Kommentar: Klarnamen erwünscht

Schluss mit der Anonymität!

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Der Autor Jürgen Roth plädiert dafür, auch in Kommentaren unter Artikeln im hpd und anderen Medien den richtigen Namen zu nutzen. Nur so sei eine Verständigung auf Augenhöhe möglich.

Als Autor einiger Artikel im hpd freue ich mich über kritische Anmerkungen zu Inhalt und Form meiner Texte. Vermutlich geht es anderen Autorinnen und Autoren ähnlich. Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, der Meinungsäußerung zu entgegnen. Oftmals schmuggle ich so einen Punkt in die Debatte, der im ersten Beitrag zu kurz gekommen oder den ich mir bewusst für die Diskussion aufbewahrt habe. Lebendige Demokratie und lebendige Auseinandersetzung gehören zusammen wie Topf und Deckel.

Leider hat sich – weniger beim hpd aber leider auch dort – die allgemeine Unsitte eingeschlichen, sich hinter anonymen Kunstnamen zu verstecken. Mich ärgert es, in Foren auf allen Ebenen die Ergüsse von "Hanswurst" oder "Pelikan" lesen zu müssen. Zumeist ist derartige Anonymität dann eine Art Freibrief für die Verbreitung von Unverschämtheiten und persönlicher Anmaßung – alles eingetunkt in eine niveaulos verrotzte Sprache.

Angesichts dieser Sintfluten von Hasstiraden stellen "Spiegel-Online" und andere Foren immer häufiger ihre Server ab, weil die Debatte allzu unterirdisch geworden ist. Das passiert regelmäßig bei Themen, die besonders emotionsgeladen sind. Minderheiten wie Flüchtlinge und andere Gruppen und Personen werden dann unter dem Schutz der Anonymität leicht zur Beute unmäßiger Äußerungen. So kann und darf es nicht weitergehen.

Über die Ursache dieser Verwahrlosung der politischen Auseinandersetzung in den Internetforen und die damit einhergehende Verrohung der Sprache gibt es allerlei Theorien. Ich selbst verspüre indes keine Lust, mich als Hobbypsychologe zu versuchen. Es ist auch nicht die Aufgabe des öffentlichen Diskurses, individuelle Defizite bis zum Anschlag zu bedienen und auch noch der letzten Psychose gerecht zu werden. Dafür steht geschultes Personal zur Verfügung.

Wir erleben seit geraumer Zeit ein unglückliches Zusammentreffen recht unterschiedlicher Strömungen und Traditionen. Da ist die – jüngere – Netzbewegung mit ihrer Neigung, natürliche Personen durch Kunstfiguren zu ersetzen und sich so gleich mit neu zu erfinden. Zu diesem Kult gesellt sich ein kläglicher Restbestand der 70er-Jahre-Bewegung "Das Persönliche ist politisch – das Politische ist persönlich". Vor diesem verquasten ideologischen Hintergrund wird dann der politische Diskurs in der Öffentlichkeit mit der gleichen Wollust geführt wie der persönliche Krach mit der Schwiegertochter.

Ärgerlich ist die anmaßende Haltung vieler Anonymisten, ihr Beitrag sei doch so bedeutsam, dass ihnen ohne den Schutz der Anonymität Schlimmes widerfahren würde. Von wem denn bitte? Etwa von den Geheimdiensten dieser Welt, die nur auf Lieschen Hühnerklein warten? Eine derart maßlose Selbstüberhöhung ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Hybris und in der Sache dummes Zeug.

Ausgesprochen unverschämt ist der Vergleich mit den Whistleblowern. Das sind Menschen, die unter großen persönlichen Risiken und Gefahren – Edward Snowden ist das beste Beispiel – wichtige und bis dato geheim gehaltene Informationen an die Öffentlichkeit geben. Ohne diese Insider-Informationen liefe die demokratische Kontrolle vielfach ins Leere. Whistleblower leisten einen wichtigen Beitrag für die Demokratie und sie verdienen einen deutlich besseren rechtlichen Schutz. Anonyme Meinungsäußerungen verrohen hingegen den demokratischen Diskurs und schrecken viele kluge und sensible Menschen von der Teilnahme an wichtigen Debatten ab. Whistleblower stärken die Demokratie – Anonymisten gefährden ihre Grundlagen. Sie sollten in den großen Foren dafür keine Gelegenheit mehr bekommen.

Demokratie lebt davon, dass sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, als Personen agieren und zu dem stehen, was sie sagen und tun. Wer maskiert über die Straße läuft, demonstriert nicht im Sinne des Grundgesetzes, sondern symbolisiert eine anonyme Drohung gegen andere, die nicht mehr sehen sollen, mit wem sie es zu tun haben. Daher ist es wichtig, demokratische Freiheiten zu verteidigen, auch wenn sie von Leuten in Anspruch genommen werden, die sich selbst als Feinde der Freiheit verstehen. Diese Widersprüchlichkeit muss eine Demokratie ertragen können, will sie nicht ihre eigenen Grundlagen untergraben. Wer unmaskiert auf der Straße und ohne Schutz der Anonymität im Netz agieren will, muss sich darauf verlassen können, dass keine Repressalien drohen. Dieser Schutz ist in unserem Land größtenteils gewährleistet. Wer sich versteckt, hat dafür andere Gründe als die berechtigte Sorge vor staatlicher Repression.

Zugegeben: es gibt Fälle, in denen Menschen auch für persönliche Meinungsäußerungen Probleme bekommen können. Wenn etwa ein Ex-Muslim seine Abkehr vom Islam öffentlich begründet, kann es nötig sein, nicht mit Klarnamen zu schreiben. Das sind aber begründete Ausnahmen und keinesfalls Regelfälle. Das eigentliche Problem liegt bei denen, die im Inland oder von außen Druck ausüben und die Macht dazu haben. Hier gilt es anzusetzen und energischer als bisher diese Zwänge zu bekämpfen. Ein Abdrängen der Opfer in die Anonymität kann keine Lösung sein.

Ich habe jedenfalls keine Lust mehr, mit einem offensichtlich gestörten "Homunkulus" und ähnlichen Fake-Personen über politische Fragen des Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft zu debattieren. Ich werde mich künftig – egal auf welcher Ebene – nur noch mit Menschen auseinandersetzen, die mir auf Augenhöhe begegnen.

Lasst uns Schluss machen mit der albernen und letztlich unpolitischen Versteckspielerei – überlasst diese Spielchen besser Kindern unter 12 Jahren.