Der 3. Ökumenische Kirchentag war eine riesige Enttäuschung

165.000 Zugriffe auf seine digitalen Inhalte registrierte der Ökumenische Kirchentag nach Abschluss der Veranstaltung am Sonntag. Eine enttäuschende Bilanz, findet Carsten Klink, die keine öffentliche Subventionierung in derzeitiger Höhe rechtfertigt.

Laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) gab es Ende 2019 insgesamt 43.313.500 katholische und evangelische Christen in der Bundesrepublik und laut tagesschau.de wurde ganze 165.000 Mal auf Livestreams des 3. Ökumenischen Kirchentags (ÖKT), der vergangene Woche in Frankfurt am Main stattfand, zugegriffen. Setzt man diese beiden Zahlen in Bezug, hätten also ganze 0,38 Prozent der gläubigen Christen in Deutschland an den rund 100 digitalen Veranstaltungen des Ökumenischen Kirchentags ihrer Kirchen teilgenommen.

Selbst wenn man noch die 155.000 Zugriffe auf Downloads hinzuzählt und gutgläubig davon ausgeht, dass jeder dieser Downloads durch einen anderen Menschen getätigt wurde, hätten sich dann ganze 0,74 Prozent der Mitglieder der beiden großen deutschen Kirchen beteiligt. Letztlich eine mehr als enttäuschende Bilanz, die dann auch die legitime Frage nach der Berechtigung der Kirchentagssubventionen der öffentlichen Hand in Millionenhöhe stellt.

10 Millionen Euro öffentliche Kirchentagssubventionen

Diese Frage stellte ganz routiniert die Aktionsgruppe "11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!", die schon auf zahlreichen Kirchentagen die jeweilige Kirchentagfinanzierung hinterfragt und dafür Öffentlichkeit hergestellt hat. Nach den Berechnungen des 11. Gebots wurde der 3. ÖKT mit voraussichtlich rund 10 Millionen der 18 bis 20 Millionen Euro Gesamtkosten zu über 50 Prozent von Bund, Land und Stadt finanziert (der hpd berichtete). Somit wurde jeder der oben genannten insgesamt 320.000 Livestream-Zugriffe und Downloads mit rund 31 Euro subventioniert. Von solchen staatlichen Livestream-Subventionen können Künstler*innen, die coronabedingt nicht auftreten dürfen, nur träumen. Enttäuschend für die Kritiker*innen der Kirchentagssubventionen ist auch, dass erstaunlicherweise mit der Umwandlung des Kirchentags von einer Präsenzveranstaltung hin zu einer digitalen keine Reduzierung der Fördergelder der öffentlichen Hand einherging. Die Kostenersparnis geht offenbar im wahrsten Sinne des Wortes auf das Konto der Kirchen.

"Antiseptische, freudlose Veranstaltung"

Für überzeugte Kirchentagsfans muss die Veranstaltung auch insgesamt sehr enttäuschend gewesen sein. Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Carsten Knop, zitiert unter der Überschrift "Nichts spontanes, keine Antworten" einen Kirchentagschat: "Zu verkopft", "zu spät auf das Netz umgestellt", "keine Antwort auf die fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft", "ein Kirchentag für Akademiker", verbunden mit der bangen Frage: Wie soll es nach der langen Corona-Pause in den Kirchen weitergehen?"  Knop nennt den 3. ÖKT "eine antiseptische, freudlose Veranstaltung". Die Marke Kirchentag sei beschädigt. "160.000 Besucher waren wohl auf der Website des Ökumenischen Kirchentags; das könnte man vordergründig als Erfolg werten. Aber haben die etwas gesehen, was sie beeindruckt hat?", fragt sich nicht nur der FAZ-Herausgeber.

