DUBLIN. (hpd) Im Juli ist das Verhältnis der Republik Irland zur Katholischen Kirche schwer erschüttert worden. Erstens wurde deutlich, dass die Kirche den Staat bei den Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer schlicht vorgeführt hatte, zum anderen hatte der Vatikan in die Souveränität Irlands arrogant eingegriffen. Der Ministerpräsident sprach klare Worte.
In der ersten Juli-Woche hatte die britische National Secular Society berichtet, dass die katholische Kirche 2002 von den 1,36 Milliarden Euro an Entschädigungen für Missbrauch und Traumatisierungen in ihren Einrichtungen mangels Kapital nur 120 Mio. Euro bezahlt hatte. Nun habe der irische Staat festgestellt, dass die katholischen Ordensgesellschaften ein bemerkenswertes Vermögen besitzen. Allein in Grundstücksgeschäften seien von 1999 bis 2009 insgesamt 667 Mio. Euro erzielt worden und an Bankguthaben seien insgesamt rund 3,7 Milliarden Euro vorhanden. Irland wolle nun mit der Kirche mit dem Ziel verhandeln, dass die katholische Kirche die Hälfte der gezahlten Entschädigungen übernehmen solle.
Cloyne-Report
Zwei Wochen später wurde der Bericht einer Regierungskommission vorgelegt, die Missbrauchsfälle in der Diözese Cloyne (rund um die Stadt Cork) untersucht hatte und zu Ergebnissen kam, die am 21. Juli eine zwölfminütige Rede des Premierministers Enda Kenny im irischen Parlament auslöste (Video der Rede), die einen Wendepunkt in den Beziehungen der Republik Irland mit dem Vatikan bedeutet.
Der praktizierende Katholik und Ministerpräsident Enda Kenny, dessen Partei ebenso wie die CDU Mitglied in der Europäischen Volkspartei ist, betonte. dass „Cloyne“ eine neue Dimension gezeigt habe. „Weil zum ersten Mal in Irland ein Bericht zum sexuellen Kindesmissbrauch einen Versuch des Heiligen Stuhls enthüllt, eine Untersuchung in einer unabhängigen, demokratischen Republik zu vereiteln – gerade mal vor drei Jahren, nicht vor drei Jahrzehnten.
Und indem er das tat, gräbt der Cloyne Bericht die Fehlfunktion, Abkopplung, das Elitedenken – den Narzissmus – aus, welche die Kultur des Vatikans bis heute dominieren. Vergewaltigung und Folter von Kindern wurden heruntergespielt oder ‚gemanagt’, um stattdessen die Vorrangstellung der Institution hochzuhalten, ihre Macht, ihr Ansehen und ihren ‚Ruf’.“
Während der Dubliner Erzbischof die Aussagen des Premierministers bestätigte, dass Rom zur Vertuschung beigetragen und bedauerte, dass es Gruppen in der katholischen Kirche geben würde, die sich Maßnahmen für den Schutz von Kindern widersetzen, wurde vom irischen Moraltheologen und Papstschüler Vincent Twomey dargelegt: „Der Vatikan hat sich nichts vorzuwerfen.“ Die Ausführungen des Premiers seien „bloße Polemik, die uns Katholiken beleidigt“, denn der Vatikan habe sich niemals etwas zuschulden kommen lassen. „Schuld allein sind einzelne irische Bischöfe, auch nicht alle.“ Und, „der Premier sollte den Mund nicht so voll nehmen. Der staatliche Cloyne-Report stellt fest, dass auch staatliche Stellen ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sein.“
Ablenkungen und Verdrehungen
Auch das Münchener Kirchenradio beeilte sich zu fragen; „Was steckt hinter der Krise?“ und berichtete die Einschätzungen einer irischen Mitarbeiterin von Radio Vatikan. Durch diese Rede habe Premier Kenny nur von anderen wichtigen Themen wie dem EU-Sondergipfel zu Finanzkrise abgelenkt. Und der Premier sei „absichtlich mit einer Brandrede vor das Parlament gegangen, unmittelbar bevor die Abgeordneten in die Sommerpause aufbrachen.“ „Die Kirche in Irlands ist ein dankbares Opfer im Moment“ aber eigentlich zielte er auf den Vatikan.
