Rezepte gegen Religionskonflikte: Liebe, Bildung, Therapie?

Nach dem rechtsextrem-antisemitischen Terroranschlag von Halle überschlugen sich die Postings in den sozialen Medien. Spekulationen über Schuldige und Motive kochten hoch, noch ehe die Hintergründe bekannt wurden. Inzwischen wissen wir, dass der Tatverdächtige seinen Terrorakt mit einer kruden antisemitischen Verschwörungstheorie begründete. Der antimoderne Mythos vom Judentum als Motor aller ängstigenden gesellschaftlichen Veränderungen ist ein nur allzu bekanntes Beispiel, wie Zuschreibungen die Wahrnehmung religiöser Gruppen verzerren können. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Hass und legitimer Kritik, dem Kern jeder Debattenkultur? Eine Debatte über solche Fragen nur wenige Stunden nach dem Anschlag musste zwangsläufig von den Ereignissen geprägt sein.

So war es beim 34. bpb-Forum der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn am vergangenen Mittwoch, moderiert von der Journalistin Christiane Florin (Deutschlandfunk), bei dem Fachleute aus Forschung, Bildungsarbeit und Politik zusammenkamen. Es wird kaum verwundern, dass die Diskussion über die Wurzeln von Hass und Rassismus über weite Strecken zur Debatte über die Rolle von Religion in der säkularen Gesellschaft wurde.

Wir wissen heute, dass sich der Säkularisierungsprozess auf die Gesellschaft anders auswirkt als gedacht. Das bestätigt auch Dr. Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung, die regelmäßig die Studie "Religionsmonitor" veröffentlicht. Demnach laufen zwar den Kirchen die Mitglieder davon, doch statt eines Bedeutungsschwundes stellt die Forschung einen Bedeutungswandel von Religion fest. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer, Prof. Dr. Gert Pickel von der Uni Leipzig, spricht sogar von einer gewachsenen Bedeutung. Diese zeige sich einerseits in einer Pluralisierung der Glaubensformen, die längst auch spirtuell-esoterische Vorstellungen umfasst. Gleichzeitig treten durch Zuwanderung neue Religionsgruppen in den Fokus, von denen die Muslime mit rund fünf Millionen die größte Gruppe bilden. Laut Religionsmonitor 2013 profitieren sie nicht von der breiten Toleranz, die etwa Christentum, Buddhismus und anderen Glaubensformen entgegengebracht wird. Ein Negativ-Image, das auch Saba-Nur Cheema bei ihrer pädagogischen Arbeit bei der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank immer wieder begegnet. In vielen Familien mit säkularen Eltern werden trotzdem religiöse Feste gefeiert, sagt sie. Das mache die Jugendlichen neugierig, was dahintersteckt.

Ganz andere, gleichwohl gesellschaftlich hoch relevante Informationslücken konstatiert Dr. Lale Akgün, Buchautorin und Sprecherin der Säkularen Sozialdemokraten. "Viele wissen nicht, wie hoch der Einfluss der Kirchen in Deutschland ist, und sind überrascht, wenn sie erfahren, dass der Staat kirchliche Einrichtungen bezahlt", beklagt sie. Dabei habe der Glaube die Rolle als moralische oder gesellschaftliche Richtschnur längst verloren und sei zur "Feierabendreligion" geworden – wie man gemütlich in der Kammer eine Kerze anzündet, um der Seele etwas Gutes zu tun.

Doch aus welchen Quellen speist sich das Gift, das derzeit in der Religionsdebatte verspritzt wird? Laut El-Menourar hat die Gesellschaft einen einseitigen Problem-Fokus auf den Islam entwickelt, während die eigentliche Religion den meisten Menschen fremd geblieben sei. Tatsächlich sind laut Religionsmonitor 50 Prozent der Deutschen anfällig für Islamfeindlichkeit. "Wenn wir über Schächten sprechen, sprechen wir über Tierquälerei. Wenn wir über Beschneidung sprechen, geht es um die Verstümmelung von Kindern." Andererseits müsse Religionskritik erlaubt sein, entgegnet Akgün, die sich als Kritikerin des Kopftuches einen Namen gemacht hat. Eine Wurzel des gesellschaftlichen Problems sieht sie darin, dass über viele Jahre Politiker und Politikerinnen Schwierigkeiten übertüncht und als Bereicherung ausgegeben haben. Bereits der Versuch, den Islam zu integrieren, sei ein Fehler gewesen. "Man kann keine Religion integrieren, man kann nur Menschen integrieren." Vor diesem Hintergrund sei der Erfolg der Bücher ihres Parteigenossen Thilo Sarrazin Symptom für einen wunden Punkt in der Gesellschaft: "Das Gefühl der Spaltung in der Gesellschaft wird immer stärker. Einerseits gibt es Medien für gebildete Gruppen, andere Medien, die die eher ungebildeten Gruppen bedienen – seien es Islamisten oder deutsche Rechtsradikale. Beiden gemeinsam ist die gefährliche Überzeugung, durch Tabubrüche etwas verändern zu können."

Bleibt die Frage, ob hier Wissen über Religionen hilft. Das ist nur in geringem Maß der Fall. Analysen zeigen, dass sich falsche Überzeugungen dann besonders hartnäckig halten, wenn sie in der Gruppe verankert sind. Eine Gegenwirkung zeigen nur Kontakte mit "den anderen", und auch das nur in geringem Maße, berichtet Gert Pickel. Diese sogenannte Kontakthypothese wurde auch von Lale Akgün jahrelang verteidigt. Inzwischen ist sie jedoch davon abgekommen, berichtet sie. Denn in ihrer Heimatstadt Köln feiert die AfD überall dort Wahlerfolge, wo ein niedriges Bildungsniveau herrscht, unabhängig vom Migrantenanteil.

Optimistischer beurteilt Yasemin El-Menouar die Lage hinsichtlich des Islams, vor allem angesichts der jüngeren Generation, deren Mitglieder schon früh Vertreter anderer Religionen kennenlernen. Ihr sind zwei Punkte wichtig: "Solche Prozesse brauchen Zeit. Und: Die Aushandlungsprozesse dürfen nicht einer Partei wie der AfD überlassen werden."

Bleibt die Frage, wie dem Hass sinnvoll begegnet werden kann. Die Fachleute auf dem Diskussionspodium plädierten für sehr unterschiedliche Strategien. So setzt Saba-Nur Cheema auf Bildungsarbeit, Gert Pickel auf die Stärkung von positiven Emotionen. Ganz anders Lale Akgüns Fazit. Hass ist immer auch Selbsthass, so die studierte Psychologin. "Wer sagt dass er eine bestimmte Gruppe hasst, braucht eine Therapie."