BERLIN. (hpd) Wie lange wird das Wirtschaftssystem, wie wir es kennen, noch Bestand haben? Wann platzen die nächsten Banken-Blasen, wann krachen die Schuldenberge in sich zusammen und kollabieren die Wirtschaften? Wann wird das Geld keinen Cent mehr wert sein?
Nach seinem großartigen Roman "Silent Control" legt Thore D. Hansen den nächsten Thriller vor. "Quantum Dawn" heißt er und ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Auch wenn der Leser am Anfang des 450-Seiten-Buches etwas überfordert ist, die Figuren auf dem Schachbrett, das der Autor vor einem bestückt, auseinanderzuhalten. Doch es lohnt sich, über diese anfänglichen Schwierigkeiten hinaus zu lesen. Irgendwann hat einen die Geschichte so in den Bann gezogen, dass die einzelnen Bauern, Läufer und Könige einem vertraut sind.
Es mag so klingen, aber es geht in diesem Roman nicht um ein Schachspiel. Sondern um Geschäfte, die in den Bruchteilen einer Sekunde an den Börsen der Welt ablaufen. Dagegen kommt einem der Blick in die eigene Brieftasche lächerlich vor; man fühlt sich, als wäre man eine Schachfigur, die keine Ahnung hat von der Hand, die einen irgendwo hinstellt.
So geht es anfänglich auch der ehrgeizigen Scotland-Yard-Ermittlerin Rebecca Winter. Was mit einem vermeintlichen Selbstmord eines gescheiterten Bankers aussieht, entpuppt sich im Laufe der Zeit als ein Komplott, das von Dan Former ausgehend das ganze System der vernetzten Banken und Börsen bedroht, die mit ihrem Hochfrequenzhandel die Wirtschaft der gesamten Welt in den Händen halten.
Schon allein der Name "Finanzindustrie" verdeutlicht, dass es sich bei diesen Geschäften längst nicht mehr um Finanztransaktionen handelt, die in irgendeinem Zusammenhang mit produzierten Werten stehen. Hier werden Ideen, Reaktionen, Gerüchte und Nachrichten durch Algorithmen ausgewertet, die schneller als jeder Mensch Entscheidungen treffen und über das Wohl und Wehe von Milliarden Menschen entscheiden. Im Kampf um Hundertstelsekunden, die über die Gewinnspanne einer Transaktion entscheiden können, werden immer ausgeklügeltere Algorithmen entwickelt. Doch diese Programme sind ebenfalls nicht gegen Angriffe gefeit.
An den Börsen herrscht Krieg. Ein Krieg zwischen den Computerprogrammen der großen Player in diesem Geschäft. Und Thore D. Hansen kennt sich in dem Geschäft gut genug aus, um sie in seinem Roman nackt zu zeigen: ihre nicht vorhandene Moral, ihre Gier nach immer mehr Geld, Macht und Einfluss. Das, was neben der spannungsreichen Story in dem Roman zutage tritt, kann mehr Angst bereiten, als die Morde im Buch.
Beim letzten Bankencrash hatte die Goldman-Sachs-Bank "mehr als wohlwollende Unterstützung des ehemaligen US-Finanzministers bekommen. Er ließ Lehman Brothers in die Pleite rutschen, rettete aber Goldman Sachs, obwohl die gegen ihre eigenen Kunden gewettet hatten. Pikant daran war, dass der Finanzminister vor seiner Regierungstätigkeit Vorstandsvorsitzender bei Goldman Sachs gewesen war und mit der Weigerung, Lehman zu helfen, nicht nur das ganze Kartenhaus der Wall Street hatte einstürzen lassen, sondern auch den größten Konkurrenten seines einstigen Arbeitgebers vernichtet hatte. Hatten die Menschen eigentlich wirklich begriffen, was da abgelaufen war?" (S. 173)
Solcherlei gut recherchierte Hintergrundinformationen sind immer wieder in den Thriller eingesponnen. Sie bieten dem Plot eine Art Korsett, in dem sich die Story rasant weiter entwickeln kann.
Neben der wohlfundierten Kritik am Finanzsystem wird - wie im letzten Roman - auch immer wieder deutlich, welchen Gefahren die Demokratie ausgesetzt ist. Geheimdienste, vor denen wir keine Geheimnisse mehr haben, sind so gut vernetzt, dass es gleichgültig ist, dass der BND zum Beispiel in Sachen Cyberabwehr völlig überfordert ist. Denn auch wenn er es öffentlich und in Untersuchungsausschüssen abstreitet: dem Autoren des Buches ist mehr zu glauben als öffentlichen Aussagen von Gerhard Schindler, dem Präsidenten des BND.
Thore D. Hansen hat in seinem letzten Buch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden vorweggenommen. Er schrieb über die Methoden der NSA zu einer Zeit, als kaum jemand wußte, wer oder was sich hinter diesem Kürzel verbirgt. Im aktuellen Buch betreten die Scotland-Yard-Ermittlerin Rebecca Winter sowie ihr Kollege Erik Feg vom BND auch das Government Communications Headquarters - in Deutschland besser bekannt unter seiner Abkürzung GCHQ - ein Dienst, der der NSA in nichts nachsteht und in den Snowden-Dokumenten immer wieder erwähnt wird.
