Im Tagesspiegel veröffentlichte der Autor Heinz-Werner Kubitza einen Artikel, der danach fragt, ob man Theologie als Wissenschaft bezeichnen könne.
Es erstaunt, dass die Zeitung gerade zum Osterwochenende einen Artikel veröffentlicht, in dem es heißt: "Die Theologie ist eigentlich ein Kuriosum an modernen Universitäten. Während andere Fachbereiche einen klar abgegrenzten Forschungs- und Lehrbereich haben, ist bei den Theologen nicht einmal klar, ob es den zentralen Gegenstand, der ihrer Wissenschaft Theologie den Namen leiht, ob es diesen Theos überhaupt gibt. Während andere Fachgebiete seit der Aufklärung und dem Entstehen eines modernen wissenschaftlichen Denkens die Welt real verändert haben, wird es in der Theologie schon als Innovation gefeiert, wenn von Zeit zu Zeit ein alter Holzweg mit viel verbalem Aufwand wieder freigeräumt und eine neue 'Schule' gegründet wird."
Am Ende des hervorragenden Artikels heißt es: "Eine 'moderne' Theologie kann es aus Prinzip nicht geben. Denn eine Theologie, die sich den wissenschaftlichen Fakten ehrlich stellen würde, müsste sich eigentlich wegen hinreichend belegter Gegenstandslosigkeit selbst auflösen. Stattdessen tut man geschäftig und bastelt in den theologischen Parallelwelten weiter kreativ an Scheinlösungen für Scheinprobleme. Und unser Gemeinwesen leistet sich aus Tradition auch weiterhin für rund 280 Millionen Euro jährlich an staatlichen Universitäten gelehrte Mythologie, gläubiges Denken und konfessionell gebundene Wahrheiten."
11 Kommentare
Kommentare
valtental am Permanenter Link
"Der dogmatische Gott der Kirchen ist tot, und der übrig gebliebene „historische Jesus“ ist eher spröde und hat erstaunlich wenig zu bieten."
Trotz dieser Eigenaussage im Tagesspiegel wird Kubitzkas Meinung zur Geschichtlickeit von Jesus in einem hpd-Beitrag von Constanze Cremer vom 4. März wie folgt wiedergegeben:
"Er selbst gehe davon aus, dass Jesus wohl eine historische Person war, die immer mehr mythologisiert wurde. Denn wenn man davon ausgehe, dass er erfunden wurde, warum habe man ihn dann mit so vielen Fehlern ausgestattet, warum ließ man ihn taufen, warum kreuzigen, warum einen so gängigen Namen tragen, warum einen so provinziellen Geburtsort haben?"
Eine seltsame Argumentation für einen kritischen Kopf wie Kubitzka: Eine Geschichtlichkeit Jesus wir nicht mit Fakten begründet, denn die sind ja "eher spröde und [haben] erstaunlich wenig zu bieten", sondern einzig mit dem Umstand, dass man sich die Figur Jesus nicht anders erklären könne. Nichtverstehen, Nichtwissen wird bei Kubitzka zum Argument für eine Hypothese!? Und das Skurrilste ist, dass er gerade den Inhalt des biblischen Jesus zum Referenzpunkt seiner Meinung macht, obwohl er sonst ständig betont, wie gering der historische Aussagewert der Bibel anzusetzen sei. Seltsam, Seltsam...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Jesus ist einfach schwer zu packen. Er wurde ja auch absichtlich so konstruiert. Wie praktisch alle Figuren des religiösen Geschäfts ist auch "Jesus" ein Mix aus verschiedenen Einflüssen und Botschaften.
Es gab sicher auch unzählige Gerichtsprozesse gegen Aufständische, die massenhaft gekreuzigt wurden. Da mag auch einer dabei gewesen sei, dem eine kleine Anhängerschaft folgte. Die mögen sogar noch seinen Leichnam gestohlen habe.
Aber das waren letztlich nur Volksmythen, die die Juden selbst zu keinerlei Verehrung nötigten, anders als z.B. bei Bar Kochba, dem jüdischen Messias kurz nach "Jesus", der anfänglich erfolgreich gegen die Römer kämpfte. Die römische Umwelt nahm indes von "Jesus" keine Notiz, weil er viel zu unbedeutend war, um aufzufallen. Aber genau das machte die Figur(en) so interessant für die redaktionelle Bearbeitung ein oder zwei Jahrhunderte später - also zu einer Zeit, in der niemand mehr lebte, der einen "Jesus" leibhaftig kennen konnte.
