Podiumsdiskussion zum Abschluss der "Säkularen Woche der Menschenrechte"

"Nur ein säkularer, weltanschaulich neutraler Staat kann die Menschenrechte garantieren"

Das Finale der "Säkularen Woche der Menschenrechte" in Berlin fand am Sonntagvormittag statt, in Form einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Wie sieht der säkulare Staat der Zukunft aus?". Michael Schmidt-Salomon, Ingrid Matthäus-Maier, Thomas Heinrichs und Bettina Jarasch sprachen, moderiert von Helmut Fink, über Religions- und Weltanschauungsunterricht, religiöse Diskriminierung und die Vereinbarkeit mit der Verfassung.

"Es wird nicht in erster Linie um religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse gehen, sondern es wird um Fragen der Weltanschauungs- und Religionspolitik gehen", stellte Helmut Fink, Vorsitzender des KORSO (Koordinierungsrat säkularer Organisationen) gleich zu Beginn klar. Er verlas zunächst die Resolution, die tags zuvor auf der KORSO-Klausurtagung verabschiedet worden war und gab anschließend das Wort an die Podiumsgäste, die jeweils ein ausführliches Eingangsstatement abgaben.

Michael Schmidt-Salomon, Foto: © Evelin Frerk
Michael Schmidt-Salomon, Foto: © Evelin Frerk

Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), erklärte zuerst, warum aus seiner Sicht die Frage des säkularen Staates auch im Zusammenhang mit Menschenrechten gestellt werden müsse: "Nur ein säkularer, weltanschaulich neutraler Staat kann die Menschenrechte in vollem Umfang garantieren, da er eben keine Religion oder Weltanschauung privilegiert oder diskriminiert." So verlange es auch der Verfassungstext, die Wirklichkeit sehe aber deutlich anders aus. Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur, weg von einer homogen christlichen, hin zu einer zunehmend konfessionsfreien Gesellschaft, sei in Politik und Rechtssystem noch nicht wirklich angekommen. Die Bürger seien in ihrem Leben und darüber hinaus religiösen Normen unterworfen. "Das widerspricht schon dem Artikel eins unserer Verfassung, nämlich dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Denn die Würde des Einzelnen ist dadurch bestimmt, dass der Einzelne über seine Würde bestimmt, nicht der Staat und nicht irgendeine Religionsgemeinschaft", führte Schmidt-Salomon aus. Dafür nannte er Beispiele aus den Diskussionen um Schwangerschaftsabbrüche und Sterbehilfe. Er kritisierte außerdem, dass sich Politiker bei solchen Entscheidungen auf ihr Gewissen beriefen, womit aber nicht das religiöse Privatgewissen, sondern das professionelle, auf der Basis der Verfassung und als Vertreter des gesamten Volkes, gemeint sei.

Ingrid Matthäus-Maier, Foto: © Evelin Frerk
Ingrid Matthäus-Maier, Foto: © Evelin Frerk

Als zweites legte Ingrid Matthäus-Maier, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Beirätin des Instituts für Weltanschauungsrecht, ihre Position dar: "Wenn ich mir einen säkularen Staat der Zukunft vorstelle, dann möchte ich, dass ich als Konfessionsfreie nicht mehr die Gehälter der Bischöfe in meinem Bundesland bezahle. Als Konfessionsfreie möchte ich mich auch in einem kirchlichen Krankenhaus bewerben können. (…) Ich möchte, dass ich (bei einem kirchlichen Arbeitgeber, Anm. d. Red.) nicht (…) die Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz verliere (…). Ich möchte, dass wenn ich nach Berlin umziehe aus einem anderen Bundesland, dass mir nicht eine Stelle (…) einen Brief schreibt, es sei Unklarheit entstanden über meinen Status, ob ich in der Kirche sei oder nicht (…). Ich möchte, dass ich nicht kilometerweit fahren muss, damit meine Kinder in einen nicht-religiösen Kindergarten kommen (…). Ich hätte ganz gerne, dass meine Kinder in eine Schule gehen, wo kein Kreuz hängt (…). Ich stelle mir einen Staat vor, wo nicht (…) allein im Jahr 2017 1703 Verkündigungssendungen in Rundfunk und Fernsehen laufen (…). Ich möchte, dass ich so austreten kann aus der Kirche wie in den meisten Ländern dieser Welt, durch einen Brief (…)." Sie untermalte dies mit Beispielen aus ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld. Was den momentanen Stand der Dinge angehe, sei sie hin- und hergerissen zwischen Optimismus und Resignation. Man könne die Lage nur millimeterweise durch sich lange hinziehende Gerichtsverfahren ändern.

