Keinen „Kniefall vor dem Glauben“

Wie lautet denn nun ihre biologische Definition des Phänomens Religion?

Ha (lacht), ich möchte doch, dass Sie noch mein Buch kaufen. Aber soviel sei verraten: Die Evolution der Logik führt zwangsläufig auch zur Lüge, weil biologische Egoisten immer nach Lösungen suchen, um ihre Interessen gegen die anderen durchzusetzen. Wenn aber die Taten in der Realität nachvollziehbar sind, dann muss die Argumentation so angelegt werden, dass sie nicht mehr überprüfbar ist. Und damit lassen sich eine ganze Reihe von religiösen Kernthemen und Thesen erklären. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

Ihr Buch liest sich trotz aller angestrebten wissenschaftlichen Neutralität so, als ob Sie etwas gegen Religionen haben?

Ich habe etwas gegen Unehrlichkeit und Unredlichkeit. Und nicht nur, wenn man mich anlügt, sondern auch, wenn sich die Leute selbst etwas vormachen. Jeder Mensch, der sich objektiv mit den Glaubensinhalten beschäftigt, muss feststellen, dass sich Religionen in fast allen Annahmen gegenseitig widersprechen. Es gibt mehr Religionen, als es Wahrheiten geben kann. Das müssten alle Menschen mit ihrem Verstand eigentlich einsehen können. Sie wollen diese Tatsachen aber nicht wahrhaben. Stattdessen behaupten sie mit einer kindlichen Reaktanz, dass es „trotzdem“ so ist, wie sie es sehen. Robert Trivers nennt so etwas die Evolution von Betrug und Selbstbetrug.
Ich muss akzeptieren, dass Menschen glauben, was sie glauben wollen. Aber ich habe ganz entschieden etwas dagegen, dass die Vertreter der Religionen absichtlich Kinder indoktrinieren, um anschließend auf deren Kosten zu leben. Als Biologe sehen ich da in einigen Religionen etliche Analogien zum Parasitismus.

Das hören manche Gläubiger sicherlich nicht gern. Haben sie Angst vor fundamentalistischen Eiferern, die mit ihrer Interpretation nicht übereinstimmen?

Nein, ich habe keine Angst vor Menschen, die das Buch lesen können und werden. Ich mache keine Aussagen zu Gott, Allah oder sonst etwas Göttlichem. Unabhängig davon, ob es ihn gibt oder nicht: Niemand kann etwas dazu sagen und niemand sollte sich ein Bild davon machen. Gott, Allah und die „Macht“ sind als das Nicht-Definierbare definiert. Ich bleibe auf der nachvollziehbaren wissenschaftlichen Seite: Bei dem menschlichen Verhalten. Alles was ich diskutiere, sind unsere eigenen irrigen Vorstellungen und Phantasien.

Ist da nicht auch ein wenig atheistischer Missionar in Ihnen?

Wer Bücher schreibt, möchte auch etwas damit bewirken. Ich möchte nicht mit Menschen zusammenleben, die permanent versuchen, sich mit Hilfe niemals überprüfbarer Behauptungen Vorteile zu erschleichen. Ich fordere gleiches Recht für alle, anstelle von Auserwählten und „Ersten vor dem Herrn“. Dies ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Und was den Atheisten in mir angeht. Wenn Sie mir nicht definieren können, was Theos und damit Theismus ist, kann ich ihnen auch nicht sagen, was A-Theos oder A-Theismus sein soll! Verwenden wir also nicht länger den Sprachgebrauch und das Weltbild der Religionen. Definieren wir lieber unsere Begriffe, damit unser Denken und unsere Sprache wissenschaftlicher werden. Dies allein ist schon angewandte Aufklärung.


Wir danken Ihnen für dies Interview.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Andreas Kilian: Die Logik der Nicht-Logik. Wie Wissenschaft das Phänomen Religion heute biologisch definieren kann. Alibri, 2010. 230 Seiten, kartoniert, Euro 17.-, ISBN 978-3-86569-062-3

 

Das Buch gibt es auch im denkladen.