Er war wie eine quasireale Schablone, in die alle religiösen Dogmen der neuen Häresie namens Christentum eingetragen werden konnte. So wurde Jesus zum Kronzeugen und gleichzeitig zum Objekt der Verehrung - sicherheitshalber in den Himmel befördert, damit nie seine sterblichen Überreste gesucht würden.
Wie sollte man historisch mit so einer Figur umgehen? Wenn Kubitza von einem "historischen Jesus" ausgeht, dann ist das eine vertretbare Grundannahme, die aber so bedeutungsschwer ist, wie die Aussage, es gäbe einen historischen Kern Gottes. Die Archetypen, die zu den heute bekannten und fortlaufend um- und überformten Gestalten der Religionsgeschichte führten, sind letztlich völlig irrelevant. Entscheidend ist einzig, was die Theologie aus ihnen gemacht hat, welche Ansprüche und Forderungen sie daraus formuliert und dogmatisiert hat.
Eine völlige Nichtexistenz eines "Jesus" ist also nicht beweisbar, wie auch seine Existenz nicht beweisbar ist (bis zum Beweis des Gegenteils). Daher bleibt nur, was auch Kubitza versucht: Wir interpretieren das, was ihm an Botschaften in den für immer geschlossenen Mund gelegt wurde. Selbst wenn hierbei authentische Jesus-Worte zu finden wären, müssten wir uns ihnen inhaltlich stellen. Und genau hier zeigt sich, wie belanglos, wertlos oder sogar schädlich das ist, was Jesus gesagt oder vorgelebt haben soll.
Insofern sehe ich in den Aussagen Kubitzas keine Widersprüche, sondern höchstens Verweise auf die Widersprüchlichkeit der Figur Jesus.
Da er jedoch für die christliche Kirche von so enormer Bedeutung ist - auch und vor allem seine reale Existenz - ist es an der Kirche, hier für Klarheit zu sorgen. Doch das kann sie nicht. Jesus - falls er existierte - war in jedem so unbedeutend, dass im wahrsten Sinne des Wortes niemand von ihm Notiz nahm. Ein schlechter Anfang für eine Weltreligion...
valtental am Permanenter Link
Einspruch euer Ehren!
Ich stimme Ihrem Beitrag in vielem zu. Auch, dass die Verleugnung eines historischen Jesus nicht beweisbar ist. Nicht Existierendes zu beweisen, ist ja sowieso ein aussichtsloser Kampf gegen die Logik. Doch wie bzgl. einer Existenz Gottes ist es auch bei Jesus durch das Aufzeigen von Widersprüchen möglich darzulegen, dass eine Behauptung nicht zutreffen kann.
Warum Sie "in den Aussagen Kubitzas keine Widersprüche, sondern höchstens Verweise auf die Widersprüchlichkeit der Figur Jesus." sehen, beantwortet Ihre Aussage selbst: Weil Sie, wie auch Kubitza, Jesus nur aus dem Blickwinkel der Exegese sehen wollen. Und da es ja kein anderes Interesse an ihm gäbe, bräuchte man jenseits des Exegese-Bereiches auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu seiner Existenz anstellen. Dies aber ist genau mein Kritikpunkt, und vor allem, dass von Kubitza u.v.a. völlig unwissenschaftlich für eine Existenz eines Jesus argumentiert wird. Im oben erwähnten hpd-Beitrag wird seine Position von Dritten so wiedergegeben:
'Es gab und gibt einzelne Theologen, wie z.B. Hermann Detering, die behaupten, dass er ein reiner Mythos sei, aber man schaffe sich damit tatsächlich mehr Probleme, als man löse.'