"Staatskirchentag"

Die Kirchentagsbetreiber behaupten stets, dass Kirchentage von der kirchlichen Basis getragen und organisiert würden. Wer dies glaubt, wurde ebenfalls enttäuscht. Wie bei anderen Kirchentagen üblich, führte auch beim 3. ÖKT die Polit-Prominenz das große Wort, als handelte es sich um einen "Staatskirchentag": Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

Besonders enttäuschend für die Friedensbewegung war, dass der Kirchentag NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine widerspruchslose Bühne bot: "Wir – Aktive aus der Friedensbewegung – sehen mit großem Befremden, dass der oberste NATO-Repräsentant sein Propagandagift auf einem Kirchentag verstreuen darf und von einem ehemaligen deutschen 'Verteidigungsminister', der für Kriegseinsätze Verantwortung trägt, unterstützt wird", wurde der Tage zuvor aufgezeichnete Stream Stoltenbergs samt seines Stichwortgebers, Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière, kritisiert.

Deutlich mehr als nur enttäuscht zeigte sich die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) über den Auftritt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der in seiner Eröffnungsrede an die "Schwestern und Brüder" seine Befürchtung äußerte, dass "die Pandemie nicht auch hier als Brandbeschleuniger wirkt, dem Prozess der Säkularisierung zusätzlichen Schub verleiht, die Kirchen aus der Mitte der Gesellschaft drängt". Offenkundig schätzt der Bundespräsident die Zunahme des religionsfreien Bevölkerungsanteils, der aktuell bereits bei rund 39 Prozent liegt, als bedrohlich ein. Da Steinmeier somit einseitig für eine Religion Partei ergreife und damit gegen die weltanschauliche Neutralitätspflicht verstoße, sieht die Giordano-Bruno-Stiftung Zweifel an der Eignung Steinmeiers für das höchste Staatsamt aufkommen. "So etwas kann Frank-Walter Steinmeier natürlich als Privatperson denken, er darf es als Bundespräsident aber nicht öffentlich äußern", erklärte der Philosoph und Vorstandssprecher der gbs, Michael Schmidt-Salomon.

Missbrauchsverbrechen: Machtgefälle im Livestream

Enttäuscht vom 3. ÖKT waren sicherlich auch all die Menschen, die gehofft hatten, dass sich die beiden Kirchen nun einmal intensiv mit den in ihren Kreisen mindestens seit Jahrzehnten begangenen Missbrauchsfällen auseinandersetzen würden. Auch diese Hoffnung wurde enttäuscht: Von rund 100 Veranstaltungen befassten sich gerade mal zwei mit dieser Thematik. Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, bezeichnete auf dem ÖKT Missbrauch und sexualisierte Gewalt als eines der brutalsten Verbrechen, das Menschen anderen antun können. Katharina Kracht, Mitglied im Betroffenenbeirat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die viele Jahre von einem Pastor missbraucht wurde, wurde nach ganzen drei Minuten Redezeit auf dem ÖKT das Mikrofon abgestellt. Letztlich gestattete man ihr dann doch noch ein weiteres Statement:

"Für mich ist ein wichtiger Schritt, dass die evangelische Kirche endlich lernt, ihre eigene Deutungshoheit infrage zu stellen, dass sie reflektieren, was für ein Machtapparat sie sind, dass sie daraus Konsequenzen ziehen und eine vernünftige Partizipation für Betroffene entwickeln. Wir haben schon Machtmissbrauch erlebt, und wenn sich Betroffene in kirchliche Strukturen begeben, dass wir immer wieder auch der traumatisierenden Institution ausgesetzt werden, das wird nicht richtig mitreflektiert. Das heißt, man muss Verantwortung schaffen für diesen Prozess, und die wird leider nicht übernommen."

Am Montag vor dem Kirchentag  hatte die EKD einseitig den Betroffenenbeirat suspendiert.

Kirchenaustrittsrekord?

Während auf der Internetseite des 3. ÖKT für den Katholikentag 2022 in Stuttgart und für den Evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg geworben wird, gibt es wohl derzeit keine Pläne für einen weiteren Ökumenischen Kirchentag.

Abzuwarten bleibt, ob die Stadt Frankfurt, die den fünftägigen Kirchentag mit 3,9 Millionen Euro subventionierte, im Kirchentagsjahr einen Rekord bei den Kirchenaustritten aufstellen wird. Das geschah zumindest in Münster und Dortmund, nachdem dort die Kirchen- beziehungsweise Katholikentage stattgefunden hatten.

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