Das neue Buch von Helmut Ortner

"Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist"

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund

Helmut Ortner hat die Aufsatzsammlung "Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist" vorgelegt. Die einzelnen Beiträge machen deutlich, wie wenig die Grundlagen eines eigentlich religiös neutralen Staates umgesetzt wurden. Gerade anhand der Missbrauchsskandale wird das Thema vertieft als "Kniefall des Rechtsstaats".

Juristen sprechen von einer "hinkenden Trennung", wollen sie die bundesdeutsche Auffassung des Kirche-Staat-Verhältnisses beschreiben. Die Bezeichnung deutet eine Inkonsequenz an, denn eigentlich sollte ein gegenüber der Religion neutraler Staat anders ausgerichtet sein: Den Kirchen dürften keine staatlichen Privilegien und Sonderrechte zugestanden werden.

Dass dies nicht nur in finanziellen, sondern auch in rechtlichen Fragen anders ist, wurde bereits in zahlreichen Publikationen thematisiert. Ihnen schließt sich das Buch "Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist" von Helmut Ortner an. Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung, nicht um ein geschlossenes Werk. Insofern werden auch nicht gesonderte theoretische Begründungen angeführt, welche in einer modernen Demokratie für eine solche Trennung sprechen. Dafür liefert der Autor aber anhand vieler Beispiele genügend andere Darstellungen und Erörterungen, um für einen derartigen, mit dem Grundgesetz konform gehenden Schluss zu werben.

Cover

Autobiographische Anmerkungen zu Beginn machen darauf aufmerksam, dass er schon früh mit Kirche und Religion brach. Und auch wenn die Auffassungen der Religionen mit gelegentlichen Überzeichnungen kommentiert werden, vertritt Ortner keine grundsätzlich kirchenfeindliche Position. Er sieht die Existenz derartiger Institutionen im Rahmen des Pluralismus als legitim an, seine Einwände richten sich gegen die einseitige Förderung durch den Staat: "Die permanente Verpartnerung von Staat und Gott … ist verfassungswidrig. Wir leben in keinem Gottesstaat, sondern in einem Verfassungsstaat" (S. 9). Ob aber die fehlende Abgrenzung grundsätzlich die Demokratie untergräbt, das müsste doch noch einmal eine gesonderte Begründung beziehungsweise Erläuterung erfahren. Die in den nachgedruckten Aufsätzen enthaltenen Fallbeispiele sprechen aber sehr wohl für ein Spannungsverhältnis, auch wenn es um grundlegende Aspekte eines funktionierenden Rechtsstaats geht, etwa beim Arbeitsrecht in kirchlichen Institutionen oder bei den Ahndungen von Missbrauchsfällen.

Worum geht es nun jeweils in den einzelnen Aufsätzen? Am Beginn sind etwa die Kirchenaustritte und deren Rekordniveau ein Thema, denn mittlerweile ist nur noch weniger als die Hälfte der Staatsbürger kirchlich organisiert. Auch von daher stellt sich die Frage, inwieweit die gemeinten Privilegien noch legitimierbar sind. Die Absurdität enormer Staatsleistungen wird danach angesprochen, sind doch die zweifelhaften Entschädigungsleistungen seit über hundert Jahren abzulösen. Besondere Aufmerksamkeit finden danach in mehreren Kapiteln die Missbrauchsverbrechen, wobei nicht nur die individuellen Täter jeweils Thema sind. Der Autor arbeitet dabei deutlich heraus, wie die Verantwortlichen relativierten und vertuschten. Der Rechtsstaat überließ vieles der inner-kirchlichen Selbstregelung. Und auch die Bundestagsparteien ergingen sich in Inaktivität und Schweigen. Man hat es hier mit erschreckenden Dimensionen des "klerikalen Kartells" zu tun, wobei diese ins breitere öffentliche Bewusstsein noch nicht vorgedrungen sind.

Die folgenden Aufsätze gehen wieder auf unterschiedliche Themen ein. Dazu gehört ein Beitrag über die Einschränkungen von Freizeitmöglichkeiten an kirchlichen Feiertagen (allerdings von Daniela Wakonigg). Es gibt außerdem einen Aufsatz über das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Kruzifix in öffentlichen Räumen des Staates, woran man sich in Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung vielerorts aber nicht hält. Und dann geht es um das kirchliche Arbeitsrecht in Kitas, Krankenhäusern oder Schulen, aber ebenso um "Blasphemie" als in zahlreichen Ländern als strafwürdig geltendes Verhalten. Auch ein "Lob des Laizismus" als eher theoretischer Text ist enthalten. Abschließend widmet sich Ortner einem heiklen Thema: der Apologie gegenüber Islam und Islamismus bei vielen Linken, die hier Aufklärung und Menschenrechte als nicht mehr so wichtig ansehen. Bilanzierend betrachtet, bildet die Aufsatzsammlung ein interessantes Lesebuch. Manche Einschätzungen wirken etwas polemisch, sind deswegen aber nicht falsch.

Helmut Ortner, Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist, Frankfurt am Main 2024, Nomen-Verlag, 269 Seiten, 24 Euro. ISBN: 9783939816959

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