Vatikan schweigt
Nach weiteren Berichten, dass die irische Regierungskoalition ein Gesetz vorbereite, in der das Beichtgeheimnis für Kindesmissbrauch aufgehoben werden solle, indem sich jeder strafbar mache, der davon Kenntnis erhielt, egal ob in der Beichte oder nicht, rief der Vatikan seinen Botschafter nach Rom zurück.
Dokumentation der Rede Edna Kennys
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Niemals zuvor hat der Kopf einer irischen Regierung in dieser Terminologie gesprochen wie Enda Kenny gestern. Dies hat er gesagt:
Die Enthüllungen des Cloyne-Berichts haben die Regierung, die irischen Katholiken und den Vatikan an einen beispiellosen kritischen Punkt geführt. Man kann mit Recht sagen, dass Irland nach den Ryan- und Murphy-Berichten vielleicht nicht schockierbar ist, wenn es um die Misshandlung von Kindern geht.
Aber Cloyne hat eine andere Dimension gezeigt.
Weil zum ersten Mal in Irland ein Bericht zum sexuellen Kindesmissbrauch einen Versuch des Heiligen Stuhls enthüllt, eine Untersuchung in einer unabhängigen, demokratischen Republik zu vereiteln – gerade mal vor drei Jahren, nicht vor drei Jahrzehnten.
Und indem er das tat, gräbt der Cloyne Bericht die Fehlfunktion, Abkopplung, das Elitedenken – den Narzissmus – aus, welche die Kultur des Vatikans bis heute dominieren. Vergewaltigung und Folter von Kindern wurden heruntergespielt oder „gemanagt“, um stattdessen die Vorrangstellung der Institution hochzuhalten, ihre Macht, ihr Ansehen und ihren „Ruf“.
Weit davon entfernt, Beweise der Demütigung und des Verrats mit dem „Ohr des Herzens“ des St. Benedikt anzuhören, bestand die Reaktion des Vatikan darin, es mit den Luchsaugen eines Kirchenrechtlers zu zergliedern und analysieren. Diese berechnende, vernichtende Position ist das polare Gegenteil des Radikalismus, der Demut und des Mitgefühls, auf denen die römische Kirche gegründet wurde.
In diesem Fall könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Cloynes Enthüllungen sind herzzerreißend. Sie beschreiben, wie viele Opfer weiterhin in den kleinen Städten und Gemeinden lebten, in welchen sie aufgewachsen waren und in welchen sie missbraucht worden waren. Ihr Missbraucher befand sich häufig weiterhin in der Gegend und wurde von ihren Familien und der Gemeinde noch geschätzt. Die Missbraucher leiteten weiterhin die Zeremonien bei Familienhochzeiten und Begräbnissen. In einem Fall vollzog der Missbraucher sogar die Hochzeit seines eigenen Opfers.
Es gibt wenig was ich oder jemand anderer in diesem Hause sagen kann, um dieses Opfer oder andere zu trösten, so sehr wir das wollen. Aber wir können und erkennen auch die Tapferkeit aller Opfer an, die der Kommission ihre Geschichte erzählten.
Während es lange Zeit beanspruchen wird, bis Cloyne sich von den aufgedeckten Gräueln erholt, könnte es für die Opfer und ihre Familien ein Leben lang dauern, die Bruchstücke ihrer zerbrochenen Existenz aufzuheben.
Einen Tag nach der Veröffentlichung traf sich der Vize-Premierminister und Außen- und Handelsminister (Eamon Gilmore) mit dem päpstlichen Nuntius Irlands, Erzbischof Giuseppe Leanza. Der Vizepräsident machte dem Erzbischof zwei Dinge klar:
Die Bedenklichkeit der Handlungen und des Standpunkts des Heiligen Stuhls
Und Irlands vollkommene Ablehnung und Abscheu demgegenüber.
Der päpstliche Nuntius wird dem Vatikan den Cloyne-Bericht präsentieren. Die Regierung erwartet die wohl überlegte Antwort des Heiligen Stuhls.
