Rezension

Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen

Egal, ob Klimawandelleugner, Flache-Erde-Anhänger, völkische Antisemiten oder Covid-19-Verharmloser: Viele von ihnen glauben, dass im Verborgenen operierende Mächte die Geschicke der Welt lenken.

Die Verschwörungstheorie ist für diese Menschen nicht mehr das, was zu beweisen ist, sondern eine Grundvoraussetzung für ein darauf aufbauendes geschlossenes Weltbild. Häufig geht der Hinwendung zu derartigen Theorien ein Ereignis voraus, aufgrund dessen die Verschwörungsgläubigen das Gefühl der Kontrolle über ihr Leben verloren haben. So schreiben es die Autorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem kürzlich erschienenen Buch.

Die unter Verschwörungsgläubigen so häufig gestellte suggestive Frage Cui bono? – Wem nützt es? – wird hier den Anhängern dieser Theorien selbst gestellt. So wird darauf hingewiesen, dass der Kopp Verlag, der unter anderem Bücher zu konspirativen Themen auf den Markt bringt, pro Jahr mehr als 20 Millionen Euro Umsatz machen soll. Unter dessen Publikationen finden sich dann Absurditäten wie die "Panspermien-Strategie": Aliens sollen sich angeblich mit unseren Vorfahren genetisch vermischt haben. Es wäre zum Totlachen gewesen, wenn man den Hinweis überlesen hätte, dass Menschen über den Kauf derartiger Produkte schnell in den finanziellen Ruin getrieben werden können.

Man erfährt bei der Lektüre, dass Rechtsextreme und Rechtspopulisten unter der Verwendung von Verschwörungstheorien die mangelnde Fähigkeit von Mitmenschen, mit den Mehrdeutigkeiten des Lebens klarzukommen, für ihre antiplurale Agenda ausnutzen. Dabei bedienen sie sich der "Querfront-Strategie": Sie fischen auch in traditionell von Linken besetzten thematischen Gewässern wie Ökologie, Kapitalismuskritik oder Antiamerikanismus nach neuen Anhängern. Da Linke gewachsenen Machtstrukturen traditionell kritisch gegenüberstehen, hat eine gegen "die da oben" gerichtete Strategie auch einigen Erfolg.

Cover

Das Buch beschäftigt sich auch kritisch mit der Rolle von Facebook, Youtube & Co. Zu Recht wird bei einer erhaltenen Information empfohlen, nach deren Ursprung, der jeweiligen Expertenansicht zum Thema sowie der Seriosität des Mediums zu fragen. Kritisch anzumerken ist hier allerdings: So eine Anleitung kann nur eine erste Wahrscheinlichkeitseinschätzung darüber geben, ob eine Information valide ist. Letzten Endes hängt die Güte eines Arguments nicht davon ab, wer es in welchem Medium äußert und ob Autoritäten dies genau so sehen. Man darf nicht vergessen: Die Spezielle Relativitätstheorie wurde von einem einfachen Angestellten des Berner Patentamtes entworfen und trotz ihrer Publikation in den renommierten "Annalen der Physik" von prominenten Physikern über Jahre hinweg angegriffen. Zugegebenermaßen ist so etwas eher die Ausnahme.

Aber: Wenn ein Vortrag, der den menschengemachten Klimawandel bestreitet, so kompliziert gehalten ist, dass der gemeine Zuhörer ihn nicht versteht, bedeutet dies eben nicht zwangsläufig, dass sein Inhalt korrekt ist – so sehr dies dem Wunsch nach Verdrängung dieses Problems auch entgegenkäme. Wenn man bedenkt, dass gemäß Angabe im Buch Interessengruppen mit circa sieben Milliarden US-Dollar zwischen 2003 und 2010 die Leugnung des Klimawandels finanziert haben sollen, kehrt sich auch hier die Frage nach dem Cui bono? gegen diejenigen, die sie aufgeworfen haben.

Eine offene Frage bei der Lektüre des Buches bleibt die Rolle der traditionellen Religion für die Popularität von Verschwörungstheorien. Viele gläubige Christen waren beim Brand der Notre Dame zunächst davon überzeugt, dass der Brand eine Attacke von Islamisten gegen christliche Kultstätten wäre. Das macht sie noch nicht zu Verschwörungsgläubigen. Denken im Gut/Böse-Ingroup/Outgroup- Schema kann jedoch für Verschwörungstheorien empfänglich machen. Gut möglich ist, dass Religiosität so lange vor Verschwörungsdenken schützt, wie zufällig eintretende Ereignisse im persönlichen Leben der Gläubigen die der Religiosität zugrundeliegenden Glaubenssätze nicht infrage stellen. In den Fällen jedoch, in denen Menschen von vornherein nicht von einer solchen Attacke überzeugt waren, lag das schlicht daran, dass sie gelernt hatten, derartige Ereignisse unter der Zuhilfenahme der Werkzeuge der Aufklärung – Logik und Empirie – zu betrachten.