Thomas Heinrichs, Foto: © Evelin Frerk
Thomas Heinrichs, Foto: © Evelin Frerk

Im Anschluss war Thomas Heinrichs, Präsident der Humanistischen Akademie Deutschlands und Vize-Präsident des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, an der Reihe. "Der säkulare Staat der Zukunft sollte (…) nicht anders aussehen als er jetzt aussieht", sagte er und bezog sich dabei auf eine vorherige Aussage, wonach die AfD angekündigt habe, das Grundgesetz zu ändern und die Religions- und Weltanschauungsfreiheit einzuschränken. Letztere sei eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft unserer Gesellschaft und es sei wichtig, sie zu bewahren und zu schützen. Sie sei aber nicht grenzenlos, sondern müsse sich im Rahmen unserer Grundordnung bewegen. "Wenn die Gesellschaft sich ändert, ändert sich auch die Wahrnehmung von Neutralität", griff er einen Punkt von Michael Schmidt-Salomon auf. Was Neutralität bedeute, handle man gerade neu aus. Die Organisationsstrukturen von religiösen Institutionen seien hierzulande auf die Kirchen ausgerichtet, der Islam sei hingegen viel liberaler, ohne Hierarchien und ohne Papst. Für Muslime sei es schwierig, Strukturen zu schaffen, die vom Staat akzeptiert würden. In dieser Hinsicht ginge es ihnen auch nicht besser als Säkularen und Humanisten. Hier sieht Heinrichs einen großen Reformbedarf. Das gelte beispielsweise für einen flächendeckend angebotenen Ethikunterricht. In Berlin gebe es bereits den Lebenskundeunterricht, der vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) angeboten werde und der für alle zugänglich sei. Der Staat müsse offener werden für andere Religionen und Weltanschauungen und bestimmte Aufgaben selbst ausüben, die man nicht delegieren könne. Die staatliche Förderung findet er positiv, auch um Kontrolle auszuüben und Integrationseffekte zu nutzen. Erstere solle aber in gleicher Weise für alle stattfinden: "Bei den Kirchen muss man kürzen, weil deren Mitgliederzahlen abnehmen und den anderen muss man mehr geben."

Bettina Jarasch, Foto: © Evelin Frerk
Bettina Jarasch, Foto: © Evelin Frerk

Als letzte war Bettina Jarasch an der Reihe. Sie sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und ist Sprecherin ihrer Fraktion für Integration und Flucht sowie für Religionspolitik. Außerdem hat sie eine Kommission geleitet, die das Verhältnis von Religionen, Weltanschauungen und Staat für die Grünen neu gefasst habe, das sei innerhalb der Partei nämlich von jeher ein Streitthema gewesen. Sie selbst sei aktive Katholikin und könne die KORSO-Resolution überzeugt unterschreiben: "In keinem nicht-säkularen Staat gibt es ernsthaft Religionsfreiheit." Das gelte für Gläubige ebenso wie für Nicht-Gläubige. Die Trennung zwischen Kirche und Staat sei ein Freiheitsgewinn für alle und erlaube auch den Kirchen andere Entwicklungen. Beim kirchlichen Arbeitsrecht halte sie den gesetzlichen Handlungsbedarf für deutlich dringlicher als in anderen Fragen wie der Abschaffung der Staatsleistungen, weil der Leidensdruck der Menschen hier am größten sei. Sie nahm weiterhin Bezug auf das Spannungsfeld innerhalb der KORSO-Mitgliedsorganisationen, was die geforderte Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften angeht: Man müsse sich einig werden, ob man eine Gleichbehandlung nach oben oder nach unten wolle, also den Körperschaftsstatus für alle einzuführen oder diese Rechte für alle abzuschaffen. Die Grünen hätten sich für ersteres entschieden. Sie sprach sich dagegen aus, "die Moral- und Wertefrage zu monopolisieren und nur als Staat auszuüben", da es dafür zahlreiche Negativbeispiele totalitärer Regimes gebe.

