REINBEK. (hpd) Ab heute ist der neunte Band der Kriminalgeschichte des Christentums im Buchhandel erhältlich. Damit sieht das ambitionierteste
publizistische Projekt der Religionskritik seiner Fertigstellung entgegen. Und das ist auch gut so.
Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass der Autor sich liebend gerne einem anderen Thema zuwenden würde. Seit ziemlich genau 50 Jahren recherchiert Karlheinz Deschner die Verbrechen, die im Namen des Christentums begangen worden sind; studiert Quellen, sichtet Sekundärliteratur - und sieht sich stets mit den immergleichen Sachverhalten konfrontiert: Krieg und Verwüstung, Mord und Folter, Hasspredigten und dumpfe Ignoranz. Das ist, vor allem für jemanden, der sich bemüht, das Geschehen durch die Augen der Opfer der Geschichte zu betrachten, keine erbauliche Lektüre. Karlheinz Deschner hat die Doppeldeutigkeit des Wortes „Lebensaufgabe" selbst einmal benannt.
Es gibt einen zweiten, im Gegenstand liegenden Grund, warum das Projekt Kriminalgeschichte des Christentums an seine Grenzen stößt. Mit der europäischen Expansion wächst die vom Christentum dominierte Welt und zugleich nimmt die Zahl der überlieferten Quellen ebenso zu wie die Menge der darauf aufbauenden historischen Arbeiten. Dies hatte sich bereits in den letzten Bänden bemerkbar gemacht: Diese nahmen an Umfang zu und zugleich schrumpfte der „Berichtzeitraum". Für den verbleibenden zehnten Band stehen nun eigentlich noch 300 Jahre zur Darstellung an. Realistischerweise ist das nicht zu schaffen, sofern Deschner mit demselben Anspruch weiterschreiben würde, den er sich für die ersten neun Bände auferlegt hat.
Religionskriege in der Alten Welt
Mit dem aktuell vorliegenden Band vollzieht die Kriminalgeschichte des Christentums den Schritt in die Neuzeit. Es wird deutlich, dass im Namen des „Herrn" begangene Verbrechen kein Phänomen des Mittelalters sind. Die Gegenreformation wurde nicht nur mittels jesuitischer Propaganda vorangetrieben und je stärker die europäischen Territorien konfessionalisiert wurden, umso brutaler wurde der jeweils dissidente Teil der Bevölkerung unterdrückt. Dabei gingen die Protestanten nicht weniger zimperlich zu Werke als die Katholiken; in Irland, so berichtet Deschner, setzten die englischen Herrscher sogar ein Kopfgeld auf katholische Priester aus.
Krieg herrschte in Europa im Berichtzeitraum fast ununterbrochen; viele der Auseinandersetzungen trugen eine religiöse Komponente in sich: die Kämpfe zwischen katholischen und protestantischen Fürsten, der Bürgerkrieg in England, der Dreißigjährige Krieg, die Kriegszüge des „Sonnenkönigs" Louis XVI. Auch wenn im Absolutismus die Militärschläge meist profane Gründe hatten, blieb Religion für die Legitimationsrhetorik von großer Bedeutung.
Die Eroberung der Neuen Welt
Während Deschner die Entwicklung in Europa ausführlich schildert, widmet er der Eroberung der Welt durch das Christentum nur ein Kapitel (sowie Teile des Abschnittes über die Jeusiten). Kurz geht er auf die „Entdeckung" Afrikas ein, die Startschuss für einen florierenden Sklavenhandel wurde. Etwas ausführlicher berichtet er über die Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner (die, je nach Schätzung, 50-90 % der Bevölkerung traf) – wobei Deschner betont, dass die Ausrottung im Norden Amerikas, von den protestantischen Briten, konsequenter betrieben worden sei als von Spaniern und Portugiesen im Süden des Kontinents. (Auch das in der Überschrift verwendete Zitat kann als Beleg für die Brutalität des Vorgehens gelten.) Immer, so kann er anhand zahlreicher Zitate nachweisen, spielte der Missionsgedanke und die Einschätzung der Indigenen als „Ungeheuer ohne Glauben" eine Rolle, wenn es darum ging, sie zu übervorteilen, zu vertreiben oder zu massakrieren.
Dass die europäische Expansion (bis 1700) in einem Kapitel von gerade einmal 50 Seiten Umfang zusammengefasst wird, eröffnet auch eine Perspektive auf den noch ausstehenden zehnten Band. Mag sein, dass manche, die ihr Hauptaugenmerk auf diese Episode der Geschichte legen, sich eine ausführlichere Darstellung, mehr Beispiele für das verheerende Vorgehen der Europäer und mehr Zitate der den Massenmord legitimierenden Rhetorik gewünscht hätten, doch der Überblick reicht aus, um die Leserinnen und Leser zu orientieren und für eine kritische Lektüre der Geschichtsschreibung zu sensibilisieren.
Wenn Deschner in diesem Stil durch das Jahrhundert der Aufklärung und das Jahrhundert des Nationalismus führt, bleiben ihm genug Zeit und ausreichend Platz im Buch für das notwendige Kernstück des letzten Bandes seines Opus magnum: für einen Essay, der den Bogen zurück schlägt zur Einführung im ersten Band, der die Summe zieht aus den in Jahrzehnten zusammengetragenen Fakten.
Auf diesen letzten Baustein der Kriminalgeschichte des Christentums darf seit heute gewartet werden. Die Zeit bis dahin können sich alle mit den 450 Seiten engagierter Geschichtsschreibung des neunten Bandes verkürzen.
Martin Bauer
Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 9. Mitte des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts. Vom Völkermord in der Neuen Welt bis zum Beginn der Aufklärung. Reinbek: Rowohlt Verlag 2008. ISBN 978-3-498-01327-1, 459 Seiten, gebunden, Euro 29,90.
Auch erhältlich im denkladen.