Aufklärung und Kritik 4/2020 erschienen

Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik, der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg, ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zu Verfügung gestellt.

Liebe Leserinnen und Leser,

Am Beginn steht ein "Plädoyer für die Entwicklung eines neuen sensus communis in der offenen Gesellschaft", wie der Untertitel zu Prof. Dr. Harald Seuberts Aufsatz "Kontextuelles Denken" heißt. Ausgehend von der gegenwärtigen Problemlage in der Gesellschaft, gekennzeichnet von Populismus, Technokratie, Selbstbestätigung in Filterblasen und mangelnder Debattenkultur bis in die Universitäten hinein, begibt der Autor sich auf die Suche nach Lösungsbeiträgen der Philosophie und entwickelt das kontextuelle philosophische Denken. Auf der Basis der Kant'schen Trias von Maximen entwickelt er eine Philosophie, die "an der Zeit ist, ohne ausschließlich zeitgenössisch zu sein."

In seinem Beitrag "Kritischer Rationalismus: Nach allem Scheitern der Letztbegründung von Wissen" setzt sich Prof. Dr. Jürgen Daviter mit der Frage nach dem "Besitz der Wahrheit" auseinander. Während der Fallibilismus in der (Natur-)Wissenschaft vor Sackgassen bewahrt, besteht in gesellschaftlichen Zusammenhängen die Gefahr eines Abgleitens in Kulturrelativismus, dem nur mit einer universalistischen Perspektive wirksam begegnet werden könne, um vernunftbezogene, verantwortliche Meinungsbildung zu erreichen.

In ganz anderer Art und Weise bezieht sich der Text "Karl Poppers problematische Sichtweise der Induktion" von Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster auf den kritischen Rationalismus. Der Autor vergleicht verschiedene Aussagen Poppers zur Gültigkeit, Anwendbarkeit und Rationalität der Induktion in dessen Werken und weist darin eine gewisse Widersprüchlichkeit nach.

Mit "Der Anfang der Ethik" unternimmt Prof. Dr. Dr. Reinhard Hesse den Versuch, eine seit 2019 bestehende Debatte, ausgelöst durch seinen Aufsatz gleichen Titels, zu einem vernunftbetonten, ausgleichenden Ende zu bringen.

In ihrem Artikel "Normalität und Anderssein. Hochsensibilität im gesellschaftlichen Kontext" reflektiert Prof. Dr. Dagmar Fenner über die Konzepte der "Normalität", des "Andersseins" sowie von "Krankheit" und "Behinderung" und ordnet dann das Phänomen der Hochsensibilität in diesen Bezugsrahmen ein. Dabei legt sie besonderen Wert auf das sozialethische Prinzip der Gerechtigkeit.

Bei Dr. Christian Dries verbirgt sich hinter dem ungewöhnlichen Titel "'I have much better judgment than she does' oder warum es die Urteilskraft nicht gibt" eine genealogische Untersuchung des Begriffs "Urteilskraft". Sein Ziel ist es, diesen "Schlüsselbegriff der Moderne" aus soziologischem Blickwinkel zu betrachten und seine Herkunft, Historie und Wirkung zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Bereichen zu analysieren, um ihn so – aufgeklärt über seine Schattenseiten – für zukünftige Debatten zu retten.

Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie wurden sämtliche Vortragsveranstaltungen bis Jahresende verschoben. Wie es ab Januar weitergeht, ist derzeit noch offen.

Den aktuellen Stand finden Sie immer unter www.gkpn.de.
Das Russell-Symposium wurde auf den 6.11.2021 verschoben. Anmeldung & Info unter russell-symposium.de.

Es folgen nun drei Artikel, die je eine Fortsetzung von in Aufklärung und Kritik 3/2020 begonnenen Texten bilden. Zunächst lässt Ludwig A. Minelli im Teil 2 seines großen Artikels "Vom Tabu zum Menschenrecht" die Leser teilhaben an den wichtigsten Stationen der Enttabuisierung und Entkriminalisierung des assistierten Suizids. Er schildert die Gründung des Schweizer Vereins Exit, die Entstehung des Vereins Dignitas, die Anerkennung des Menschenrechts auf ein selbstbestimmtes Lebensende in der Schweiz 2006 und zeigt dann den jahrelangen, instanzenreichen Klageweg in Deutschland bis zur Verkündung des Menschenrechts auf menschenwürdiges Sterben am 20. Februar 2020.

Darauf folgt Teil 2 von "Das Fremde, das Andere, das Du – ein Spaziergang" der Autoren Dr. Michael Mehrgardt / Malte J. Mehrgardt. Während im ersten Teil aufgezeigt wurde, dass wir das Fremde brauchen, um menschlich nicht zu verkümmern, werden in diesem zweiten Teil unsere eigenen Grenzen – seien sie durch die Sprache, seien sie durch die "Weltbilder" vorgegeben – ausgeleuchtet und fremden Ansätzen gegenübergestellt, um so eine Befreiung von unseren "Doxa" anstreben zu können.