Die im Buch vorgestellten Vorschläge zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen sind noch ausbaufähig: Das hierfür vorgestellte "Fünf-Phasen-Modell" des (1.) Wahrnehmens und (2.) Interpretierens der Situation, des (3.) Übernehmens von Verantwortung, des (4.) Einschätzens der eigenen Fähigkeiten sowie als finalen Schritt des (5.) einschreitenden Handelns wirkt trivial. Allerdings wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema noch nicht sehr weit fortgeschritten sind.

Ferner wird zwar zum einen betont, dass reale Verschwörungen wie zum Beispiel der "Cum-Ex-Skandal" existieren. Was nicht geschrieben wurde: Die reale Existenz von Verschwörungen in der Argumentation mit Verschwörungsgläubigen auch zuzugeben, ist strategisch wichtig. Denn identitätsschützende Kognition wird leichter überwunden, wenn man dem Gegenüber dort recht gibt, wo er recht hat. Zu Recht wird gefordert, dass es zunächst Ziel sein muss, Verschwörungsgläubige "in eine Phase der Ambivalenzen" zu bringen, anstatt sie "gleich vollends zu überzeugen".

Darüber hinaus zeigt zum anderen die Erfahrung, dass die Heterogenität menschlicher Interessen es Verschwörern schwermacht, alle für die Erreichung ihres Zieles wesentlichen menschlichen Reaktionen in ihre Planung einzubeziehen. Verschwörer fahren gewissermaßen auf einer holprigen Straße im Nebel auf Sicht und bauen dann irgendwann einen Unfall. Auch auf diesen Umstand wird im Buch hingewiesen. Das Anführen von weiteren historischen Beispielen wäre zur Untermauerung dieser Tatsache sicherlich hilfreich gewesen. So konnten Cassius und Brutus ihren geplanten Mord am römischen Alleinherrscher Caesar in die Tat umsetzen. Als die Schlacht bei Philippi dann aber verloren ging, begingen die beiden Verschwörer Selbstmord.

Richtig ist wiederum der Appell am Schluss des Buches, eigenes Wissen und eigene Haltungen ständig zu hinterfragen. Dies gilt natürlich auch für die Autorinnen selbst. So geht die Methode des gezielten Fragestellens zum Zweck der Beseitigung irriger Vorstellungen nicht wie behauptet auf Platon, sondern auf Sokrates zurück. Platon hingegen steht mit seinem Werk "Der Staat" prototypisch für totalitäre Vorstellungen. Bei diesem "Fake Fact" würde der zu Anfang des Buches erwähnte Karl Popper sich sicherlich im Grabe umdrehen. Wer die offene Gesellschaft befürwortet, sollte sich ihrer historischen Fürsprecher und eben auch ihrer historischen Feinde bewusst sein.

"Du musst es tragen – ungesichertes Leben"1, schrieb Kurt Tucholsky in einem seiner Gedichte. Wir alle wollen Erklärungen für das, was in unseren Leben geschieht. Das Klammern an Utopien aller Art oder an irrationalen Glaubenssätzen blendet jedoch die Tatsache aus, dass es so etwas wie einen "historischen" oder "göttlichen" Plan nicht gibt. Wir sollten bereit sein, den sich der menschlichen Kontrolle entziehenden "Zufall" als einen entscheidenden Faktor für die Entwicklung von Geschichte zu akzeptieren. In dieser fehlenden Akzeptanz bei Verschwörungsgläubigen liegt eine wesentliche akute Gefahr für die heutige Demokratie. Auf diese Gefahr aufmerksam gemacht und somit eine breite Debatte eröffnet zu haben, ist ein entscheidendes Verdienst dieses Buches.

Der re:publica-Vortrag von Katharina Nocun und Pia Lamberty zu ihrem Buch "Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen":

Pia Lamberty / Katharina Nocun: Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, ISBN-10: 3869950951, ISBN-13: 978-3869950952, Quadriga Köln; 2. Aufl. 2020 (15. Mai 2020), Gebundene Ausgabe: 352 S., 19,90 Euro

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  1. Aus dem Gedicht: "Heute zwischen gestern und morgen", u. a. in Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden, Band 10. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1975, S. 90–91. ↩︎