Die Corona-Pandemie, Sekten und Freikirchen

Die Coronapandemie ist für religiöse, spirituelle und esoterische Gemeinschaften eine große Herausforderung. Viele wurden auf dem falschen Fuß erwischt, denn sie mussten rasch auf das globale Ereignis reagieren; organisatorisch, seelsorgerisch und religiös. Denn nun sollten sie rasch beweisen, was ihre Heilskonzepte taugen.

Auf der organisatorischen Ebene standen alle Glaubensgemeinschaften vor ähnlichen Problemen. Wie halten wir in dieser Krisenzeit die Kommunikation mit den Gläubigen aufrecht? Wie spenden wir ihnen Trost und Zuversicht, wenn physische Treffen im größeren Verband nicht mehr erlaubt sind?

Noch schwieriger war für die Kaderleute der Glaubensgemeinschaften und sektenartigen Gruppen, die Pandemie spirituell einzuordnen. Denn eines ist für die meisten klar: Zufall oder Unfall kann die Ausbreitung des Coronavirus nicht sein, interpretieren sie doch einschneidende weltliche Ereignisse stets auch aus religiöser Perspektive.

Die Pandemie ist für sie ein höheres Zeichen oder deutet auf einen Paradigmenwechsel, eine reinigende Entwicklungsphase, ein apokalyptisches Signal oder eine Prüfung Gottes hin.

Damit erinnern viele problematische spirituelle und esoterische Gruppen an Verschwörungstheoretiker. Es ist denn auch kein Zufall, dass beide Lager deutliche Sektenmerkmale aufweisen.

Das spezielle Problem der Freikirchen

Wie sehen die Interpretationen und Strategien einzelner Gemeinschaften und Bewegungen aus? Besonders gefordert sind die christlichen Freikirchen, die über den ganzen Globus verteilt sind und eine dogmatische bis radikale Heilslehre vertreten.

Sie können die Coronapandemie nicht isoliert vom Glauben betrachten. Denn in ihren Augen greift der Schöpfer direkt ins Weltgeschehen ein. Gott hat also auch bei der Pandemie irgendwie die Finger im Spiel.

Bei den meisten Gläubigen weckt das Coronavirus Assoziationen an die Apokalypse. Denn viele Freikirchen predigen, wir würden in den letzten Tagen leben. Damit schüren sie eine Endzeit-Sehnsucht, die von der Bibel genährt wird. Denn das Buch der Bücher erklärt mehrfach, dass Seuchen und Katastrophen die Endzeit ankündigen. Das nährt die Idee der Strafe Gottes zusätzlich.

Angst vor dem Virus haben viele Gläubige nicht, denn sie fühlen sich als auserwählt und von Gott beschützt. Etliche Freikirchen halten sich deshalb nicht an die Coronamaßnahmen und treffen sich im Geheimen zu Gottesdiensten. So werden Gläubige zu Superspreadern.

"Jesus Christus kommt wieder!"

Die Freikirche Chrischona Liestal zum Beispiel listet unter dem Titel "Endzeit und Corona" die aktuellen Endzeit-Trends auf und zieht den Schluss: "Wenn diese Dinge zu geschehen beginnen, richtet euch auf und fasst Mut, denn dann ist eure Erlösung nahe." Fazit der Freikirche: "Jesus Christus kommt wieder!"

Für viele esoterische und spirituelle Gruppen ist die Pandemie ein Weckruf und ein Signal, die Bindungen an die irdische Realität zu überwinden und die geistige Transformation zu forcieren. Sie glauben, durch Meditation das Immunsystem stärken zu können und nicht mehr ansteckbar zu sein.

Sie haben vor Monaten eine weltweite Meditationsaktion gestartet, um das Virus "auszulöschen". Viele tragen denn auch keine Masken, gehören zu den Verschwörungstheoretikern und verharmlosen das Virus. Gebracht hat die Meditationsaktion nichts. Weitere Pandemiewellen rollten an. Auch in dieser Szene prägt der Aberglaube das Bewusstsein der Anhänger.

Wenn der Tod zur heiligen Entscheidung wird

Beispielhaft sind auch die geistigen Durchsagen, die das Medium Shelley Young von Erzengel Gabriel durch Channeling erhalten haben will. Wörtlich:

"Ihr seid in ein neues Jahr und ein neues Jahrzehnt eingetreten, bereit zur Transformation, und es ist eurer Sorgfalt und eurem Fleiss zu verdanken, dass genau diese nun stattfindet. Dieser Virus ist keine Strafe. Er ist eine Gelegenheit für viel Wachstum, Neubalance und Veränderung."

Weiter verkünde der Erzengel, es werde Menschen geben, die den Körper aufgrund dieses Virus verlassen, sprich, daran sterben: "Der Übergang ist eine unfassbar heilige und seelenbasierte Entscheidung, so wie es auch eure Geburtsdaten sind." Schließlich behaupte das himmlische Wesen:

"Pandemien und Epidemien bieten den Menschen Übergangspunkte, die manche für sich annehmen werden und manche nicht, aber sie gehen immer einer Zeit grosser Veränderungen auf dem Planeten voraus. Sie bieten vielen Menschen eine Chance zur Neubewertung auf einer Seelen-Ebene."

Die Pandemie als Geldsegen

Auch für Geistheiler und Vertreter der Alternativmedizin ist die Pandemie eine Herausforderung. Sie versuchen, ihre Klienten mit magischen, übersinnlichen oder naturheilkundlichen Maßnahmen zu stärken oder zu heilen.

Es gibt rund 500 verschiedene Therapien, für die es allesamt keine wissenschaftlichen Belege für ihre Heilmethoden gibt. Das gilt auch für die anthroposophischen und homöopathischen Therapien und Pillen.

Für viele Anbieter ist die Pandemie ein pekuniärer Segen. Dass viele ihrer Patienten die Impfung verweigern, ist eine unerfreuliche Nebenwirkung für die Allgemeinheit, die sich eine Herdenimmunität und Ausrottung des Virus erhofft.

Für Scientology kommt die Pandemie zur Unzeit. Die Sekte verkündet ebenfalls apokalyptische Vorstellungen. Gründer Ron Hubbard glaubte, nur er und seine Kolonnen könnten die drohende Endzeit abwenden. Damit dies gelinge, müsse ein großer Teil der Menschheit scientologisch werden, fantasierte der verstorbene Sektengründer.

Die Pandemie, die apokalyptische Ängste weckt, erinnert die Scientologen daran, dass sie noch weit weg vom Ziel einer scientologischen Zivilisation sind. Dies dürfte ihre apokalyptischen Ängste verstärken. Zumal die Pandemie ihre Missionsmöglichkeiten einschränkt.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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