Pastafarianismus als demokratische Selbstverteidigung

Die Geschichte des Österreichers Niko Alm ging um die Welt. Der Anhänger der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters kämpfte um das Recht, auf seinem Führerscheinfoto eine religiöse Kopfbedeckung tragen zu dürfen: ein Nudelsieb. Oft wird die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters für einen Jux gehalten, doch der sogenannte Pastafarianismus hat einen tieferen Sinn und einen ernsten Zweck.

"Pastafaris tragen ein Nudelsieb als Kopfbedeckung!" Diese plötzliche Gewissheit überkam mich ich, als ich vor über zehn Jahren den Entschluss fasste, als Mitglied der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters meiner Religion, dem Pastafarianismus, auch auf meinem Führerscheinfoto Ausdruck zu verleihen. So wie das Anhänger anderer Religionen mit ihren Hüten und Kopftüchern auch machen, indem sie von ihrem Sonderrecht zum Tragen religiöser Kopfbedeckungen Gebrauch machen. Es war, als hätte mich in diesem Moment das Fliegende Spaghettimonster (FSM) mit Seinen Nudeligen Anhängseln berührt, um mir das mitzuteilen. Ich wurde damit Zeuge des seltenen Ereignisses, dass eine gelebte Glaubenslehre durch eine persönliche transzendente Erfahrung erweitert wird – noch dazu in meiner Person.

Lehren und Riten von Religionen waren nicht immer da, es sind menschliche Erfahrungen und Traditionen, die laufend neu entstehen, sich ändern, angepasst werden und auch wieder verschwinden. Sie tauchen plötzlich auf, werden in die Tradition integriert und entwickeln sich zu religiös geprägter Kultur. So wurde auch das Nudelsieb auf dem Kopf zur akzeptierten und weltweit gelebten Praxis bei den Pastafaris.

Organisierte Religion

Der Pastafarianismus und die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters sind erst 15 Jahre alt. Das ist für eine Religion sehr jung. Aber auch Scientology ist noch keine 100 Jahre alt, den Islam gibt es knapp 1.400 Jahre, und der Katholizismus, das Judentum oder der Buddhismus sind nicht viel älter. Sie alle überdauerten in der Geschichte der Menschheit bislang nur eine vergleichsweise kurze Spanne. Trotzdem mehr als genug Zeit, Lehren zu systematisieren und Gläubige zu organisieren.

Es gibt keine nicht-organisierte Religion. Religion ist immer organisierte Religion. Sie ist gleichzeitig auch Kultur und Ideologie. Und sie ist vor allem auch eine Gemeinschaft, die hinter einer Glaubenslehre konstituiert. Religionen sind menschliche Gewerke, die sich letztendlich immer auch eine besondere Position im organisierten Gemeinwesen des Staates sichern wollen.

Das Verhältnis von Staat und Religion

Eine Wall of Separation zwischen Republik und Religion, wie sie im First Amendment der amerikanischen Verfassung normiert ist, ist ein historischer Glücksfall, der auf die Staatsgründung während der Aufklärung zurückzuführen ist, der keine starke (monarchische) Verbindung von Staat und Kirche vorausgegangen ist, die wie in Europa erst gelöst werden musste. Dass die realpolitische Verbindung von Religiosität und Politik in den USA stark und die Wall of Separation in der Praxis löchrig ist1, darf nicht vergessen werden. Aber die institutionelle Verbindung ist in Europa wesentlich stärker ausgeprägt, auch weil es die unvorbelastete Ausgangslage einer Tabula rasa für die Republiken, die sich aus ihren monarchistischen Wurzeln befreiten, nicht gab. Die Verstrickung von Religion und Staat ist in Europa historisch weit fortgeschritten, vielfältig und komplex – ein unlösbarer Gordischer Knoten.

