Neue Konfession per Gerichtsentscheid

Österreichische Besonderheiten

Tatsächlich stehen viele offene Fragen im Raum. Etwa, ob die Aleviten versuchen werden, von einer anerkannten religiösen Bekenntnisgemeinschaft zur anerkannten Religionsgemeinschaft zu werden. Diese Gliederung ist eine Besonderheit des österreichischen Kultusrechts. Die „religiösen Bekenntnisgemeinschaften“ sind eine Art anerkannter Religion zweiter Klasse. Sie haben kein Recht, Religionsbeiträge mit staatlicher Hilfe einzuheben, für sie gibt es auch keinen (staatlich bezahlten) konfessionellen Religionsunterricht an den Schulen. Auch einige weitere Privilegien entfallen.

Die Kategorie war ursprünglich geschaffen worden, um die Zeugen Jehovas nur halb anerkennen zu müssen. Die haben es mittlerweile zur Vollanerkennung gebracht – ebenfalls per höchstrichterlichem Spruch. Neben den Aleviten haben de facto nur kleinere christliche Gemeinden und die Hindus in Österreich diesen Status. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass auch die Aleviten die Voll-Anerkennung beantragen werden. Fraglich ist, ob sie in diesem Fall die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Jahre warten werden müssen oder ähnlich wie die Zeugen Jehovas ein Eilverfahren beantragen können.

Weitere Abspaltungen?

Unklar ist auch, ob das VfGH-Erkenntnis andere vorwiegend nicht-sunnitische Gruppen innerhalb der IGGiÖ zur Abspaltung ermutigen wird. Die IGGiÖ steht im Ruf, de facto nur konservativen bis reaktionären Islam-Auslegern Funktionen wie die des Religionslehrers zuzuschanzen. Bei Bevorzugung von Sunniten. Auch die engen Verbindungen von Noch-Präsident Shakfeh zum saudiarabischen Regime werden mit Misstrauen gesehen. Shakfeh war lange für die saudische Botschaft tätig. Zudem hat die IGGiÖ den Ruf, undemokratisch zu sein.

Dem versucht man, mit lange überfälligen Wahlen zu begegnen. Was nicht zu funktionieren scheint. Kaum jeder zehnte der geschätzten 500.000 Muslime in Österreich ist wahlberechtigt – und selbst die Wahlberechtigten geben ihre Stimme nur zum Bruchteil ab. De facto gibt es Einheitslisten, das Ergebnis steht mehr oder minder im Vorhinein fest. Ein weiteres Indiz für die geringe Akzeptanz der IGGiÖ: Nur etwa jeder zweite muslimische Schüler besucht den konfessionellen Religionsunterricht. Weit weniger als etwa bei den Katholiken oder den Protestanten. Was die IGGiÖ nicht daran hindert, das als Erfolg zu feiern.

Beispielbild
Ali ibn Abi Talib
Keine Geschlechtertrennung

Die Dauerkonflikte um die IGGiÖ gemahnen viele Aleviten an die jahrhundertelange Unterdrückung durch vor allem sunnitische Imame im Osmanischen Reich. Dort werden sie bis heute als Ketzer betrachtet, als religiöse Minderheit sind sie bis heute nicht anerkannt. Anders als Sunniten und Shiiten sehen sie den Koran nur als Religionsbuch, nicht als Gesetzesleitfaden. Die Gottesdienste in den Cems genannten Versammlungshäusern werden ohne Geschlechtertrennung gefeiert. Viele Aleviten sehen sich trotzdem als Muslime – aber in ihrem Selbstbild als Vertreter einer humanistischen Variante. Traditionell setzen sich Aleviten für einen säkularen Staat ein. Das gilt auch für den Religionsunterricht. Riza Sari hätte am liebsten einen inter- bzw. überkonfessionellen Ethikunterricht. Nur, wenn das nicht geht, würden die Aleviten einen eigenen konfessionellen Religionsunterricht einrichten, sagt er gegenüber Medien.

Christoph Baumgarten