Dazu hier noch mal meine eigentliche Kritik ausführlicher: Kubitzas Artikel trägt die Überschrift "Ist Theologie eine Wissenschaft?" in welchem er gegen Theologen schweres Geschütz auffährt. Doch er teilt bzgl. einer Geschichtlichkeit Jesus genau deren unwissenschaftliche Arbeitsweise. Denn das etwas für Theologen 'mehr Probleme' schafft, heißt im Klartext nur, dass es mit der von der Theologie, also den Kirchen entworfenen Kirchengeschichte nicht vereinbar ist und diese in Frage stellt. Auch die nicht verstummende Kritik an der kirchlichen Frühdatierung der Paulusbriefe und der Evangelien 'schafft (für Kirchentheologen) mehr Probleme', weshalb solche abweichenden, aber durchaus wissenschaftlich begründeten Meinungen von vornherein aus Glaubensgründen(!) abgetan und im wissenschaftlichen Diskurs schlicht ignoriert werden. Genauso, wie es Kubitza in seinem Artikel gnadenlos beschreibt, und was man dann z.B. auf Wikipedia, wo wissenschaftliche Nachweise relevant sind, als quasi evangelikale Ergebnisse studieren kann.)
Der angenommene historische Jesus ist überhaupt nicht belanglos, denn auf seine behaupteten Lebensdaten ist ja die gesamte neutestamentliche Forschung ausgerichtet. Wenn Jesus um das Jahr 32 gekreuzigt worden sein soll, kann es in den folgenden 100 Jahren kein Loch in der Überlieferung geben, weshalb ein Paulus eben zw. 40-50, die kanonischen Evangelien auf vor 100 datiert, die Langfassung der Paulusbriefe als die ursprüngliche gegenüber der markionitischen Kurzfassung festgelegt werden muss, weil ein komplettes Schweigen, wie es in der Archäologie und bei nichtchristliche Autoren herrscht, einfach nicht geben darf, denn das Jahr der Kreuzigung, also die Geschichtlichkeit von Jesus steht ja lt. Bibel fest! Und im Anschluss an dieses epochale Ereignis muss ja irgendwo auch christliches Leben sich regen und nachweisbar sein! Alles andere wäre nicht logisch. Eine Oktoberrevolution ohne nachweisbare Soldatenräte, ohne internationale Berichterstattung?
Undenkbar.
Das gesamte von der neutestamentlichen Forschung entworfene Szenario des 1. und 2.Jh. steht und fällt mit den Daten eines geschichtlichen Jesus. Das muss auch Kubitza wissen. Und wenn er sich ausführlich mit den Argumenten aus rund 180 Jahren Radikalkritik auseinandergesetzt hätte (was im Rahmen seines Theologiestudiums allerdings kaum der Fall gewesen sein dürfte), wüsste er auch, dass eine Aufgabe des historischen Jesus keinesfalls mehr Probleme schafft (außer für die Kirchen und ihre Theologen), sondern im Gegenteil viele Widersprüche klärend auflösen kann: Das dipolare Pendeln im Denken eines Paulus zwischen Präexistenz und Doketismus, wofür er eigentlich schizophren sein müsste, erklärt sich eben logischer, wenn nicht von den Schriften EINES historischen Paulus, sondern von einer ursprünglich markionitischen und deren späteren konträren katholischen Erweiterung ausgegangen wird. Da Markion aber erst im 2.Jh. und Jesus bis um 32 lebte, können die Paulusbriefe lt. Theologen nicht ursprünglich von Markion stammen (obwohl sie klar dessen Gedankengut enthalten), sondern dieser habe sie erst später im 2.Jh. in gekürzter Version für seine Zwecke in Umlauf gebracht. Das es auch umgkehrt gewesen sein könnte, scheidet eben wegen den aus der Bibel abgeleiteten Lebensdaten eines geschichtlichen Jesus einfach aus.
Man kann also an diesen Beispielen ganz klar erkennen, dass die Abhängigkeit, also zeitliche Aufeinanderfolge von Texten immer in Übereinstimmung zu den behaupteten Lebensdaten eines geschichtlichen Jesus stehen müssen. Die Öffentlichkeit bekommt ein vom und für den Glauben konstruiertes Bild des 1./2.Jh. in wissenschaftlichen Gewand präsentiert, dass über weite Teile nicht mehr mit geschichtlichen Fakten gemein hat, als kommunistische Darstellungen über die Oktoberrevolution in Russland. Nur werden verfälschte kommunistische Darstellungen nicht in seriösen Printmedien als wissenschaftliche Forschung feilgeboten - neutestamentliche Forschung aber schon. (Man lese kritisch das Spiegel-Spezial "Jesus von Nazareth" von vor wenigen Jahren, oder den diesen Februar erschienen Spiegel-Geschichte "Die Bibel".)
