Nachdem interne Streitigkeiten über Facebooks Umgang mit Hassrede im Allgemeinen und einer Aussage Donald Trumps im Speziellen im letzten Monat hochgekocht waren, formiert sich unter den Werbepartnern nun ein breiter Widerstand gegen die Firmenpolitik von CEO Mark Zuckerberg.
Ein einziger Satz brachte die Lawine ins Rollen: Anfang Juni kündigten mehrere Mitarbeiter*innen, hunderte hielten einen virtuellen Streik ab, Konzernchef Zuckerberg sah sich zu einer Brandrede an seine Angestellten genötigt. Grund dafür war ein Tweet des US-Präsidenten zu den aktuell laufenden Demonstrationen: "Wenn das Plündern beginnt, beginnt auch der Beschuss." Trump zitierte hier, laut eigener Aussage unwissentlich, einen Polizeichef aus Miami, der 1967 mit dieser Aussage zur gewaltsamen Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung in Florida aufrief.
Nun mag man sagen: Twitter ist aber doch nicht Facebook, und hat Recht damit. Doch die internen Konflikte Facebooks wegen fragwürdiger Inhalte und Werbeanzeigen schwelen schon länger. Im Interview mit CNN spricht Timothy Aveni, bis vor kurzem als Softwareingenieur für die Implementierung von Faktenchecks zuständig, über seine Wahrnehmung der Missstände: "Ich denke, [Zuckerberg] traut sich nicht, Haltung zu zeigen, wenn es wirklich, wirklich zählt. Und das besorgt mich, denn ich weiß nicht, wie viele Chancen auf Verbesserung wir noch erhalten werden. Ich denke, wir sehen das Land [die USA] einen sehr gefährlichen Pfad beschreiten."
Aveni bezieht sich hier auf eine Aussage Zuckerbergs an der Universität von Georgetown aus dem Jahr 2019:
"Wir unterziehen politische Werbeanzeigen keinem Faktencheck. Wir tun dies nicht, um Politiker*innen zu helfen, sondern weil wir denken, dass die Menschen aus erster Hand erfahren sollten, was Politiker*innen zu sagen haben. Ich weiß, dass viele dem nicht zustimmen, aber ich denke nicht, dass eine private Firma in einer Demokratie das Recht hat, politische Aussagen oder Nachrichten zu zensieren."
Firmen ziehen Werbeanzeigen zurück
Auf der mittlerweile einige internationale Schwergewichte zählenden Liste der Unterstützer des Boykotts finden sich Giganten wie Verizon, HP und Coca-Cola. Auch deutsche Unternehmen haben sich dem Werbeboykott unter der Fahne #StopHateForProfit inzwischen angeschlossen. Dazu gehören unter anderem die Firmen Volkswagen, Henkel, Puma und SAP.
Doch auch zahlreiche Unternehmen, die nicht offiziell die Bewegung unterstützen, entziehen dem Unternehmen, zu dem auch die beliebten Dienste WhatsApp und Instagram gehören, Werbegelder. Microsoft, im Jahr 2019 mit einem monatlichen Budget von fast zehn Millionen Dollar Facebooks drittgrößter Werbekunde, kündigte an, im Juli vollständig auf Werbung bei Facebook und Instagram verzichten zu wollen. Starbucks, Facebooks sechstgrößter Werbekunde mit einem Budget von knapp 95 Millionen Dollar im Jahr 2019, erklärte, sämtliche Werbeanzeigen auf allen sozialen Medien für einen Monat auszusetzen.
Die Pressemitteilungen der Boykotteure lassen mitunter kein gutes Haar an der Firmenpolitik Zuckerbergs. So zitiert USA Today The Hershey Company, einen der weltgrößten Schokoladenfabrikanten: "Wir glauben nicht, dass Facebook angemessen gegen Hassrede und Ausgrenzung auf der Plattform vorgeht. Unzähligen Ankündigungen zum Trotz sehen wir noch immer keinen bedeutsamen Wandel."
In das gleiche Horn stößt auch der Softwareriese SAP in einem Statement, das dem Handelsblatt vorliegt: "Er [der Boykott] ist ein wichtiger Bestandteil unseres Einsatzes für soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung. Für einen nachhaltigen Wandel müssen auch wir unsere Rolle auf Plattformen hinterfragen, die systematisch die Verbreitung von Hass und Rassismus fördern."
