil es nicht genügend Nachfrage gebe, so die offizielle Begründung. Ministerpräsident Orbán hatte diesen Schritt bereits im August angekündigt. Es dürfte ein Novum in der Europäischen Union sein, dass sich ein Regierungspräsident höchstpersönlich derart für Kursteilnehmerlisten interessiert, gehört doch das Mikromanagement der Akademien eher nicht zum üblichen Aufgabenbereich der Exekutivspitze.

Zugegeben: Mit etwa 40 Studierenden waren die Gender Studies nicht der populärste aller Studiengänge. Aber gerade dadurch, dass es sich um ein wenig belegtes Nischenstudium handelte, könnte man den Eindruck gewinnen, ideologische Gründe hätten bei der Abschaffung eine Rolle gespielt. Schließlich wurde beispielsweise das Blockflötenstudium, in Ungarn noch nicht einmal halb so oft belegt, nie zum politischen Streitobjekt. Dass einem Regierungssprecher gegenüber CNN herausrutschte, es sei "der Standpunkt der Regierung […], dass Menschen entweder männlich oder weiblich geboren werden und es nicht akzeptabel [sei], über sozial-konstruierte Geschlechter […] zu sprechen", erhärtet den Verdacht.

Doch den Legitimationskampf führen die Gender Studies nicht nur in Ungarn – und nicht nur gegen die politische Konservative. Während geisteswissenschaftliche Wissenschaftszweige die vermeintlich ideologische Ausrichtung anmahnen, welche a priori feststehende Konklusionen und Normen rückwirkend mit akademischem Stützwerk unterfüttern soll, verschmähen naturwissenschaftliche Fakultäten, etwa die Biologie, ihre Nachbardisziplin zusätzlich als zu wenig empirisch. Dann wiederum: So manchen könnten die Gender Studies gar nicht feministisch genug sein; anstatt sich in akademischen Details zu verirren, verlöre man das große Ganze aus den Augen. Selbst innerhalb der Geschlechterforschung weht dialektische Selbstkritik durch die Gänge: Professor Stefan Hirschauer (Universität Mainz) attestierte dem Fach Politisierung in beide Richtungen und warnte davor, sich als "Vehikel der Frauenförderung" anzudienen. Ein Spannungsfeld, das seinesgleichen sucht.

Aber gegen den Rundum-Beschuss weiß man sich zu verteidigen – mit Sachlichkeit. Gegen "maskulinistische Verschwörungstheorien von der feministischen Weltherrschaft" immunisiert man sich am besten, indem man sich nicht vom Sog auf die politische, moralisierende Ebene mitreißen lässt. "Eine solche Forschung hat mit Feminismus nichts zu tun. Gender-Forscherinnen können feministisch sein oder auch nicht, genauso wie Physikerinnen oder Sinologinnen feministisch sein können oder nicht", schreibt beispielsweise Antje Schrupp, die sich als Politikwissenschaftlerin mit feministischer Ideengeschichte beschäftigt. "WissenschaftlerInnen, die von Universitäten bezahlt werden, können ganz zu Recht keine vorab festgelegte politische Agenda verfolgen", betont sie.

Die ungarische Regierung hat mir ihrer Entscheidung womöglich gegen EU-Recht verstoßen, da hiernach die Freiheit der Wissenschaft gilt und die notwendige Kompetenz den Universitäten – nicht den Regierungen – anvertraut wird.