Handfeste Proteste gegen die Meinungsfreiheit

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Auftakt Buskampagne. Foto F. Lorenz

LUXEMBURG. (hpd) Eine Woche nach dem Start der Buskampagne in Luxemburg mehren sich die Unmutsäußerungen religiöser Vertreter bis hin zu Boykottdrohungen gegenüber den Busunternehmen. Darauf folgten wehrhafte parlamentarische Anfragen in der Deputiertenkammer, während Busunternehmer die Aufkleber wieder abreißen. Ein Bericht von Fiona Lorenz

Die Buskampagne der Luxemburger „Allianz vun Humanisten, Atheisten an Agnostiker“ (AHA!) erregt großes Interesse. Vergangene Woche Montag startete die Kampagne "Nicht religiös? Steh dazu!", die einfach dazu auffordert, zu seiner Meinung zu stehen, wenn man nicht religiös ist. Fünf Busse fuhren mit dieser Aufforderung durch die Stadt und über das Land.

Es begann damit, dass das „Wort“, die größte Luxemburger Tageszeitung, sich am 13.04.2011 in einem kleinen Artikel darüber beschwerte, nicht im Vorfeld über die Kampagne informiert worden zu sein. Mit der Behauptung, „AHA startet Kampagne gegen Religiosität”, wurden etliche Parlamentsmitglieder namentlich aufgeführt, welche die Kampagne unterstützen. Beleidigt wirkt die Aussage: „Wir weisen unsere Leser darauf hin, dass wir bereits gestern im LW über diese Aktion berichtet hätten, wenn man uns zur Vorstellung der Kampagne am Montag eingeladen hätte.“ Soweit nachvollziehbar. Allerdings hatte sich das Luxemburger Wort bis zu diesem Datum nicht im mindesten an irgendeiner der bisherigen AHA-Aktionen interessiert gezeigt. Dazu muss man wissen, dass das „Wort“ der katholischen Kirche in Luxemburg gehört und ihre Berichterstattung entsprechend anpasst. Über unliebsame Themen pflegt man gar nicht oder, wenn es sein muss, sehr tendenziös zu berichten.

Religiöse Proteste

In anderen Medien wurde jedoch der Meinungsfreiheit die Stange gehalten und AHA flossen die Mitglieder nur so zu. Bis am vergangenen Dienstag, am 19. April, auf der Titelseite des Tageblatts eine Meldung unter dem Titel erschien: „Proteste gegen die Meinungsfreiheit“. Wie es scheint, hatten etliche Pfarrverbände sowie Privatpersonen gegen die Kampagne protestiert, gar den Unternehmen, welche die Anzeigen spazieren fahren, mit Boykott gedroht.

Es stellte sich heraus, dass die Busunternehmen keinerlei Einfluss auf die Werbung haben, welche sie auf ihren Bussen zulassen, sondern dass darüber der Verkehrsverbund entscheidet. Sie erhalten nicht einmal Geld dafür. Allerdings vergaßen die Busunternehmen zu erwähnen, dass der Staat ihnen den öffentlichen Transport (auch mit Bussen) finanziert und die Werbeeinnahmen in die Vermarktung dieses Transportes fließen.

Man protestierte plötzlich gegen diese geschäftsschädigende Werbung, der man ohnmächtig ausgeliefert sei. Es war an der Zeit für ein klares Wort. Um dieses herbeizuführen, stellten vier Parteien am Mittwoch eine parlamentarische Anfrage. Vier Parteien gemeinsam! Das hat es in der Geschichte Luxemburgs noch nicht gegeben. Die Anfrage richtete sich an den „Transportminister“ Claude Wiseler (korrekt bezeichnet mit Ministre du Développement durable et des Infrastructures). Er sollte darüber befinden, ob der Kampagnen-Slogan „Net reliéis ? Stéi dozou !” diskriminierende Werte transportiere, welche den Abbruch der Kampagne rechtfertigten. Ob nicht der Abbruch der Kampagne gegen die von der Luxemburger Verfassung garantierte Meinungsfreiheit verstieße. Wer entschieden habe, die Aufkleber von den Bussen zu entfernen, ob diese Entscheidung legitim sei sowie welche Maßnahmen der Herr Minister ergreifen wolle, um die Meinungsfreiheit im Werbesektor zu garantieren.

