Die Harvard-Ökonomin und Philosophin Shoshana Zuboff war die Erste, die vor der Herrschaft der großen Digitalkonzerne warnte und den Begriff des Überwachungskapitalismus prägte. Für Prof. Zuboff handelt es sich um das historische Phänomen eines neuen, totalitären Profitmodells. Wie dieses erfunden wurde, erklärte sie Anfang November in Berlin: Aus der Not der damaligen Startup-Krise im Silicon Valley – von einer unbedeutenden Firma namens Google.
Im großen Saal der Berliner Urania betritt Prof. Shoshana Zuboff vor mehr als 800 ZuhörerInnen die Bühne wie ein ewig attraktiv gebliebener Pop- oder Filmstar bei der Berlinale – mit überwältigender Löwenmähne, geblendet vom Scheinwerferlicht. Sie nimmt das Publikum mit Charme für sich ein, lobt Berlin für den Fall der Mauer in hohen Tönen. Am Ende hat sie mit einer in sich schlüssigen Gesamterzählung brilliert – allein durch die Kraft ihrer Worte, ohne Präsentationsunterstützung. Die Simultanübersetzung mit Kopfhörerset ist perfekt organisiert.
Erstes Staunen und Verzauberung
Es sind die vielen kleinen Geschichten, die Detailkenntnis, die unzähligen Quellen und das fundierte theoretische Wissen, die ihren Auftritt und das ihm zugrundeliegende jüngste Buch von ihr, "Zeitalter des Überwachungskapitalismus", so überzeugend machen. Die Autorin spricht langsam und ruhig mit didaktisch-dialektischer Formulierkunst: Um 2001 herum herrschte noch erstes begeistertes Staunen: Damals suchten und fanden wir Google – heute sucht und findet Google uns. Dann verwendet sie die "damals so – heute so"-Verkehrungen der Nomina einprägsam eine Zeitlang weiter. Waren fast alle NutzerInnen bis vor einigen Jahren noch völlig fasziniert von den technologischen Möglichkeiten und dem Komfort, den der "Zauber" in unser tägliches Leben und Kommunizieren gebracht hatte, so wendete sich vor kurzem das Blatt. Die Erkenntnis dämmerte zunächst und leuchtet heute immer mehr Menschen ein, dass wir für die bereitwillige Überlassung unserer Daten einen viel höheren Preis als jemals gedacht zu zahlen haben: Nämlich den unserer Demokratie und Freiheit. Es kam die Entwicklung der Fake News, (für die Betroffenen unmerklich) der gesteuerte Hass, die manipulierte Angst und systematische Verdummung, der Aufstieg des Populismus in Amerika und europäischen Ländern, die Aufdeckung von Cambridge Analytica als kommerzielle Steuerungsmaschinerie bei politischen Wahlen.
Wie uns smarte Animationen zur Vereinfachung, Verbesserung und Erleichterung hinter unserem Rücken fest im Griff haben, zeigt ein Beispiel: Ein Studienfreund von Ihnen ist Vater geworden und postet ein Selfie von sich und dem Baby. Das kleine Töchterchen sieht so niedlich aus, dass Sie das Foto liken. Schon bald wird Ihnen Aktionswerbung für einen Schnuller angezeigt – der das Logo Ihrer ehemaligen gemeinsamen Uni trägt – wer könnte bei diesem idealen Glückwunschgeschenk aus dem Uni-Shop widerstehen? Ein soziales Netzwerk hat dank maschinellen Lernens aus persönlichen Daten und Ihrem voraussehbaren Weiterklick-Verhaltens eine Provision erwirtschaftet.
Analytisch auf Marx’schen Spuren
Shushanna Zuboff beschreibt in der Berliner Veranstaltung die Anfänge der Digitalisierung als eine gefühlte Zeit wie "Alice im Wunderland". Doch die tiefgehende Analyse der Betriebsökonomin und Soziologin lässt – durchaus auf Marx’schen Spuren – nicht auf sich warten, wenn sie aufzeigt: Was einerseits etwas vollkommen Neues ist, folgt andererseits der klassischen Wachstumsdynamik des Kapitalismus. Dieser muss bekanntlich auf immer größerer Stufenleiter und globalerer Ausbreitung wachsen (oder braucht halt kriegerische Zerstörung für wieder neue Ausgangsbedingungen).