Zuckerberg gelobt (mal wieder) Besserung
In einem Post vom 26. Juni umreißt der Facebook-Konzernchef seinen Fahrplan für die Eindämmung von Desinformation und Hassrede, mit speziellem Augenmerk auf die US-Präsidentschaftswahl Ende des Jahres. Eine vollständige Übersicht der Maßnahmen findet sich beim Spiegel.
Abgeschafft würden laut Zuckerberg alle Werbeanzeigen, nach denen Menschen einer bestimmten "Ethnie, nationalen Herkunft, Religion, Kaste, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder eines bestimmten Einwanderungsstatuts eine Bedrohung für körperliche Sicherheit, Gesundheit oder das Überleben anderer darstellen". Eingewanderten und Geflüchteten soll keine Werbung mehr angezeigt werden, die sie als minderwertig oder nicht-menschlich darstellt. Weiterhin sollen ab sofort, wie auch auf Twitter üblich, Warnhinweise vor Posts von Politiker*innen gesetzt werden, wenn diese gegen die Regeln des Netzwerks verstoßen, Gewalt verherrlichen oder Falschinformationen enthalten. Bisher wurden aus der Politik stammende Posts weder auf Richtigkeit noch auf Rechtmäßigkeit geprüft.
Man muss sich diese Anzeigenpolitik Facebooks verbildlichen, um ihre perfide Natur zu verstehen: Migrant*innen bekommen Werbung angezeigt, allzu häufig politische Werbung von Parteien oder einzelnen Abgeordneten, in denen sie auf üble Weise diffamiert, als Schmarotzer und als Kriminelle bezeichnet werden. Nicht, weil jemand das explizit so will, sondern weil der Algorithmus den Inhalt der Werbeanzeigen quasi wertungsfrei untersucht und zu dem Ergebnis kommt, dass diese Thematik Migrant*innen betreffe. Die Diffamierung wurde entmenschlicht, objektiviert und automatisiert. Dieses offensichtliche Paradoxon ist das digitale Äquivalent zu einem fiktiven Lautsprecherwagen der AfD, der durch Berlin-Neukölln heizt und Sätze wie "Messermänner abschieben!" durch die Nachbarschaft blökt. Was in der Realität unmöglich scheint, ist auf Facebook Teil der Programmierung.
Quo vadis, Facebook?
Diese Analogie wirft die Frage auf: Was ist Facebook eigentlich? Aus dem Gespräch mit Aveni, ebenso aus Zuckerbergs Aussagen und der Rede vor seinen Mitarbeitern, geht hervor, dass der Konzern an einem Scheidepunkt steht. Das bisherige Selbstverständnis eines wertneutralen Dienstebereitstellers, der keinerlei Verantwortung oder Haftung für das, was Einzelne mit seinem Angebot machen, übernehmen will, erodiert in Rekordgeschwindigkeit.
Der Werbeboykott trifft den Konzern an seiner empfindlichsten Stelle – der Geldbörse – und bietet ein eindrückliches Beispiel für den in einem anderen hpd-Artikel angeschnittenen Selbstzensurmechanismus moderner Medien: Facebook ist eine Incorporated, also eine Aktiengesellschaft, und als solche einzig der Mehrung des Vermögens der Aktionäre verpflichtet. Aufgrund der aufmerksamkeitsökonomischen Struktur sozialer Medien ist es für den Konzern also vollkommen logisch, absurde Werbung wie am obigen Beispiel dargestellt zu schalten, denn diese erhöht das Involvement der Nutzer*innen. Diese Methode der Profitmaximierung wird so lange angewendet, bis sich die gesellschaftliche Stimmung dahingehend verändert, dass der Imageschaden schwerer wiegt als der potentielle Gewinn.
Medien sind nicht vom fortwährenden gesellschaftlichen Diskurs dessen, was erwünscht ist und was nicht, abgekoppelt. Soziale Medien noch viel weniger. Im Gegenteil, wir müssen begreifen, dass sie mittlerweile der Grund und Boden geworden sind, auf dem dieser Diskurs stattfindet: Facebook ist ein öffentlicher Raum geworden, ein Forum, wie es die antiken Griechen nannten und wie die Orte der Zusammenkunft im Internet tatsächlich auch bezeichnet wurden, bevor jemand den Begriff "Social Media" erfand. Die Menschen tauschen sich auf der Plattform aus, erhalten dort ihre Nachrichten, shoppen, oder trinken einen Kaffee beim Chat über die Urlaubsfotos. Facebook hat sich nun, da es auch einen Marketplace hat, endgültig zur digitalen Version einer Innenstadt entwickelt.
