Kommentar

Alan Poseners Waldorf-Propaganda im Deutschlandfunk Kultur

Der Deutschandfunk Kultur lädt den Journalisten Alan Posener (Die Welt, Axel Springer SE) zum Gespräch ein, um den 100. Geburtstag der Waldorfschule zu feiern. Was dieser dabei sagte, entsetzte hpd-Autor Andreas Lichte.

"Hat Posener das wirklich gesagt?", frage ich mich. Ich kann es nicht fassen und versuche eine Inhaltsangabe – frei, aus dem Gedächtnis –, es geht ja um "Schule", und das ist doch eine gute Übung, Prüfung …:

  1. Bildung sollte privatisiert werden,
  2. weil Waldorfschulen besser als öffentliche Schulen sind:
  3. Waldorfschulen fördern das Individuum,
  4. deswegen waren sie im Nationalsozialismus verboten.

Boah! Was für ein Blödsinn! Aber meine Inhaltsangabe ist korrekt, wie ich beim Vergleich mit Deutschlandfunk Kultur "Der Mensch im Mittelpunkt" feststelle. Ich höre mir den Beitrag auch noch einmal an: "Dieser Individualismus (der Waldorfschulen) rekurriert auf das humboldtsche Bildungsideal", schwärmt Posener im O-Ton.

"Individualismus"? In der Waldorfschule? Bei meiner Ausbildung zum Waldorflehrer fiel mir dieser Merksatz ein: "In der Waldorfschule steht für jeden eine Schublade offen."

In einem Interview mit dem Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan T. Hopmann frage ich danach, Zitat:

"Lichte: Die Waldorfschulen werben damit, Kinder 'individuell' zu fördern. Sehen Sie hier einen Widerspruch zu der in der Waldorfpädagogik verbindlichen 'Jahrsiebtelehre' (Rudolf Steiners esoterische Einteilung der Individualentwicklung des Menschen in Abschnitte von 7 Jahren)?

Prof. Hopmann: Waldorfschulen wollen nicht im allgemein üblichen Sinne 'individualisieren', d. h. die je einzigartige Persönlichkeit eines Kindes achten. Vielmehr werden entsprechend den Waldorflehren die Kinder unterschiedlichen Charaktertypen, Entwicklungsstufen, Seeleneigenschaften usw. zugeordnet, denen sich dann die jeweilige pädagogische Behandlung unterordnen soll. Gehörst du zum Typ A, richtet sich die Behandlung nach Verfahren B usw. Man kann das recht gut kennenlernen, wenn man sich ansieht, wie Rudolf Steiner selbst in seinen Lehrerkonferenzen Einzelfälle analysierte. Es ging ihm nicht um konkrete Individuen, sondern darum, jedes Kind in eine anthroposophische Kategorie zu pressen."

Wenn es in der Waldorfschule keinen "Individualismus" gibt, kann das auch nicht der Grund dafür sein, dass Waldorfschulen "im Nationalsozialismus verboten waren". Waren sie das überhaupt? Alle Privatschulen wurden im Laufe der Zeit im "Dritten Reich" verboten. Die Waldorfschulen bestanden durch nationalsozialistische Protektion aber länger als andere Privatschulen …

Posener übernimmt hier Propaganda, die über Jahrzehnte von der Anthroposophie und den Waldorfschulen verbreitet wurde – das immer wiederkehrende Muster ist: "Die Waldorfschulen waren im Nationalsozialismus verboten …", gedacht, oder ausgesprochen weiter: "… die Anthroposophie war im Widerstand gegen den Nationalsozialismus!"

"Widerstand"? In meinem Artikel "Anthroposophie und Nationalsozialismus: 'Die Waldorfschulen erziehen zur Volksgemeinschaft'" habe ich die Forschungsergebnisse des Historikers Prof. Peter Staudenmaier zur Geschichte der Anthroposophie im Verhältnis zum Nationalsozialismus zusammengefasst. Hier ein Auszug daraus:

"(…) Anthroposophen arbeiteten in allen für sie wichtigen Praxisfeldern mit nationalsozialistischen Organisationen zusammen:

  • Waldorfschulen: "Das Motto der Waldorfbewegung im 'Dritten Reich' lautete: 'Die Waldorfschulen erziehen zur Volksgemeinschaft.'1 Ihrer Selbstdarstellung zufolge lieferte die anthroposophische Pädagogik einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau des neuen Deutschlands durch 'die Pflege des völkischen Gedankens und die Betonung des Wesens und der Aufgaben des deutschen Geistes' und stand damit 'im Einklang mit der Grundgesinnung des nationalsozialistischen Staates'.2,3"
  • Anthroposophische Medizin: "Die Vereinigung anthroposophischer Ärzte stellte eine Hauptstütze der NS-treuen 'Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde dar'. 4"
  • "Biologisch-dynamische" Landwirtschaft: "1935 wurde der 'Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise' korporatives Mitglied der nationalsozialistischen 'Deutschen Gesellschaft für Lebensreform' (Motto: 'Die Weltanschauung der Deutschen Lebensreformbewegung ist der Nationalsozialismus').5 (…)"

Der von Prof. Staudenmaier durchgesehene Artikel ist bei Google auf Platz 1 der Suchergebnisse, wenn man "Waldorfschule Nationalsozialismus", "Anthroposophie Nationalsozialismus", "Waldorfschule Nazi" oder ähnliches abfragt.

Weshalb also hat Posener diese schnelle Internet-Recherche nicht gemacht? Zu seinen Gunsten gehe ich davon aus, dass Posener absichtlich anthroposophische Propaganda verbreitet.


Weitere Artikel des Humanistischen Pressedienstes zu "100 Jahre Waldorfschule 2019":

  1. Vgl. z. B. Bund der Waldorfschulen, "Wesen und Aufgaben der Waldorfschulen" vom 2.3.1935 (BArch, R 4901, Nr. 2519, Bl. 243). ↩︎
  2. (ebd., Bl. 255) ↩︎ 
  3. Peter Staudenmaier, "Der deutsche Geist am Scheideweg: Anthroposophen in Auseinandersetzung mit völkischer Bewegung und Nationalsozialismus", in: Uwe Puschner/Clemens Vollnhals (Hrsg.), "Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte",Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2012, Seite 482. "Der deutsche Geist am Scheideweg: Anthroposophen in Auseinandersetzung mit völkischer Bewegung und Nationalsozialismus" im folgenden abgekürzt als "Staudenmaier"
  4. Staudenmaier, Seite 481 ↩︎

  5. Staudenmaier, Seite 489. Weiter Staudenmaier: "Mit Bartsch und seinem Kollegen Franz Dreidax wurden zwei prominente Anthroposophen in den Führerrat der Gesellschaft aufgenommen. Anthroposophische Beiträge erschienen regelmäßig in der Zeitschrift 'Leib und Leben' der Gesellschaft. Bartsch konnte 1937 zutreffend behaupten, 'dass sich die führenden Männer der Demeter-Bewegung rückhaltlos mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen dem nationalsozialistischen Deutschland zur Verfügung gestellt haben'." ↩︎