Nicht nur Erwachsene haben ein Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit

Kinderrechte ins Grundgesetz!

Am heutigen "Weltkindertag" finden nicht nur große "Fridays for Future"-Demos statt, vielerorts geht auch die Initiative "Kinderrechte ins Grundgesetz" auf die Straße. Ihr Ziel ist es, die Achtung des Kindeswohls als vorrangiges Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Der Initiative haben sich 50 Organisationen angeschlossen, unter anderem die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).

Eigentlich gelten die in der Verfassung verankerten Grundrechte auch für Kinder und Jugendliche. Bislang aber tauchen sie in der Verfassung nicht ausdrücklich als Rechtssubjekte auf, sondern bloß als Rechtsobjekte, über die ihre Eltern Verfügungsgewalt haben. Dazu heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht."

"Diese Formulierung hat", so der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon, "insbesondere bei streng religiösen Eltern den Eindruck verfestigt, sie könnten vollumfänglich über das Leben ihrer Kinder entscheiden, ohne Rücksichtnahme auf deren Interessen und Wünsche. Tragischerweise hat der deutsche Staat diese Fehleinschätzung immer wieder bestärkt – am gravierendsten wohl mit dem 2012 verabschiedeten Gesetz zur Knabenbeschneidung. Dank § 1631d BGB haben Eltern in Deutschland nun ein Anrecht darauf, die Vorhäute ihrer Söhne ohne medizinische Gründe amputieren zu lassen. Dass dies mit dem in der Verfassung garantierten Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht in Einklang zu bringen ist, liegt auf der Hand."

Deshalb ist es aus Sicht der Giordano-Bruno-Stiftung unbedingt erforderlich, die Selbstbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen explizit in die Verfassung aufzunehmen. Die Initiative "Kinderrechte ins Grundgesetz", die von UNICEF, dem Deutschen Kinderschutzbund und dem Deutschen Kinderhilfswerk ins Leben gerufen wurde und inzwischen von rund 50 Organisationen unterstützt wird, schlägt in diesem Zusammenhang einen neuen Artikel 2a GG mit folgendem Wortlaut vor:

(1) Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit.

(2) Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag.

(3) Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.

(4) Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.

Der Formulierungsvorschlag greift die Prinzipien der 1989 verabschiedeten und 1992 in Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention auf. Würden die Rechte des Kindes in dieser Form im Grundgesetz verankert, wäre es künftig leichter, Kinder innerhalb wie außerhalb ihrer Familien vor direkter, struktureller oder kultureller Gewalt zu schützen und den deutschen Staat darauf zu verpflichten, für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder zu sorgen.

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Das Recht auf Bildung

Die Giordano-Bruno-Stiftung betont in diesem Zusammenhang insbesondere auch das Recht des Kindes auf eine solide, d. h. rationale, evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Bildung. Die Stiftung verweist darauf, dass Kinder ein Anrecht darauf haben, möglichst vorurteilsfrei in die Welt eingeführt zu werden, die Tatsachen des Lebens zu erfahren und verschiedene Perspektiven kennenzulernen, mit deren Hilfe sie später ihre eigene Sicht der Dinge entwickeln können, ohne von vornherein ideologisch in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden.

Hierzu gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon: "Zwar dürfen Eltern ihre Kinder im Sinne ihrer jeweiligen religiösen oder politischen Präferenzen erziehen, aber das heißt keineswegs, dass der Staat in seinen Bildungssystemen eine solche weltanschauliche oder politische Perspektivverengung aktiv unterstützen dürfte. Daher dürfte es der weltanschaulich neutrale Staat eigentlich gar nicht zulassen, dass Kinder in öffentlich geförderten Bildungsinstitutionen manipuliert, in künstlichen Filterblasen gehalten (Beispiel: Religionsunterricht) und systematisch von Informationen abgeschirmt werden, die ihnen ein tieferes Verständnis der Welt ermöglichen würden. Es ist die wohl vornehmste Bildungsaufgabe des Staates, allen Kindern, gleich aus welcher Familie sie stammen, im Namen der Chancengleichheit Zugang zu Wissensquellen zu verschaffen, die ihnen in ihrem Elternhaus womöglich verschlossen bleiben."

Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die Giordano-Bruno-Stiftung das Evokids-Projekt ins Leben gerufen, das den Kindern die grundlegende Einsicht der Evolution vermittelt und ihnen verdeutlicht, dass sie mit allen anderen Lebensformen auf der Erde zusammen eine einzigartige große Familie bilden, deren Ursprünge in winzig kleinen Zellen liegen, welche vor Urzeiten auf der Erde entstanden sind.

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Befürworter und Gegner von Kinderrechten

In der Vergangenheit hat sich die gbs mehrfach mit Kinderrechtsfragen beschäftigt: So reagierte sie 2006 auf das von der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen gemeinsam mit den Kirchen vorgestellte "Bündnis für Erziehung", indem sie die religiöse Fundierung von Bildung und Erziehung kritisierte und auf die damals noch weitgehend verdrängten Missbrauchsfälle der katholischen Kirche hinwies. 2010 unterstützte sie den Protest der ehemaligen Heimkinder gegen "schwarze Pädagogik" in staatlichen und konfessionellen Einrichtungen, 2012 führte sie die Kinderrechtskampagne "Mein Körper gehört mir!" gegen religiöse Zwangsbeschneidungen bei Jungen durch.

"Die Giordano-Bruno-Stiftung wird ihr Engagement für Kinderrechte selbstverständlich fortsetzen", erklärt Schmidt-Salomon. "Dabei stehen die Chancen, dass Kinderrechte in absehbarer Zeit ins Grundgesetz aufgenommen werden könnten, gar nicht einmal so schlecht. Immerhin hat der Deutsche Bundesrat die Bundesregierung schon im November 2011 dazu aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen. In den Bundestagsfraktionen der SPD, der Grünen, der FDP und der Linken stellen Kinderrechts-Befürworter*innen inzwischen die Mehrheit."

Widerstand gegen Kinderrechte kommt nach Auffassung des Stiftungssprechers vor allem aus dem religiösen Lager, etwa von strenggläubigen Muslimen und christlichen "Lebensschützern": "Tatsächlich haben diejenigen, die sich in besonderem Maße für die vermeintlichen 'Rechte des ungeborenen Lebens' engagieren, meist gar kein Interesse daran, die 'Rechte des geborenen Lebens' zu stärken – was zeigt, dass es ihnen eben nicht um die Stärkung des individuellen Selbstbestimmungsrechts geht, sondern darum, religiöse Dogmen über das weltliche Recht zu stellen. Wir werden diesem Bestreben auch in Zukunft in aller Entschiedenheit entgegentreten!"

Schmidt-Salomon verweist in diesem Zusammenhang auch auf die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte": "In Artikel 1 der UN-Menschenrechtserklärung heißt es, dass alle Menschen 'frei und gleich an Würde und Rechten geboren' sind. Die individuellen Grundrechte gelten daher prinzipiell (natürlich unter Berücksichtigung des jeweiligen Entwicklungsstandes des Kindes) ab der Geburt – nicht erst ab dem Eintritt ins Erwachsenenalter. Es ist an der Zeit, dass dies auch in der deutschen Verfassung zum Ausdruck kommt."