Den Abschluss der Fortsetzungsreihe bildet der zweite Teil von Jule Steinerts "Auf der Suche nach dem Undarstellbaren: Eine romantische Foucault-Lektüre". Darin untersucht die Autorin kenntnisreich und auf vielfältige Weise, wie Foucault die philosophische Stoßrichtung und inhaltlichen Schwerpunkte der in Teil 1 vorgestellten Romantiker aufnimmt und sich immer wieder deren Schreibstrategien bedient. So zeigt sie, welche Bedeutung dies in "Wahnsinn und Gesellschaft" für Foucaults philosophische Entwicklung gewinnt und welche weitere Sicht uns auf sein Werk dadurch ermöglicht wird.

Die nächsten drei Artikel zeigen philosophische Perspektiven auf gesellschaftliche Probleme. So untersucht Denis Bobanović in "Trugschluss der unzutreffenden Bedrohung. Vom aktuellen Nichtvermögen des Aufdeckens totalitaristischer Mechanismen" die Gründe, warum die Aufklärungsarbeit über den Nationalsozialismus relativ wenig effektiv bezüglich neuer totalitaristischer Tendenzen ist. Dabei geht er vom oben genannten "Trugschluss" aus und zeigt dessen vielfältige Wirkungen auf.

Rachid Boutayeb unternimmt in seinem Beitrag den Versuch der "Beantwortung der Frage: Was ist Terrorismus?". Darin lässt er Autoren der europäischen und der nordafrikanischen beziehungsweise arabischen Kultur zu Wort kommen und weist vielfältige Bedingungen der Entstehung des islamischen Terrorismus nach – von Folgen der Globalisierung und (Neben-)Wirkungen des Kapitalismus über die europäische Haltung des Kulturitarismus als Überbleibsel des Kolonialismus bis hin zum traditionellen arabisch-islamischen Verhältnis zu "Autorität", um nur einige zu nennen.

Eine Vision eines nachkapitalistischen Naturverhältnisses entwickelt Prof. Dr. Fritz Reheis in seinem Aufsatz "Der Natur ihre Zeit lassen: Regenerativität, Reproduktivität und Resonanz – eine zeitökologische Perspektive". Darin legt er besonderen Wert auf eine Änderung der Bewertung von Prozessen, zum Beispiel von einer Abfallwirtschaft hin zu einer Vorsorgewirtschaft, und auf das sich daraus ergebende veränderte Verhältnis zur Natur als unserer Lebensgrundlage.

Das FORUM wird eröffnet von Prof. Dr. Dr. Dr. Roland Benedikter, der in seinem Beitrag "Spiritueller Realismus" den Spuren einer nach dem Ende der Dekonstruktion neu entstehenden Metaphysik nachgeht.

Alte Spiritualität, überliefert in Heiligen Büchern, und ihre Wirkungen bis heute untersucht Prof. Dr. Anton Grabner-Haider in "Heilige Bücher als Zeitbomben?"

Mit einem dieser Heiligen Bücher, nämlich der Bibel, setzt sich Prof. Dr. Hartmut Heuermann in seinem Artikel "Psychoterror und Gewalt: Die dunkle Seite der Bibel" auseinander.

Einen ganz anderen Blick auf Gewalt eröffnet Dr. Claudia Simone Dorchain mit ihrem Text "Gewalt, Exzess, Mimesis: René Girard und das Blaubart-Motiv", nämlich einen, der das archaisch-menschliche Phänomen "Gewalt" ausleuchtet.

Dr. Bruno Heidlberger macht "Anmerkungen zu Daniel Hornuffs 'Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft' im Lichte aktueller Entwicklungen" und stellt seine Folgerungen vor.

In "Fluchten ins Autoritäre im Lichte aktueller Entwicklungen. Teil 1" fasst Dr. Bruno Heidlberger die Abläufe der aktuellen Pandemie zusammen und zeigt wichtige, in dieser Zeit verstärkt aufgekommene philosophische und politische Konfliktlinien auf.

In "Griechisches Ethos und Deutscher Kapitalismus. Zum dialektischen Begriff ihrer Vereinigung bei Hölderlin" stellt Dr. Clemens K. Stepina einen neuen Ansatz der literaturphilosophischen Hölderlinforschung vor.

Der Beitrag "'Erfolgsleere': Das Funktionärsmodell auf dem Prüfstand" von Dr. Frank Witzleben beinhaltet eine Rezension des Buches "Erfolgsleere", erweitert um eine Diskussion des dort dargestellten Standpunkts.

Unter der Überschrift "Nietzsches Skandaltext: die 'blonde Bestie' als Provokation?" stellt Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt den von Andreas Urs Sommer im Rahmen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Band 5/2 des Nietzsche-Kommentars vor.

Eine Reihe von interessanten Rezensionen und Buchvorstellungen schließen diese Ausgabe ab.

Hiermit wünsche ich Ihnen im Namen der gesamten Redaktion eine angenehme und anregende Lektüre.

Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12 Euro, zuzüglich 2,50 Euro Verpackung und Porto).

Mitglieder der Gesellschaft für kritische Philosophie erhalten alle kommenden Ausgaben und Sonderhefte von Aufklärung und Kritik kostenlos zugeschickt.

Unterstützen Sie uns bei Steady!