Anlässlich des fünften Jahrestags des Anschlags auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo fordern die "Reporter ohne Grenzen" (ROG) gemeinsam mit zwei Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen die Regierungen sowie internationale Organisationen weltweit auf, Journalistinnen und Journalisten gegen Angriffe aufgrund von religiöser Intoleranz zu schützen.
Auf einer Pressekonferenz in Paris am vergangenen Montag (6. Januar) verurteilten der Generalsekretär der internationalen Organisation von Reporter ohne Grenzen (ROG), Christophe Deloire, sowie der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Ahmed Shaheed, sowie der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye (über Video zugeschaltet), den weltweiten Anstieg von religiöser Intoleranz und Hassrede. Diese seien die Grundlage für die systematische Verletzung der Grundrechte von Medienschaffenden sowie von gewaltsamen Angriffen auf sie.
"Die Staats- und Regierungschefs der Welt haben aus dem Angriff auf Charlie Hebdo nichts gelernt", so die gemeinsame Erklärung. "Wir erinnern sie – speziell auch diejenigen unter ihnen, die am 11. Januar 2015 in Paris gegen Terrorismus und für die Meinungsfreiheit auf die Straße gegangen sind – daran, dass nicht nur Journalistinnen und Journalisten, Karikaturistinnen und Karikaturisten geschützt werden müssen, sondern auch deren Recht, Weltanschauungen zu kritisieren."
Insbesondere fordert ROG gemeinsam mit den UN-Sonderberichterstattern, dass bei internationalen Initiativen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten der Aspekt der religiösen Intoleranz berücksichtigt wird. Alle UN-Mitgliedstaaten sollten daher den Tatbestand der Blasphemie entkriminalisieren, wie es die Bemerkungen des UN-Menschenrechtsausschusses, der Aktionsplan von Rabat, und die Resolution 16/18 der UN-Vollversammlung vom März 2011 nahelegen. Das Thema sollte zudem in den kommenden UN-Resolutionen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten erwähnt werden und in der von UN-Generalsekretär Antonio Guterres im Juni 2019 angestoßenen Strategie zu Hassrede eine zentrale Rolle spielen.
"Keine der bisherigen UN-Resolutionen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten hat die Gefahr erwähnt, die von religiöser Intoleranz ausgeht", sagte ROG-Generalsekretär Christophe Deloire. "Egal ob dies aus Unachtsamkeit oder absichtlich geschehen ist: Dieses Versäumnis, eine der größten Bedrohungen des Journalismus anzusprechen, muss korrigiert werden."
"Ich denke nicht, dass Demokratie und Menschenrechte existieren können ohne das Recht, Blasphemie zu betreiben", sagte der Anwalt von Charlie Hebdo, Richard Malka, auf der Pressekonferenz in Paris am Montag. Er zeigte sich besorgt, dass sich die Situation in den fünf Jahren seit dem Anschlag verschärft habe: "Wer traut sich denn heute noch, Religionen zu kritisieren? Das Recht auf Blasphemie muss anerkannt und durchgesetzt werden."
"Heute mehren sich beunruhigende Anzeichen, dass wir die Meinungsfreiheit nicht so hochhalten, wie wir es nach dem Anschlag behauptet haben", sagte der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit Ahmed Shaheed. "Wir müssen ungerechtfertigte Einschränkungen der Meinungsfreiheit aufheben. Das gilt vor allem für die Länder, in denen Blasphemiegesetze am häufigsten und härtesten angewendet werden."
"Die Möglichkeit von Debatten sollte nicht das Privileg von Demokratien sein", sagte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit David Kaye. "Blasphemiegesetze werden in einigen Teilen der Welt benutzt, um Bedrohungen zu untermauern."
"Es gibt nicht nur das Recht, jegliche Weltanschauung zu kritisieren, ohne Rücksicht auf den Glauben oder die Befindlichkeiten anderer zu nehmen – solche Kritik ist notwendig", fügte Elizabeth O’Casey von Humanists International hinzu. "Wir müssen uns stark machen für Meinungsäußerungen, die anderen auf die Nerven gehen, sie herausfordern und sie den Status quo und die herrschenden Machtverhältnisse hinterfragen lassen."
Nur wenige Fortschritte bei der Entkriminalisierung von Blasphemie
Seit 56 Staats- und Regierungschefs sowie Vorsitzende internationaler Organisationen am 11. Januar 2015 in Paris für Meinungsfreiheit und gegen Terrorismus demonstrierten, hat sich in den Blasphemie-Gesetzgebungen weltweit wenig getan.
Laut Humanists International haben seit 2015 nur acht Länder Blasphemie-Gesetze abgeschafft. In 69 Ländern ist Blasphemie demnach weiterhin strafbar. Gotteslästerung wird in Saudi-Arabien mit körperlicher Züchtigung bestraft, in Ägypten mit Haftstrafen oder der Todesstrafe. Auch in sechs weiteren Ländern droht die Todesstrafe: in Mauretanien, Brunei, Pakistan, Iran, Afghanistan und Somalia. Abfall vom Glauben, ein Vorwurf, der immer wieder gegen Journalistinnen und Karikaturisten vorgebracht wird, ist in 18 Ländern strafbar; in 12 davon droht potenziell die Todesstrafe.
