Staatsleistungen: Die Rechnung ist beglichen

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v.l.n.r.: Frerk, Haupt, Lüders / Fotos Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die Humanistische Union (HU) präsentierte die Ergebnisse einer von ihr initiierten Untersuchung über die Staatsleistungen an die evangelische und katholische Kirche, die seit 1949 von den Bundesländern bezahlt wurden: 14 Mrd. Euro. Ebenso sind in der DDR Staatsleistungen bezahlt worden: 630 Mio. Mark. Die Bürgerrechtsorganisation legte einen Gesetzentwurf für die ersatzlose Ablösung der Staatsleistungen vor.

Der Geschäftsführer der Humanistischen Union, Sven Lüders, betonte, dass die Humanistische Union kein Weltanschauungsverband sei und von den Fragen der Staatsleistungen in keiner Weise berührt werde, sie bekomme keine derartigen Zahlungen. Als Bürgerrechtsorganisation kritisiere sie die fehlende Umsetzung eines Verfassungsauftrages, eines Verfassungsbefehls, dessen seit 91 Jahren fehlende Umsetzung sich zudem in einer immer stärker werdenden Diskrepanz zum sich stetig vergrößernden Anteil der Konfessionsfreien in der Bevölkerung befindet.

Insofern sind die Adressaten der Forderungen der Humanistischen Union die Parlamente und die Politiker. Wenn die Kirchen sich davon betroffen fühlten, sei das nicht zu vermeiden, im Focus stehen jedoch die Parlamente und die Parteien. Sie sind aufgefordert, die Verfassungsgrundsätze zu beachten und überfällige Verfassungsaufträge zu realisieren.

Johann-Albrecht Haupt und Carsten Frerk, aufgrund deren Recherche die Humanistische Union die Zahlen ermittelt hatte berichteten über ihre Erfahrungen und die Ergebnisse. Unter dem Titel „Nichts Wissen und nichts wissen wollen“  berichtete Haupt über die Bemühungen der Humanistischen Union um eine Bestandsaufnahme der Staatsleistungen an die Kirchen mithilfe der Bundesländer. Alle angeschriebenen Kultusministerien sahen sich nicht in der Lage, die Zahlungen in ihrem Bundesland zu ermitteln. Auch über die Länderparlamente und die Kirchen waren die Zahlen nicht beizubringen. Es sei auch der Eindruck entstanden, als ob die verschiedenen Stellen sich abgesprochen hätten, da die Formulierungen in der Korrespondenz teilweise identisch waren. Frerk berichtete, wie er und seine Frau dann in der Staatsbibliothek innerhalb von einer Woche die Zahlen aus den dort vorhandenen Haushaltsplänen der Bundesländer recherchiert hätten.

Die Ergebnisse: Beide Kirchen zusammen haben demnach seit dem Zweiten Weltkrieg von den deutschen Ländern (mit Ausnahme von Hamburg und Bremen) Staatsleistungen in Höhe von rund 14 Milliarden Euro erhalten.

Dabei zeigen sich erstaunliche Unterschiede zwischen den Bundesländern wie zwischen den beiden Kirchen. Während Bremen und Hamburg nichts, das Saarland jährlich nur 59 Cent und Nordrhein-Westfalen 1,18 Euro leisten, kommen Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auf über 12 Euro je Einwohner und Jahr. In den neuen Bundesländern werde durchschnittlich pro Kopf erheblich mehr geleistet als in den alten Ländern. Insgesamt habe die evangelische Kirche deutlich mehr Geld (7,5 Mrd. Euro) erhalten als die katholische Kirche (6,4 Mrd. Euro).

„Diese Daten zeigen einmal mehr, dass die Begründung der Staatsleistungen mit historischen Entschädigungsansprüchen reine Makulatur ist“, so Carsten Frerk anlässlich der Vorstellung der Daten. „Die Höhe der Staatsleistungen hing vielmehr vom Verhandlungsgeschick der kirchlichen Vertreter ab.“

Die Autoren ermittelten erstmals auch die Staatsleistungen der DDR. Jene stellte die fragwürdigen Staatsleistungen nicht ein, sondern zahlte in den 40 Jahren ihres Bestehens rund 630 Millionen DDR-Mark an evangelische und katholische Kirche.

Anlässlich dieser Zahlungsbilanz legt die Humanistische Union einen Gesetzentwurf für die ersatzlose Aussetzung der Staatsleistungen vor. Dazu erklärt deren Vorstandsmitglied Johann-Albrecht Haupt: „Die Ablösung der Staatsleistungen wurde bisher stets mit Verweis darauf abgewehrt, dass der Staat nicht in der Lage sei, die bei einer Ablösung fälligen Entschädigungen zu zahlen. Diese Rechnungen lassen jedoch außer acht, wie viel die Länder seit 1919 an die Kirchen entrichtet haben. Die seit dem Inkrafttreten des Verfassungsgebotes zur Ablösung geleisteten Zahlungen betrachten wir als Ablöseleistungen.“

Nachdem von kirchlicher Seite Entschädigungen von ca. 12 Milliarden Euro gefordert wurden, sei die Ablösung bereits überzahlt – zumal in der jetzt ermittelten Nettosumme von 14 Milliarden Euro (ohne Inflationsausgleich) weder die Zahlungen zwischen 1920 und 1946 noch die von der DDR entrichteten Staatsleistungen berücksichtig seien.

