USA: Legale Abtreibung in Gefahr

Eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 1973 ermöglicht in den Vereinigten Staaten Schwangeren eine legale Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Eine Entscheidung, die von rechten und religiösen Gruppen immer wieder angegriffen wurde. Mit der Bestätigung der christlich-konservativen Richterin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin Ruth Bader Ginsburgs am Obersten Gerichtshof könnte diese Entscheidung nun aufgeweicht werden oder gar fallen.

Gestern Abend fiel die Entscheidung des US-Senats in Washington zugunsten der von Präsident Donald Trump vorgeschlagenen christlich-konservativen Richterin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg. In der Abstimmung sprachen sich 52 republikanische Stimmen für sie aus, 47 demokratische und die einer republikanischen Senatorin gegen sie.

Damit stehen nun sechs konservative Richter*innen im Obersten Gerichtshof drei liberalen gegenüber. Drei der konservativen wurden von Donald Trump eingebracht. Bis zum Tode Bader Ginsburgs waren es zumindest nur fünf konservative zu vier liberalen, wobei der konservative Richter Stephen Breyer sich bisweilen den liberalen Kolleg*innen in seinen Entscheidungen anschloss.

Diese neue Besetzung des Obersten Gerichtshofes könnte die rechtliche Lage beispielsweise in Bezug auf Waffen, Abtreibung oder Verhütung noch über viele Jahre hinweg beeinflussen, denn die Richter*innen werden auf Lebenszeit ernannt. Zudem hat der Oberste Gerichtshof die endgültige Berufungsgerichtsbarkeit für alle Bundes- und Bundesstaatsgerichtsfälle inne.

Die neue Richterin am Obersten Gerichtshof, die 48-jährige Amy Coney Barrett, gilt als konservative Christin, die Abtreibung ablehnt. Obwohl sie sich zu kontroversen Fragen wie ihrer Position zu Schwangerschaftsabbrüchen bei Befragungen vor ihrer Ernennung zur Supreme Court-Richterin eher zurückhaltend äußerte, scheint ihre Position, Abtreibungen so weit wie möglich zu erschweren, klar.

Selbstbestimmungsbefürworter*innen beobachten aktuell 15 Fälle, welche Fragen zu Schwangerschaftsabbrüchen beinhalten, die von untergeordneten Gerichtshöfen zum Obersten Gerichtshof weitergegeben werden könnten. Einer von ihnen, welcher den Zugang zu Medikamenten für eine frühe Beendigung einer Schwangerschaft beschränken sollte, wurde wieder an die unteren Gerichtshöfe zurückverwiesen, um womöglich erneut an die höchste Instanz weitergegeben zu werden, wenn Coney Barrett im Amt ist.

Totalverbot in einigen Bundesstaaten steht im Raum

Aktuell erlaubt das als "Roe vs. Wade" bezeichnete Grundsatzurteil aus dem Jahre 1973 legale und medizinisch begleitete Schwangerschaftsabbrüche bis zur 24. Woche. Erst danach dürfen Bundesstaaten Abtreibungen verbieten, wobei es Ausnahmen geben muss, sollte Leben oder Gesundheit der Schwangeren in Gefahr sein.

Immer wieder greifen rechte und christliche Gruppen diese Entscheidung an. Ihr Einfluss geht so weit, dass einzelne Bundesstaaten bereits versucht haben, ihre Gesetzgebung zu verschärfen, um an den Obersten Gerichtshof verwiesen zu werden und "Roe vs. Wade" womöglich zu kippen.

So hatten zum Beispiel Ohio und Alabama versucht, das Recht auf eine legale Abtreibung abzuschaffen. Im Angesicht der Gefahr hatte New York sich dazu entschlossen, den Zugang zu medizinisch begleiteten und legalen Schwangerschaftsabbrüchen zu schützen.

Der gegensätzliche Umgang von Ohio und New York mit der Frage zeigt, wie es in den USA aussehen könnte, wenn die "Roe vs. Wade"-Entscheidung fällt: Die einen Bundesstaaten – besonders der Süden und der mittlere Westen – könnten auf Verbote bis hin zum Totalverbot selbst bei gesundheitlichen Gefahren für die schwangere Person oder bei Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung setzen, während andere Bundesländer Schwangeren den Zugang zu legaler Abtreibung sichern würden.

Obwohl ein Abbruch in den ersten Schwangerschaftswochen in den USA noch legal ist, sind die Hürden bereits jetzt unterschiedlich hoch. So stellt sich nicht nur die Frage danach, wie weit die nächste Klinik entfernt ist, die Abtreibungen durchführt, sondern auch danach, welche Regeln diese Kliniken erfüllen müssen. Gerade für finanziell ärmere Menschen kann es bereits jetzt sein, dass ein medizinisch begleiteter Schwangerschaftsabbruch kaum möglich ist, weil das Geld für Anreise und Versorgung zu knapp ist, sie der Arbeit nicht lang genug fern bleiben oder Kinder nicht betreuen lassen können.

Auch weitere Aspekte der Selbstbestimmung sind in Gefahr

Neben der legalen Abtreibung könnten weitere Lebensbereiche durch die neue Besetzung des Obersten Gerichtshofes in die Gefahr einer christlichen Beurteilung kommen. So könnten zum Beispiel die Fragen nach dem legalen Zugang zu bestimmten Verhütungsmitteln oder gar die künstliche Befruchtung sowie gleichgeschlechtliche Partnerschaften vor den Obersten Gerichtshof kommen.

Obwohl die Mehrheit der Katholik*innen sich gegen ein Verbot von Abtreibungen ausspricht, gibt es doch zahlreiche christliche Gruppen, die sogar einige Verhütungsmittel als Abtreibung einstufen, weil sie die Einnistung eines befruchteten Eis in die Gebärmutter verhindern. Die Vertreter dieser Auffassung möchten nicht nur gern den Zugang zu Empfängnisverhütung – selbst für Verheiratete – beschränken, sondern auch die künstliche Befruchtung. Dabei werden zumeist mehrere befruchtete Eier eingesetzt, aber nicht zwingend alle ausgetragen, um die Chance auf die Geburt zumindest eines Kindes zu erhöhen.

Präsident Trump dürfte über den Einzug seiner Favoritin in den Obersten Gerichtshof höchst erfreut sein, unterstützt er doch nicht nur die Anliegen von Abtreibungsgegner*innen, sondern erhofft sich von der neuen Besetzung des Supreme Courts auch Hilfe bei einer Anfechtung des Wahlergebnisses, sollte er im November nicht wiedergewählt werden.

Außerdem erhofft er sich Entscheidungen in seinem Sinne gegen die von seinem Amtsvorgänger Barack Obama etablierte und als "Obamacare" bezeichnete Krankenversicherung sowie bei der Offenlegung seiner Steuerangelegenheiten, die er hartnäckig verweigert.

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