Der technische Fortschritt gibt dem Menschen immer effektivere Werkzeuge an die Hand – doch unter welchen ethischen Kriterien sollten sie eingesetzt werden? Die aktuelle Broschüre der Giordano-Bruno-Stiftung mit dem Titel "WIE muss Technik?" geht dieser Frage nach und untersucht, wie die universellen Menschenrechte im Zeitalter der Digitalisierung verteidigt werden können.
"Im Fokus der Menschenrechte stehen die einzelnen Individuen – nicht Nationen, Religionsgemeinschaften, ethnische Gruppen oder multinationale Konzerne. Diesen zentralen Maßstab einer humanistischen Ethik gilt es zu verteidigen – gerade auch im Hinblick auf die sozialen Veränderungen, die durch die digitale Revolution ausgelöst werden." So heißt es im Klappentext der 16-seitigen Broschüre "WIE muss Technik?", die ab sofort kostenfrei beim gbs-Sekretariat bestellt bzw. über die Website der Giordano-Bruno-Stiftung heruntergeladen werden kann.
Die gbs-Broschüre gibt einen komprimierten Überblick über die ethischen Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen. Gegliedert ist sie in sechs Abschnitte, die u.a. folgende Inhalte behandeln:
(A) Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe
Etwa 60 Prozent der Einzelberufe könnten schon in naher Zukunft teilweise oder ganz von Computern übernommen werden, was nicht nur neue ökonomische Absicherungsmodelle verlangt, sondern auch eine Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Andernfalls steigt nämlich die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der eine Elite das Sagen hat und die Bevölkerungsmehrheit durch billige Produkte und virtuelles "Tittytainment" ruhiggestellt wird.
(B) Bildung, Medienkompetenz und Meinungsfreiheit
Künstliche Filterblasen lassen sich nicht durch Zensur aufheben, sondern durch Vermittlung von Medienkompetenz und Bildung. In diesem Zusammenhang findet sich in der Broschüre eine scharfe Kritik am deutschen "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" sowie an traditionellen Bildungsangeboten, die totes Faktenwissen vermitteln, nicht aber die entscheidende Fähigkeit, die Qualität von Informationen rational und evidenzbasiert einzuschätzen.
(C) Chancen der Informationstechnologie
Einen kritischen Blick auf technologische Entwicklungen zu haben, bedeutet nicht, technikfeindlich zu sein. Tatsache ist: Big Data ist nicht notwendigerweise "böse" und Datensparsamkeit nicht notwendigerweise eine Tugend. Von einem klug geregelten Datenreichtum könnten alle profitieren – allerdings müssen persönliche Daten strikt anonymisiert ausgeliefert werden. Zu groß sind die Schäden, die aus dem Missbrauch sensibler Informationen erwachsen können.
(D) Digitale Selbstbestimmung und innere Sicherheit
Terror und organisierte Kriminalität verunsichern die Gesellschaft und wecken regelmäßig den Ruf nach mehr Überwachung. Doch eine anlasslose, totale Massenüberwachung ist kontraproduktiv: Sie erlaubt es den Observierten, sich als "Nadeln im digitalen Heuhaufen" zu verstecken und schafft eine unkontrollierbare Macht, die jederzeit missbraucht werden kann.
(E) Ethische Konflikte
Es gibt im Bereich der Digitalisierung ethisch hoch problematische Entwicklungen, etwa algorithmische Echokammern, gezielte Desinformation und Zensur, übermächtige Social-Credit-Systeme, Machtkonzentration bei Konzernen oder Behörden, immer perfidere Instrumente der automatisierten Kriegsführung und vieles andere mehr. Es ist wichtig, diese Probleme anzugehen, bevor es dafür zu spät ist. Die Forderungen der Ethik müssen dabei Grundlage unseres Handelns sein, nicht bloß schmückendes Beiwerk.