Eine neue Partnerschaft

Der mit der Aufklärung auch in Europa einsetzende Trennungsprozess von Kirche und Staat wurde nur in wenigen Staaten – wie etwa Frankreich mit dem Trennungsgesetz von 1905 – wirklich abgeschlossen. Nach dem Ersten Weltkrieg nutzte die katholische Kirche geschickt eine politisch instabile Situation auf dem Kontinent, um eine neue "Verpartnerung von Staat und Kirche" mit den faschistischen Systemen in Italien, Österreich und Deutschland durchsetzen. Die sogenannten Konkordate sind spezielle völkerrechtliche Verträge, die der katholischen Kirche in Form des Heiligen Stuhls (entspricht in etwa dem Vatikan) besondere Privilegien einräumten. Dadurch war der Katholizismus auf einmal Vertragspartner auf Augenhöhe.

In protestantisch geprägten Staaten war das Bild wiederum ein anderes, die nordischen beziehungsweise skandinavischen Staaten unterhielten traditionell noch bis in dieses Jahrtausend Staatskirchen. Trotzdem zählen die Bevölkerungen im Norden Europas zu den gottlosesten überhaupt.2 In Osteuropa übertauchte das Christentum mancherorts den Kommunismus, um jetzt seinen politischen Einfluss speziell in Polen und Russland wieder geltend zu machen. Manche Staaten, etwa Tschechien oder Slowenien, nutzten nach dem Zerfall des Ostblocks aber ihre neuen demokratischen Verfassungen dazu, eine Trennung von Staat und Religion festzuschreiben.

Trotz weitreichender Einbindung organisierter Religion ist den europäischen Staaten mit wenigen Ausnahmen aber gemein, dass Religiosität im Gegensatz zu den USA weitgehend in den Hintergrund getreten ist.

Falsche Neutralität – Die Pastafaris wehren sich

Die weit überdurchschnittliche Ungläubigkeit europäischer Gesellschaften führt in den meisten Staaten Europas aber nicht zur Einstellung der historischen Privilegierung von Religion. Viele europäische Länder versuchen ihre religiös-weltanschauliche Neutralität dadurch vorzutäuschen, mit komplizierten Konstruktionen eine ideologische Äquidistanz herzustellen, indem sie den privilegierten Status von Religion durch Aufnahme und Anerkennung neuer Gemeinschaften erweitern. Auf der Strecke bleiben dabei zwangsweise kleinere und jüngere Religionsgesellschaften wie zum Beispiel die Pastafaris und fast schon selbstverständlich andere nicht-religiöse weltanschauliche oder humanistische Organisationen. Eine rechtliche Gleichwertigkeit der Ideologien ist somit nur für diejenigen gegeben, die Mitglied des Clubs sind. Das ist ungerecht.

Ist Pastafarianismus eine echte Religion?

Beispielbild

Der US-amerikanische Filmemacher Mike Arthur hat die rechtlichen Auseinandersetzungen und den Weg einiger Pastafaris in den Niederlanden, Deutschland und Österreich in seiner Dokumentation "I, Pastafari" nachgezeichnet. Der Film erscheint am 7. Juli weltweit.

Um die gleichen Sonderrechte (beispielsweise Schulunterricht, Steuererleichterungen, Subventionen) wie etablierte Religionen zu erhalten, durchliefen die Pastafaris in Österreich seit 2014 einen Anerkennungsprozess durch alle Instanzen des Rechtsstaats. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Antrag 2018 schlussendlich abgelehnt, der Verfassungsgerichtshof das Urteil 2019 bestätigt.3 Eine Beschwerde gegen dieses höchstrichterliche Urteil beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte läuft seit November 2019.

Sehr oft wurde in diesem Verfahren die Frage gestellt, was eine "echte" Religion sei. Das österreichische Gesetz normiert eindeutig, was zur Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft notwendig ist: Es muss ein Kultus vorliegen, eine Organisation mit mindestens 300 Mitgliedern und ein Transzendenzbezug. Alles davon ist bei den Pastafaris gegeben.4 Das hatte der Richter am Bundesverwaltungsgericht auch festgestellt, alleine die "Gemeinschaft" (ein von ihm erfundenes Kriterium) war ihm zu wenig ausgeprägt. Letztendlich konnte er aber im Wesen des Pastafarianismus keinen Unterschied zu traditionellen Religionen erkennen. Es gibt auch keinen.