Das ihm innewohnende Profitstreben versucht den damit unweigerlich einhergehenden Existenzkrisen zu entkommen, indem Anspruch auf immer mehr Dinge erhoben wird, welche bisher außerhalb des Marktes existiert haben. Diese werden dann als zu kaufende und zu verkaufende "Waren" innovativ bestimmt, was mit zunehmender Abstraktion von ihrem Gebrauchswert einhergeht.
Mit den Algorithmen der sozialen Netzwerke wird eine neue Form des Kapitalismus befeuert, der unsere Welt immer stärker beherrscht und kontrolliert. Der gesellschaftliche Wohlstand wird dadurch konzentriert auf wenige Profiteure und dabei auch unsere früher immerhin noch bestehende (Kauf-)Kraft als Konsumenten unmerklich geschmälert. Das heißt, nicht nur die Unfreiheit, sondern auch die Ungleichheit und "Klassenspaltung" in der Gesellschaft wächst rapide.
Shoshana Zuboff ist keine Marxistin, aber sie analysiert marxistisch: Zu Beginn des Kapitalismus traf es massenhaft die Menschen selbst, die sich in Form ihrer "Arbeitskraft" als Handelsgüter auf dem Markt zu verkaufen hatten. Mit der Entwicklung des Finanz- bis hin zum "Casino"-Kapitalismus waren es die reinen Optionen auf spekulative Gewinn- und Verlusterwartungen. Im Überwachungskapitalismus wird wiederum etwas Neues zum Handelsgut erklärt: Er definiert nunmehr persönliche menschliche Erlebnisse und Verhaltensweisen, die bisher in der Privatsphäre vor Marktmechanismen geschützt waren, zum "freien Rohmaterial" von Daten. Diese werden in Produkte umgewandelt werden, die auf neuen Märkten gehandelt werden können.
Dem Gefühl, dass irgendwas falsch läuft mit der Art, wie die Digital-Giganten mit uns umgehen, hat Zuboff mit dem Titel ihres Buches von über 700 Seiten einen Namen gegeben: "Surveillance Capitalism – Überwachungskapitalismus" – mit seinen tiefgreifenden Veränderungen im Sozialen, Politischen, Privaten, Psychischen. Doch, so zeigt sich Zuboff zuversichtlich, unsere Hoffnung, die digitale Zukunft human gestalten zu können, sei noch nicht aufzugeben.
(Wird fortgesetzt)
2 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Die digitale Zukunft human gestalten? Eine gewaltige Aufgabe; mit dem Kampf eines Mikrodavids gegen einen Megagoliath gleichzusetzen.
Der Widerstand gegen den Beginn des Kapitalismus entfachte der Kapitalismus selbst, indem die Ausgebeuteten sich selbst leicht als Ausgebeutete erkennen konnten. Doch in der Digitatur sind sie begeistert von ihrer eigenen Ausbeutung. In der DDR hat man sich noch gegen Spitzel gewehrt, heute kauft man Alexa freiwillig und findet es wunderbar. Was die alles für einen macht...?
Ich fürchte, aus diesem digitalen Daueralptraum will niemand erwachen. Wir outsourcen unser Denken, unsere Kenntnisse, unsere Wünsche und unsere Meinungen. Ist in der Cloud auch viel sicherer... "Cloud" ist dabei ein treffender Ausdruck: Früher wähnte man den Hüter der letzten Geheimnisse auf Wolke 7. Heute trägt die Wolke keine Nummer mehr. Wozu auch? Irgendwann ist sie sowieso die einzige... What a brave new world…
M. Landau am Permanenter Link
»ein ewig attraktiv gebliebener Pop- oder Filmstar bei der Berlinale – mit überwältigender Löwenmähne«.
Eigentlich übergehe ich solche empathischen Ausrutscher in glitschigem Journalistensprech… Die Nummer erinnert jedoch sehr an jene dieser leicht überspannten Mediengroupies die sich mit dem Frisör der Kanzlerin, den jeder kennt, ihrem Bonbonrosafarbenen, knallhart anliegendem, bis auf den letzten Millimeter tailliertem Dingsda befassen, noch eine sinnfreie Bemerkung zur Raute hinterherschieben, aber das was sie sagt - also das worum es eigentlich geht - dem Leser konsequent ersparen. Hier, im Artikel, kommt die Autorin zum Glück dann gleich zur Sache, das macht die 'Bild'-Wirkung wesentlich erträglicher. Was aber hätte Sie wohl an Eloquentem geschaffen, wenn etwa Herr Altmeier dort gestanden hätte? Löwen... Aber lassen wir das 8-) Jetzt lese ich erst einmal worum es wirklich geht :)