(F) Formulierung und Durchsetzung digitaler Menschenrechte
Ergänzend zu den Menschenrechtskonventionen der UN sollte eine explizite Anerkennung digitaler Menschenrechte durch die UN-Vollversammlung erfolgen. Hierzu zählen u.a. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, der Schutz vor anlassloser Massenüberwachung sowie der Schutz vor unüberprüfbaren automatisierten Bewertungen. So dürfen Algorithmen Menschen nicht dafür diskriminieren, dass sie von ihren grundrechtlich verbürgten Freiheiten Gebrauch machen.
Grundlage der Broschüre "WIE muss Technik?" war ein Workshop, der von der Giordano-Bruno-Stiftung und dem Humanistischen Pressedienstes im März 2018 in Berlin veranstaltet wurde. Die Leitung des Workshops lag bei Peder Iblher, der auch federführend bei der Erstellung der Broschüre war. Die Diskussion über Humanismus und Transhumanismus, die durch die rasanten Fortschritte der GNR-Technologien (Gentechnik, Nanotechnik, Robotik) befeuert wird, wurde dabei bewusst ausgespart. Die Giordano-Bruno-Stiftung wird sich mit dieser Thematik zu einem späteren Zeitpunkt auseinandersetzen.
Eine gute Gelegenheit, über diese (und andere) Inhalte zu diskutieren, bietet sich im Rahmen des "Stuttgarter Zukunftssymposiums", das im November dieses Jahres unter dem Titel "Mensch bleiben im Maschinenraum" stattfinden wird. gbs-Mitglieder (Beirat, Stifterkreis, Förderkreis) profitieren dabei von einer stark ermäßigten Teilnahmegebühr in Höhe von 45 Euro (inkl. Mittagsbüffet). (Zum Vergleich: Privatpersonen ohne Ermäßigung zahlen für die Teilnahme 95 Euro, Unternehmensvertreter 195 Euro.)
Übernahme von der Webseite der Giordano-Bruno-Stiftung.
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zunächst scheint mir bei diesem hochspannenden Thema unabdingbar: Der Mensch darf durch welche technologische Entwicklung auch immer nie überflüssig werden.
Es gibt sicher viele Tätigkeiten, die eine Art Übergangslösung von der vormodernen zur hochtechnisierten Zeit darstellen. Der Monteur am Fließband z.B., der sicher einen öden Job verrichtete, bis er vom Roboter abgelöst wurde.
Doch es gibt auch sinnvollere Aufgaben, die von Computern, gar KI erfüllt werden können, die mich jedoch zum Zuschauer eines spannenden Geschehens degradieren. Doch dies erfüllt mich nicht mit Befriedigung. Ich möchte selbst aktiv sein, nach Kräften meinem biologisch sinnlosen Leben selbst einen Sinn verleihen.
Für mich ist Technik also bis zu dem Punkt wichtig und richtig, an dem sie dem Menschen hilft, seine Arbeiten besser oder menschenunwürdige Arbeit gar nicht mehr zu verrichten. Falsch wird sie für ab dem Moment, wo sie den Menschen - selbst in befriedigenden Arbeitsbereichen - überflüssig, ja entbehrlich macht, weil Maschinen - sind deren Entwicklungs- und Anschaffungskosten erst einmal amortisiert - billiger arbeiten als Menschen.
Ich greife einen Bereich heraus, in dem ich viele Jahre beruflich tätig war: Die Produktion von Spezialeffekten für Film und Fernsehen. Als ich Anfang der 80er-Jahre damit begann, betrat ich Neuland in Deutschland, weil der klassische Autorenfilm kein ausreichendes Budget für derartige Effekte hatte. So waren es anfangs eher TV-Spots und Arbeiten für internationale Spielfilme, die meinen Service brauchten. Ich habe dabei höchst innovativ gearbeitet, d.h. ich habe einerseits den klassischen Modellbau perfektioniert und einen computergesteuerten Kamerakran (Motion Control) entwickelt, der amerikanischen Vorläufermodellen überlegen war.