Eine Fortsetzung der Zahlungen widerspräche aus Sicht der Bürgerrechtsorganisation Buchstaben und Geist unserer Verfassung, die seit 1919 eine Ablösung der Staatsleistungen als Teil der Trennung von Staat und Kirche vorschreibt. Eine Aussetzung der Staatsleistungen sei auch aus haushalterischer Sicht dringend geboten, so Johann-Albrecht Haupt: „Es kann nicht sein, dass die hoch verschuldeten öffentlichen Hände in verfassungswidriger Weise jährlich 460 Millionen Euro an zwei Kirchen zahlen, die selbst schuldenfrei, vermögend und zudem in der Lage sind, sich durch die von ihnen festzusetzende Kirchensteuer mit einem Aufkommen von rund 9 Milliarden Euro jährlich selbst zu finanzieren.“ Nachdem inzwischen selbst die Evangelische Kirche Deutschlands und die Deutsche Bischofskonferenz erklärt haben, dass sie einer Ablösung der Staatsleistungen nicht im Wege stünden, sei die Zeit für ein Ablösegesetz reif. Die Humanistische Union fordert deshalb den Bundesgesetzgeber auf, den Verfassungsauftrag umgehend zu erfüllen.

Johann-Albrecht Haupt: „Es muss in Deutschland aufhören, das der Staat allgemeine Leistungen an katholische und evangelische Kirchen zahlt, die zwar einen historischen Hintergrund haben, der Zusammenhang dazu aber längst verloren gegangen ist. In Hinblick auf die heutige religions-soziologische Zusammensetzung der Bevölkerung ist es nicht hinnehmbar, dass der Staat Zahlungen an die Kirchen leistet, die diesen nicht zustehen.“

hpd: „Habe ich Sie richtig verstanden, das von der HU heute vorgestellte Thema ist nicht nur an den allgemein interessierten Bürger gerichtet sondern speziell die Politiker sind angesprochen?“

„Ja, Staatsleistungen sind eine politische Frage, die es zu diskutieren gilt und die dann möglichst gelöst werden sollte. Das Problem besteht darin, dass 90 Jahre geschwiegen und der Verfassungsauftrag nicht geregelt wurde. Das muß ein Ende haben nachdem auch die Vorherrschaft der Kirche auch beendet war.“


„Ist dadurch, dass 90 Jahre geschwiegen wurde überhaupt noch eine Chance, das Thema aufzugreifen?“

„Das kann ich nicht ausschließen, dass eventuell die Zeit darüber hinweg gegangen ist. Aber es bleibt die Tatsache, dass die Verfassung nach wie vor etwas anderes von uns verlangt.“

„Angesprochen sind Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Sagen die selber etwas dazu oder ist das Thema für die evangelische wie die katholische Kirche neu?“

„Die Kirchen rechnen wohl damit, dass das Thema erörtert wird. Sie rechnen aber schlimmsten falls damit, dass sie einen größeren Geldbetrag als Ablösungszahlung erhalten und bestenfalls, dass die Zahlungen weiter gehen.“

„Bestenfalls? Es sind ja nun Milliarden gezahlt worden, die es laut Verfassungsauftrag abzulösen galt.“

„Es ist in einer Zeit der knappen Haushalte eine Frage, die uns alle interessieren sollte. Die Kirchen nehmen keine Rücksicht auf den Steuerzahler und auf die Finanzknappheit des Haushalts und der öffentlichen Hände. Wir Bürger sollten das vermehrt tun und ich hoffe, dass eine Diskussion in Gang kommt.“

„Wenn ein Verfassungsbruch im Raum steht, wieso haben die Juristen sich bisher nicht mit diesem Thema beschäftigt?“

„Die Juristen, die in dem Bereich des Staats-Kirchen-Rechts gehören nahezu zu 100 % einer der beiden begünstigten Kirchen an. Es gibt keine Staatskirchenrechtler, so nennen sie sich, die keiner Kirche angehören oder einer Kirche nahe stehen. Das gleiche gilt auch für die Richter am Bundesverfassungsgericht, die sich mit diesen Fragen zu befassen haben.“

Vielen Dank.
Die Fragen stellte Evelin Frerk.

 

Internetportal Staatsleistungen

Anlässlich der Pressekonferenz der Humanistischen Union ist das Internetportal www.staatsleistungen.de frei geschaltet worden, dass dazu dient, alle Zahlen, Daten und Fakten zu den Staatsleistungen in Deutschland seit 1919 zu dokumentieren.

Unter der Rubrik „Daten & Fakten“ finden sich die Tabellen mit den Zahlungen der Bundesländer seit 1949, die Umrechnungen pro Kopf und Kirchenmitglieder, die Anteile der Bundesländer, die Zahlungen der DDR von 1949 bis 1989 und die Zahlungen in Bayern und Preußen von 1919 bis 1948.

Unter der Rubrik „Geschichte & Recht“ ist begonnen worden, aus Dokumenten die für die Staatsleistungen wichtigen Passagen im Zusammenhang zu dokumentieren, um das Auffinden der entsprechenden Dokumente, die zum Teil nur schwer zugänglich in den Staatsarchiven lagern, zu erleichtern.

Unter der Rubrik „Medien & Meinungen“ finden sich dann weitere Informationen, Zusammenfassungen und Darstellungen, sowie ein Pressespiegel und Videos zum Thema der Staatsleistungen.

 

Friedrich Simmern