Pastafaris definieren sich selbst als religiöse Glaubensgemeinschaft. Die Basis für ihre Lehren bilden per definitionem unbeweisbare Behauptungen, wie sie im Kern jeder Religion zu finden sind. Das macht den Glauben aus. Das unterscheidet Glauben von Wissenschaft, deren Aussagen mit Logik und Empirie überprüfbar gemacht werden. Bei Glaubensfragen ist das nicht möglich. Dass der Pastafarianismus von der Republik Österreich unmissverständlich als "Religion" – wenn auch nicht als "religiöse Bekenntnisgemeinschaft" – anerkannt wurde, ist zumindest ein Teilerfolg der langjährigen Auseinandersetzung vor Gerichten.5

Spiegel der Gesellschaft

Die Herausforderung des Rechtsstaats und der Gesellschaft durch den Pastafarianismus besteht letztendlich darin, religiöse Privilegien in Frage zu stellen, indem die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters diese Sonderrechte für sich selbst einfordert. Warum gibt es für manche Religionen aus Gewissensgründen Ausnahmen aus sonst allgemeingültigen Gesetzen?6 Pastafaris formulieren diese Frage durch ihre Handlungen vermeintlich satirisch, doch bei genauerem Hinsehen ist die Motivation irrelevant. Ob Katholiken tatsächlich glauben, ob Muslime rein traditionell oder ob Pastafaris durch Humor oder Subversion in ihrem Handeln bewegt werden, darf für eine gleichberechtigte Behandlung durch den Rechtsstaat keinen Unterschied machen. Genauso wie die Aussage "Ich trage eine Bombe mit mir" vom Sicherheitspersonal des Flughafens nicht als Satire eingestuft werden darf, sondern ernst genommen werden muss.

Die Rechtssysteme unterscheiden sich auf nationaler Ebene ganz stark, deswegen ist die Pastafarische Bewegung auch völlig verschieden ausgeprägt. Bei meinem Besuch bei den russischen Pastafaris erlebte ich einen hohen Organisationsgrad pastafarianischer Gemeinden, auch weil die Anerkennung auf kommunaler Ebene leicht möglich ist. In Österreich, Polen und in den Niederlanden versuchen Pastafaris die Gleichbehandlung mit anderen Religionen über den Rechtsweg durchzusetzen. Und in Italien, UK oder Deutschland konzentriert sich diese junge, schnell wachsende Religion eher um die Etablierung neuer Traditionen. Aber wir ziehen schlussendlich doch alle am selben Nudeligen Anhängsel unseres kohlenhydratreichen Gottes.


(1) Siehe auch: Moore, Laurence R.; Kramnick, Isaac: Godless Citizens in a Godly Republic.

(2) Der Soziologe Phil Zuckerman hat über Schweden und Dänemark ein Buch geschrieben mit dem Titel "Society without God: What the least religious nations can tell us about contentment." (New York University Press)

(3) https://pastafari.at/anerkennungsverfahren/

(4) Siehe dazu auch das exzellente Buch von Daniela Wakonigg und Winfried Rath: Das Fliegende Spaghettimonster – Religion oder Religionsparodie? https://www.alibri-buecher.de/Buecher/Religionskritik/Daniela-Wakonigg-Winfried-Rath-Das-Fliegende-Spaghettimonster::606.html

(5) In den USA reicht es hingegen aus, die Religion anzumelden. Ein derartiges Verfahren gibt es gar nicht.

(6) Ich empfehle das Buch von Brian Leiter: "Why Tolerate Religion?" (Princeton University Press)


Der US-amerikanische Filmemacher Mike Arthur hat die rechtlichen Auseinandersetzungen und den Weg einiger Pastafaris in den Niederlanden, Deutschland und Österreich in seiner Dokumentation "I, Pastafari" nachgezeichnet. Der Film erscheint am 7. Juli weltweit:

www.ipastafaridoc.com

Niko Alm spielt in diesem Film eine nudelsiebtragende Rolle. Der Autor, Medienmanager und frühere Abgeordnete zum Nationalrat im österreichischen Parlament ist selbst Pastafari. In seinem Buch "Ohne Bekenntnis - Wie mit Religion Politik gemacht wird" (Residenz Verlag) widmet er sich der Trennung von Republik und Religion.

Unterstützen Sie uns bei Steady!