Gleichzeitig habe ich sogenannte "In-camera-effects" verfeinert, um kostengünstiger zu produzieren als bei der Effektmontage mittels optischem Printer. So wurde ich mehr und mehr von Fernsehsendern nachgefragt, um für viele Dutzend TV-Produktionen (überwiegend Dokus) Welten filmisch zu erschaffen, die real nicht verfilmbar waren.
Das Ganze war, trotz regelmäßig sehr kleiner Budgets, auch künstlerisch auf hohem Niveau, weil ich sehr emotionale Bilder kreierte, weshalb ich von einigen Produzenten auch gebucht wurde. Doch als der Computer Einzug in die Medienlandschaft hielt, wurde die Luft für Qualität dünner. Selbst die anfangs deutlich höheren Kosten digitaler Bildbearbeitung und trotz sichtbar schlechterer Qualität verdrängte diese Technik das Handwerk, WEIL die modern war, WEIL die digital war. Und weil eine mächtige Industrie dahinterstand, die mit allen Mitteln den Markt infiltrierte.
Das Endergebnis sind heute Filme, die überborden vor Digitaleffekten, die letztlich den Spezialeffekt zum "Normaleffekt" degradiert haben, wodurch er seine Wirkung fast völlig eingebüßt hat. Selbst wenn die Effekte mittlerweile technisch besser wurden, haben sie viel ihrer emotionalen Kraft eingebüßt und wurden ein stückweit belangloser.
Hier hat die Digitalisierung nicht nur mein Lebenskonzept zerstört, sondern der Medienindustrie einen Bärendienst erwiesen. Wie lange noch wollen Zuschauer die immer gleichen Effekte mit leicht divergierenden Rahmenhandlungen und teilweise entbehrlichen Schauspielern sehen?
Neulich las ich einen Kommentar zu einem alten Film. Sinngemäß: Dieser Film stammte aus einer Zeit, in der man noch eine gute Story brauchte, um Erfolg zu haben. Heute reicht ein Megacomputer und viel Tamtam...
Stefan Dewald am Permanenter Link
Habe ich das übersehen, oder fehlt „The Digital Gap“ in der Broschüre? Also, dass man online Dinge kaufen kann, die es offline nicht gibt. Oder online merklich günstiger sind als offline.
Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Die Rechte des einzelnen Menschen stehen in Ihrer Broschüre im Mittelpunkt; das finde ich ausgezeichnet und notwendig.
Ulrike Dahmen
Thomas am Permanenter Link
"Warum muss die Broschüre als Titel ausgerechnet die ohne Verb formulierte Frage "WIE muss Technik?" bekommen."
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Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Sich auf einen Reklameslogan von wem auch immer zu beziehen, finde ich mehr als fragwürdig
Thomas am Permanenter Link
Das ist Ihnen unbenommen, aber auch ziemlich egal.
Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Schade, dass Sie sich mit Ihrem Geschmack absolut setzen (das ist ziemlich egal, dekretieren Sie einfach).
Thomas am Permanenter Link
"Schade, dass Sie sich mit Ihrem Geschmack absolut setzen"
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Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Sicher habe ich große Wissenslücken, Sie sind wahrscheinlich noch sehr jung oder Lehere, dass Sie das peinlich finden. - Ich entahalte mich eglichen weiteren Urteils
Thomas am Permanenter Link
Wie ich kürzlich lesen durfte, habe ich das Seniorenalter bereits errreicht.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Der Mensch muss das Heft des Handelns in der Hand behalten. Schon heute ist bei mancher Entwicklung fraglich, ob dieser Grundsatz noch Bestand hat.
Dieter Bauer am Permanenter Link
Eine Entwicklung hin zu sogenannter künstlicher Intelligenz erfährt einen immensen Schub, sind erst mal die Quantenbit-Computer in größerem Stil einsatzbereit.
Religionsgötter sind dann endgültig außen vor, denn sogenannte künstliche Intelligenz kennt keine Emotionen, keine Moralbegriffe.