Beispielbild
Karikatur: Jacques Tilly
Da waren es nur noch zwei

Mittwoch um 16 Uhr wurde im Ministerium für nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur entschieden, dass die Kampagne weitergeht. Der Minister Wiseler äußerte sich öffentlich dazu: Die Buskampagne sei deontologisch in Ordnung und werde fortgeführt.

Offensichtlich waren zwei Busunternehmer ganz anderer Meinung: Die beiden Busse der Firmen Sales-Lentz und Voyages Echer wurden von den AHA-Aufklebern befreit. Ein Busunternehmen teilte dem Verkehrsverbund mit, die Kampagne entspreche nicht seiner Philosophie. Man habe daher entschieden, die Aufkleber zu entfernen. Und der Bus, auf dem so schön ein junges Pärchen mit Apfel abgebildet ist, „muss gerade repariert werden“. Da waren es nur noch zwei.

Die Stimmung im Lande scheint der AHA-Buskampagne jedoch generell aufgeschlossen gegenüber zu stehen. Claude Molinaro meint in seinem satirischen Kommentar im Tageblatt vom 20. April etwa: „Das Christentum ist zwar eine Religion der Liebe und Toleranz, aber das sollte man nicht zu weit treiben, Meinungsfreiheit hin oder her.” In zahlreichen Radiospots, im Fernsehen und in Printmedien sind positive Kommentare nicht nur von den Medienvertretern, sondern darunter gleich von der Bevölkerung zu verzeichnen. Einzelne Kirchenvertreter sind auch der Meinung, man solle zu seiner Überzeugung stehen, ob man religiös sei oder nicht, wie RTL-Luxemburg in einer Fernsehreportage berichtet. Auch der Kultur-Radiosender 100,7 nimmt eher kritisch Stellung zur Attacke auf die Meinungsfreiheit.

Religion in Zeiten der Demokratie

Besonders interessant ist ein Kommentar auf rtl.lu, der am Donnerstagmorgen zur besten Sendezeit im Radio ausgestrahlt wurde. Der Kommentator, Paul Konsbruck, ist der Meinung, „die Humanisten halten dem Volk den Spiegel vors Gesicht (...) der ist spätestens seit gestern etwas größer geworden.“ Im Grunde gebe es nach Betrachtung des Gerangels um die Kampagne nur eine Erkenntnis: „Aha! So läuft das also!“ Meinungsfreiheit, Toleranz und „Verstehstdumich“ dürften offensichtlich die Religion nicht ins Spiel bringen, dann sei es mit der Toleranz vorbei. Sein Fazit: „Es geht nicht darum, wie wir es mit der Religion halten, sondern auch darum, wie wir mit den Grundwerten der Demokratie umgehen.“

Laurent Schley, Präsident der Allianz, sieht die ganze Sache gelassen: „Man muss halt schauen, wie’s weitergeht“, meinte er im Gespräch. AHA habe soviel Öffentlichkeit gehabt, die Aktion der Kirche gegen die Kampagne habe sich für die Kirche als kontraproduktiv erwiesen. Allerdings habe es ja in der Luft gehangen, dass die Kampagne gestoppt würde. Die ganze Aufregung versteht Schley nicht: „Wir wollen niemanden angreifen, niemanden beleidigen. Wir akzeptieren ja auch, wenn Leute gegen unsere Kampagne sind. Aber wenn sie mit Boykott drohen und die Buskampagne stoppen wollen, dann müssen wir etwas tun.“

Wer auf dem Laufenden bleiben möchte, kann sich im Pressespiegel auf der AHA-Homepage umschauen.