Michael Schmidt-Salomon fand, das Entweder-oder bei der Privilegierung sei zu kurz gegriffen, man müsse viel genauer hinschauen. "Wenn die Förderung von Religionsgemeinschaften zu einer Einschränkung der individuellen Selbstbestimmungsrechte führen sollte, dann halte ich das für das falsche Modell." Es sei wichtiger, das Individuum zu stärken und nicht die Kollektive, denn die Stärke unserer Gesellschaft bestehe darin, dass sie auf den Rechten des Einzelnen aufgebaut sei. Die Gefahr für die offene Gesellschaft sei hingegen, dass Individuen auf Gruppenidentitäten reduziert würden, hier müsse man entgegenwirken. Er bezog dies auf die Frage nach der Einführung des islamischen Religionsunterrichts und plädierte dafür, das Berliner Modell, das Ethikunterricht für alle und Religions- und Weltanschauungsunterricht optional vorsieht, für ganz Deutschland zu entwickeln. "Wir dürfen es nicht zulassen, dass der Religionsunterricht zu einer staatlich geförderten Filterblase wird."

Helmut Fink, Foto: © Evelin Frerk
Helmut Fink, Foto: © Evelin Frerk

Helmut Fink fragte die Grünen-Abgeordnete nach dem Einfluss der Kirchen in moralischen Fragen. Diese nahm zunächst Bezug auf die Gewissensentscheidung von Politikern, die der gbs-Vorstandssprecher thematisiert hatte. Schwierig sei, dass man nicht nur die Mehrheit im Blick haben müsse, sondern das Gemeinwohl, sonst hätte man eine Diktatur der Mehrheit. Man müsse im Diskurs zu einer eigenen Überzeugung gelangen. Das müsse auf dem Boden der Verfassung geschehen, entgegnete Schmidt-Salomon, man müsse auf das Individuum und seine individuelle Würde schauen. Deswegen sei die Entscheidung zur Sterbehilfe fatal gewesen. Die Politiker hätten der Mehrheit der Gesellschaft aufgezwungen, sich ihren religiösen Vorstellungen zu unterwerfen.

Religion und Weltanschauung habe immer eine kollektive Dimension, es seien Gemeinschaften, die sich zusammentäten, nahm Jarasch Bezug auf das Argument Schmidt-Salomons. In der Kopftuchdebatte rund um das Berliner Neutralitätsgesetz gehe es beispielsweise nicht um kollektive Rechte von Islamverbänden, sondern um individuelle Entscheidungsfreiheit. Es gehe um individuelle positive und individuelle negative Religionsfreiheit. Beim Religionsunterricht gehe es hingegen um das Kollektiv. Sie finde es richtig, nicht den Islamverbänden die Hoheit über den Unterricht an Schulen zu übertragen, da diese keine Religionsgemeinschaften seien. Die grundsätzliche Frage sei, ob man Religions- und Weltanschauungsunterricht an den Schulen wolle. Gesellschaftspolitisch sei er ein großer Vorteil, findet Bettina Jarasch. Er sei ein Instrument, mit gesellschaftlicher Radikalisierung umzugehen. Der Ethik-Unterricht könne das nicht leisten, es müsse in der Schule einen Ort geben, wo Jugendliche etwas über ihre Religion lernen und wo sie sich kritisch mit ihr auseinandersetzen könnten. Die Beeinflussung finde sonst anderswo statt. Der gbs-Vorstandssprecher erwiderte, man müsse das pädagogische Konzept des Ethikunterrichts diskutieren, denn genau die kritische Auseinandersetzung mit Religion, Philosophie und politischer Ideologie müsse ja dort passieren. Diese Aussage ging im Applaus der Zuhörer unter.

Dann kam das Publikum zum Zug: "Was hat denn Ihre Religion mit Ihrer Politik zu tun? Warum müssen Sie denn das hier vorbringen? Das interessiert mich doch überhaupt nicht", war eine aufgebrachte Frage an die Berliner Abgeordnete – und erntete prompt Beifall. Ein anderer Zuhörer wandte ein, dass die Inhalte des Religionsunterrichts laut Bundesverfassungsgericht als "bestehende Wahrheiten" vermittelt werden sollten, man könne also zwar Liberalität und Aufklärung im Unterricht fordern, de facto sei es den Religionsgemeinschaften aber erlaubt, zu indoktrinieren. Daher sei es besser, die Schüler gemeinsam in einem integrativen Werteunterricht zu rationalem Denken und Hinterfragen zu befähigen. Ein weiterer Mann aus dem Zuhörerraum freute sich über die Katholikin auf dem Podium: "Das zeigt mal wieder, dass die Brüche, gegen die wir angehen müssen in der Gesellschaft, nicht zwischen Religiösen und Nicht-Religiösen verlaufen, sondern zwischen denjenigen, die für eine offene Gesellschaft kämpfen und denjenigen, die dagegen sind."