In einigen Ländern wurde die Gesetzgebung sogar verschärft. So sind in Brunei seit 2019 für Blasphemie, Abfall vom Glauben, Homosexualität und Ehebruch Bestrafungen durch Auspeitschung, Stockhiebe oder Tod vorgesehen. In Mauretanien wurden die Gesetze derart verschärft, dass auf gotteslästerliche Äußerungen oder Abfall vom Glauben automatisch die Todesstrafe steht.
In Europa hat die Entkriminalisierung von Blasphemie seit 2015 die größten Fortschritte gemacht. Norwegen schaffte sein entsprechendes Gesetz bereits 2009 ab, doch nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo nahm die Debatte um die Blasphemie-Gesetze in vielen Ländern Europas an Fahrt auf. 2015 wurde das Blasphemie-Gesetz in Island auf Initiative der Piratenpartei abgeschafft. In Frankreich war Blasphemie in der nationalen Gesetzgebung schon seit 1881 nicht mehr strafbar, die Region Alsace-Moselle zog aber erst 2017 nach. In Malta wurde Blasphemie 2015 entkriminalisiert, in Dänemark 2017, in Irland 2018 und in Griechenland 2019. Auch Kanada und Neuseeland änderten ihre Gesetze im vergangenen Jahr entsprechend.
In Deutschland ist bis heute die "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" dann strafbar, wenn sie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Ein ähnliches Gesetz existiert auch in Österreich.
Gekürzte und leicht geänderte Version einer Verlautbarung der Reporter ohne Grenzen vom 7. Januar 2020
9 Kommentare
Kommentare
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
„Glaubens-Infizierte“ verwirklichen mit ihrem Glauben [...] den Tatbestand der Blasphemie !?:
https://www.youtube.com/watch?v=YxAS0n-pnRM
Gruß von
Klarsicht(ig)
Marianne Mauch am Permanenter Link
„Dieses Video umfasst Inhalte von Demon Music. Es ist in deinem Land nicht verfügbar.“ ->?
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Es tut mir leid, wenn ein Problem bestanden haben sollte. Ich denke, dass nunmehr kein Problem mehr vorhanden ist. Jedenfalls scheint YouTube das Video entsperrt zu haben.
Gruß von
Klarsicht(ig)
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dieser Hirnvernagelte Glaube an ein erfundenes Wesen weltweit ist das größte Übel unserer
Möglich ist dieser Zustand nur durch das permanente Dummhalten der Bevölkerung, damit merken diese nicht was mit Ihnen geschieht und wie sie manipuliert werden und das alles nur zum Erhalt der Macht derer die davon profitieren.
A.S. am Permanenter Link
Jegliche Autorität der Priester, ihre gesamte Macht, steht und fällt mit dem Glauben der Menschen an Gott.
Wer diesen Schwindel hinterfragt, kritisiert oder öffentlich macht, muss aus ihrer Sicht zumindest mundtot gemacht werden. Hierzu dienen die Blasphemie-Paragraphen in immer noch viel zu vielen Ländern. Schwindler MÜSSEN ihren Schwindel vor Enttarnung schützen - oder selber das Weite suchen.
@Klarsicht(ig): Ich teile die Dawkinsche Modell-Vorstellung vom Religionsvirus nicht.
Ich sehe Religion als allerschwerste Psycho-Manipulation. Gläubige sehe ich nicht als Religions-Infizierte, sondern als mittles Religion psychologisch manipulierte Menschen.
Die psychische Manipulation von Kindern, die unter dem euphemistischen Namen "religiöse Erziehung" daher kommt, verdient meiner Meinung nach die Bezeichnung: "Psychologische Vergewaltigung".
Verglichen mit der systematischen psychologischen Vergewaltigung von Schutzbefohlenen sind die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch nur "Peanuts".
Worum es bei Religion geht? Um die Macht der jeweiligen Priester, sonst nichts.
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Der von mir verwendete Begriff „Glaubens-Infizierte“ dient mir als Kurzbezeichnung für den Hirnzustand eines Menschen, dessen Gedanken- und Gefühlswelt durchweg bereits seit frühester Kindheit zumindest partiell mit d
Gruß von
Klarsicht(ig)
A.S. am Permanenter Link
Hallo Klarsicht(ig), soweit verstanden, soweit OK.
Sobald die Menschen verstehen, dass sie nicht gläubig geboren werden, sondern von anderen Menschen gezielt gläubig GEMACHT werden, haben sie einen großen Schritt in Richtung Aufklärung getan. Pfarrer/Imame/Rabbiner/Sektenführer machen mit einem geplanten Procedere Menschen zu ihren Gläubigen.
Ingrid Schmall am Permanenter Link
Blasphemiegesetze sind menschenrechtswidrig, da sie sich grundsätzlich auf jeden anderen Glauben, jede andere Religion beziehen.
Alle Länder, die die Scharia über die allgemeinen UN_Menschenrechte stellen, erklären damit gleichzeitig die UN_Menschenrechte für ungültig.
Scharia und UN_Menschenrechte schließen sich gegenseitig aus.
Heine am Permanenter Link
«strafbar [...] wenn sie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören"»
Steht nicht in der Bibel, Jesus habe gesagt „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“?