Doch es sollte nicht nur Computerfreaks und Verschlüsselungs-Nerd interessieren, welche Möglichkeiten dieser Geheimdienst hat, um unsere Privatsphäre zu einer leeren Worthülse werden zu lassen. Im Roman versucht das GCHQ, verschlüsselte Dokumente zu knacken und einen Algorithmus zu verstehen, der in das Netzwerk der Börsen und Banken eingedrungen sein könnte. Als jedoch Winter und Feg begreifen, dass der Dienst sie nur benutzt, um eigene "Geschäfte" zu erledigen und an der Aufklärung der Morde nicht interessiert ist, ergreifen sie die Flucht.
Feg, der für den BND arbeitet und sich aber auch gut im Graubereich zwischen Legalität und ihrem Gegenteil auskennt, begreift die Brisanz des Teils eine Algorithmus, der ihnen in die Hände gefallen ist: er könnte Teil eines Planes sein, "der die uns bekannte Zivilisation bis ins tiefste Mark treffen" könnte.
Ich hoffe, dass der Autor mit diesem Buch nicht ganz so dicht an die Wahrheit herankommt, wie es ihm in "Silent Control" gelang. Denn das würde das Leben, die Gesellschaft und den Planeten so grundlegend verändern, dass wir uns darin nicht mehr zurecht finden würden.
PS: Der Titel des Buches weist auf ein Planspiel hin, mit denen Banken und Behörden in den USA getestet haben, wie sie auf Hackerangriffe vorbereitet sind.
Thore D. Hansen: "Quantum Dawn", Europa Verlag Berlin, Klappenbroschur, 464 Seiten, ISBN 978–3–944305–79–0, 16,99 Euro
1 Kommentar
Kommentare
Philo am Permanenter Link
Warum meinte schon Henry Ford (1863-1947): „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“?
Und was genau beklagte um rund ein Jahrhundert zuvor Adam Smith (1723-1790) mit seinem Aufsatz -Paradoxie des Wertes-?
Haben wir es denn diesbezüglich mit lauter irrigen bzw. längst überalterten und nur zu oft paradoxen Thesen zu tun?
Oder können Behauptungen wie bspw. "Gelder arbeiten zu lassen" durchaus ernst genommen werden?
Diese und weitere Fragen stellt auch überaus gerne Prof. Dr. Franz Hörmann (Wirtschaftsuniversität Wien) in vielfältig öffentlicher Präsenz.
Auch er schrieb ein Buch mit dem recht gewagten Titel -Das Ende des Geldes-, kostenlos als PDF-Datei auf seiner HP erhältlich.
Aber was meint er mit "Ende des Geldes"?
Geht sowas überhaupt?
Oder erfreuen sich mal wieder Verschwörungstheoretiker einem weiteren akademisch gebildeten Kollegen?
Und was bitte schlägt der US-amerikanische Autor, autodidaktischer Sozial-Architekt, Industriedesigner und Erfinder „Jaques Fresco“ der Weltbevölkerung mit seiner Vision einer einzig ressourcenbasierten Wirtschaft auf Basis eines globalisierten Solidaritätsabkommens ohne Handel, Tausch, Geld... konkret vor?
Ticken die genannten Herrschaften noch alle richtig im Kopf?
Ich fürchte zu meiner eigenen Beschämung: Ja, die ticken sogar überaus richtig im Kopf, denn inzwischen habe ich längst begriffen, dass einzig der Mensch neben sonstigen ebenso gern aktive Lebewesen meint, eine Welt ohne Handel und irgendwie definierten Sachwerten, die wiederum mit Äquivalenzen wie bspw. Geld verknüpft sind, sei irrig, naiv, sei unmöglich...
Die Gründe sind vielfältig, so es mitunter heißt, knappes Gut sei wertvoll und daher nur für "entsprechend Vermögende" erschwinglich.
Daraus folgt, dass knappe Güter hohe Umsätze ermöglichen. Was liegt da jedem gewieften Geschäftsmann näher, als sich auf Verknappungskonzepte zu konzentrieren bzw. sich zu spezialisieren?
Logisch auch, denn mit Überfluss lässt sich kein profitables Geschäft realisieren.
Was aber, wenn Güter künstlich verknappt werden?
Wäre das nicht extrem korrupt, entwicklungshemmend, gleichwie Religionen wirken?
Ist all das nur Schein, Betrug, oder schlicht Irrtum...?
An dieser Stelle mag ich gar nicht mehr weiter realisieren, dass alles Elend auf der Welt möglicherweise völlig unnötig ist.
Und gerade Humanisten wie Naturalisten beklagen unablässig Institutionen, die Gesellschaften in allen Größenordnungen spalten.
Es wird konkurriert, gekämpft, gehofft, gewonnen, verloren u.s.w. u.s.f..
Mit dem Terminus "Behaviorismus" lässt sich mit Fug und Recht fragen: Was haben wir Erdenmenschen wirklich unter Kontrolle?
Haben wir denn immer noch nicht begriffen, was uns F. Nietzsche mit seinem begründeten Begriff der Sklavenmentalität begreiflich machen wollte?
Fragen wir also mal mit Fresco, Hörmann und anderen Vertretern kooperativer Bewusstseinsförderern, was denn gegen die Idee der Sammlung bestmöglicher Handlungsmöglichkeiten spricht, die dann frei von jeglichem Handel einfach umgesetzt werden, zumal es doch nach aller naturwissenschaftlichen Eleganz heißt, man solle nicht ohne Zwang irgendwelche Vielheiten einzubringen.
Oder möchte irgendwer dieser spannenden, wie auch interessanten und durchaus relevanten Frage nicht nachgehen?
Und wenn nicht; warum nicht?
Herzlichst, Philo