Dort breiten in hohen Auflagen die von Kubitza kritisierten Theologen ihr vom Glauben geschöntes, konstruiertes 1/2.Jh. aus, ohne dass auch nur einer wirklich konträren Meinung Platz zur Darstellung eingeräumt wird. Dafür sorgen immer noch christliche Ressortchefs und Redaktionsleitungen. Und Kubitza sitzt trotz seiner Theologenschelte und des Absprechens von deren Wissenschaftlichkeit beim historischen Jesus doch mit diesen in einem Boot.
Gegenstand meiner Kritik ist nicht das Für und Wider eines geschichtlichen Jesus, sondern dass jemand, der anderen Unwissenschaftlichkeit vorwirft, nicht selbst deren Arbeitsweise teilen kann - auch nicht in einer einzelnen Frage.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Nichts dagegen einzuwenden.
Ich denke, des Pudels Kern ist die Definition von "historische Figur". Ich bin überzeugt, dass es DEN Jesus, den uns die Evangelien vorstellen, nie gab. Bestenfalls einzelne biographische Elemente, die in das theologische Konstrukt passten. Aber - auch das ist klar - keines dieser Element rechtfertigt die Begründung einer Religion, schon gar keiner mit Absolutheitsanspruch.
Ich würde also sagen: DEN Jesus gab es nie, EINEN Jesus schon. Wäre er komplett aus den Prophezeiungen abgeleitet worden, müsste er Immanuel geheißen haben.
Joachim Datko am Permanenter Link
Den angeblich wundertätigen Wanderprediger hat es nicht gegeben. Die mystischen Geschichten um ihn sind nicht authentisch, sie sind erlogen.
Erfreulich: Die evangelische Kirchensteuerkirche hat innerhalb eines Jahres, nach meiner Hochrechnung, über 420.000 Mitglieder verloren. 2013 waren es 315.000.
http://www.monopole.de/aktuelles/kirchenaustritte-steigerung-evangelische-landeskirchen-2013-2014/
Mustafa am Permanenter Link
Ist eine Literaturwissenschaft nur deshalb keine Wissenschaft, weil es sich um Fantasyliteratur handelt? ;-)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Diese Aussage verstehe ich nicht ganz. Die Literaturwissenschaft beschäftigt sich mit Literatur - egal welches Genre, egal welche Gattung.
Doch gibt es die Literatur (außer dieser Wissenschaftszweig würde sich unwahrscheinlicher Weise mit fiktiven Annahmen über verschollene Shakespeare-Manuskripte beschäftigen), während der Forschungsgegenstand der THEOlogie, also ein "Gott", nicht existiert, bzw. völlig wirkungslos bleibt, so dass mangels Wechselwirkung keinerlei fundierte Aussagen über ihn gemacht werden können. Hier kann keine Wissenschaft ansetzen.
Mustafa am Permanenter Link
Anders gefragt: Bietet uns die "Literaturwissenschaft" als "echte Wissenschaft" irgend etwas konkretes, was uns die "Theologie" nicht bietet?
Thomas am Permanenter Link
Ob dieser Jesus nun eine historische Figur ist oder nicht, kann man doch offenlassen, bis sich vertrauenswürdige zeitgenössische Quellen finden.
valtental am Permanenter Link
Ja, in der Tat könnte man diese Frage entspannt betrachten, wie etwa ob Homer als Person existiert hat, oder nur eine Fiktion darstellt.
Also, der Papst und Anhänger lassen die Frage keinesfalls offen, denn ohne geschichtlichen Jesus, genauer der Menschwerdung Gottes - kein Papst.
Thomas am Permanenter Link
Zustimmung. Allerdings sollte mein Beitrag darauf verweisen, daß die Historizität Jesu für die Beurteilung des Christentums ohne Bedeutung ist. Da der Christengott nicht existiert, kann er auch keinen Sohn haben.