Dies bringt uns zurück zu Zuckerbergs Rede zum Selbstverständnis Facebooks: Ob eine private Firma das Recht hat, politische Aussagen zu kategorisieren und zu kontextualisieren, ist eine sehr gute Frage. Doch vielleicht zäumen wir das Pferd von der falschen Seite auf. Vielleicht ist die eigentlich relevante Frage nicht, ob und wie man eine private Firma dazu verdonnern kann, die Inhalte auf ihrer Plattform zu prüfen. Vielleicht ist die Frage, die wir uns stellen müssen, ob die Konstruktion Facebooks als privates Unternehmen an sich noch zeitgemäß ist. Formulieren wir diese Frage in den Worten eines Angestellten, der Facebook Anfang Juni verließ: "Wollen Sie [Zuckerberg] sich wirklich hinter der Ausrede verstecken, Facebook sei noch immer ausschließlich ein Kommunikationsmedium? Sehen Sie nicht, dass wir seit Gründung das Verhalten zweier ganzer Generationen maßgeblich beeinflusst haben?"
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich überlege schon länger zu migrieren.
M.S. am Permanenter Link
Erinnert ein wenig an die Software eines hiesigen Berufsinformationszentrums vor über zwanzig Jahren. Gab man da an, einen Beruf "mit Tieren" zu suchen, war einer der ersten Treffer: Metzger.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Ob das so glaubwürdig ist?
»Denn dieser Boykott findet im Sommer statt. Jener Zeit also, in der die Werbeaktivitäten in vielen Branchen schon in normalen Jahren erheblich zurückgefahren werden. Auch ist der Anteil jener scheinbar so großen Marken am Werbeumsatz bei Facebook nicht so groß, wie bei klassischen Medien.
[…]
Hinzu kommt Corona: Ohnehin haben viele Unternehmen ihre Werbespendings deutlich zurückgefahren. «
https://www.indiskretionehrensache.de/2020/06/bluewashing/
Mark am Permanenter Link
Diesen Firmen könnten Facebook zwingen alle Meldungen zu zensieren die ihnen nicht gefallen. Daran sollte jeder Denken.
David Z am Permanenter Link
Mal wieder schrecklich gesinnungsethisch argumentiert. Leute, wo soll das noch hinführen, wenn wie kleinen Kindern gleich nur der Affekt im Vodergrund steht und die Konsequenzen gar nicht mehr durchdacht werden.
"Ich denke, [Zuckerberg] traut sich nicht, Haltung zu zeigen, wenn es wirklich, wirklich zählt. Und das besorgt mich, denn"
Facebook und Twitter sind keine Plattformen, auf denen nur "Haltung" und davon auch nur eine ganz bestimmte Platz hat.
Diese Apps sind Medien des Austausches. Austausch kann gut oder schlecht sein, er kann richtiges oder falsches beinhalten. Und sicher kann es dabei auch zu strafrechtlichen Äusserungen kommen, die dann auch strafrechtlich verfolgt werden sollten.
Aber das, was hier geschieht, ist die Forderung nach Zensur, direkt oder indirekt. Und das hat mit demokratischer Meinungsfreiheit nichts zu tun und ist der direkte Weg in das Gegenteil dessen, was sich die Befürworter erhoffen.
Lars Temme am Permanenter Link
Lieber David Z,
ich kann mich Ihnen nur anschließen. Diese kindischen Forderungen der letzten Zeit, "Hass im Netz" zu verbieten, sind Ausdruck eines infantilen Zensurbedürfnisses von Leuten, die mit abweichenden Meinungen nicht klarkommen. Wir sollten Möglichkeiten schaffen, strafrechtlich Relevantes von Gerichten sanktionieren zu lassen. Alles andere, wie unwillkommen es uns auch sei, hat nicht zensiert zu werden, selbst vermeintliche Falschnachrichten! Im Zweifelsfall muss vor Gericht eine Gegendar- oder Richtigstellung erkämpft werden.
Zensur ist der falsche Weg; private oder gar Konzernzensur der noch fälschere. Worauf wir setzen sollten, ist die Entwicklung von Medienkompetenz bei jedem einzelnen Mitglied unserer Gesellschaft. Die hilft nämlich sogar dann noch weiter, wenn Zensurmaßnahmen sich längst auch gegen die eigene Meinung richten, was schneller kommen kann, als mancher Gesinnungsethiker es sich träumen lässt.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
"....ich denke nicht, dass eine private Firma in einer Demokratie das Recht hat, politische Aussagen oder Nachrichten zu zensieren."
Diese Haltung würde ich mir auch von anderen Medienunternehmen wünschen.