Ich glaube, das irische Volk, einschließlich der vielen gläubigen Katholiken, die – wie ich – schockiert und bestürzt sind angesichts des wiederholten Versagens der Kirchenbehörden, zu dem zu stehen, was gefordert ist, verdient und verlangt eine Bestätigung vom Vatikan, dass er sehr wohl die Mitarbeit aller Kirchenbehörden, die Verpflichtung, jeden Fall des Verdachts auf Misshandlung, ob gegenwärtig oder vergangen, den staatlichen Autoritäten zu melden, in Einklang mit den nationalen Leitlinien von „Kinder Zuerst“, welche Gesetzeskraft haben, hiermit akzeptiert, unterstützt und verlangt.
Klerikalismus hat dazu geführt, dass einige von Irlands klügsten, privilegiertesten und mächtigsten Männern entweder unwillig oder unfähig sind, die Gräuel, die in den Ryan und Murphy-Berichten zitiert werden, anzusprechen.
Dieser römische Klerikalismus muss für gute Priester verheerend sein, einige von ihnen alt; andere ringen darum, ihre Menschlichkeit, gar ihren Verstand zu erhalten, während sie so hart daran arbeiten, die Wächter des Lichts und der Güte der Kirche innerhalb ihrer Pfarrgemeinden, ihrer Gemeinden und des menschlichen Herzens zu sein.
Aber dank ihnen und uns, befinden wir uns nicht in Rom.
Es sind keine Arbeitsschulen mehr oder ein Magdalena-Irland, wo das Rascheln einer Soutane Gewissen und Menschlichkeit erstickte und das Schwingen eines Weihrauchfasses die irisch-katholische Welt regierte.
Dies ist die Republik Irland 2011.
Eine Republik der Gesetze, der Rechte und Verantwortlichkeiten; einer richtigen bürgerlichen Ordnung; wo die Vergehen und die Arroganz einer bestimmten Version, einer bestimmten Form der „Moralität“ nicht mehr toleriert oder ignoriert werden wird.
Als praktizierender Katholik fällt es mir nicht leicht, irgendetwas hiervon zu sagen.
Als wir aufwuchsen, lernten viele von uns hier, dass wir Teil einer Pilgerkirche seien. Heute muss diese Kirche eine reumütige Kirche sein. Eine Kirche, die wahrhaft und von Grund auf die Gräuel bereut, die sie verübte, vertuschte und leugnete. Im Namen Gottes. Aber zum Wohle der Institution. Wenn ich sage, dass durch unsere Gesetzgebung, durch die Maßnahme unserer Regierung, Kinder an die erste Stelle zu setzen, jene, die missbraucht wurden, ein wenig Trost erhalten, da sie erfahren, dass sie zu einer Nation gehören, zu einer Demokratie, in der Menschlichkeit, Macht, Rechte, Verantwortung verankert und ausgeübt werden – immer, immer zu ihrem Wohl. Wo das Gesetz – ihr Gesetz – als Bürger dieses Landes, kanonische Gesetze immer aufheben wird, die weder zulässig sind noch einen Platz haben in den Angelegenheiten dieses Landes.
Dieser Bericht erzählt uns die Geschichte einer unumwunden dreisten Missachtung des Schutzes von Kindern. Wenn wir als Staat nicht zügig und angemessen handeln, werden wir uns auf weitere Berichte wie diese vorbereiten müssen.
Ich stimme mit dem Erzbischof Martin darin überein, dass die Kirche jeden anderen und alle anderen Berichte wie diesen baldmöglichst veröffentlichen muss.
Ich muss anmerken, dass die Kommission sich sehr positiv über die Arbeit des Nationalen Ausschusses für den Schutz von Kindern äußert, der durch die Kirche eingerichtet wurde, um die Tätigkeit der Diözesen und religiösen Orden zu beaufsichtigen. Die Kommission stellt fest, dass alle Kirchenbehörden einen Vertrag mit dem nationalen Ausschuss unterzeichnen mussten, in dem sie zustimmten, die relevanten Standards einzuführen und dass jene, die ihre Unterschrift verweigerten, im jährlichen Bericht des Ausschusses genannt werden würden. (...)
Nichtsdestotrotz zeigt das Verhalten von Bischof Magee und Monsignore O’Callaghan, wie fragil selbst gute Standards und Strategien gegenüber der Schwäche und der willentlichen Missachtung jener sind, die darin scheitern, dem Schutz unsere Kinder die richtige Priorität zu geben.
Aber wenn der Vatikan sein Haus in Ordnung bringen muss, muss das auch dieser Staat. Der Bericht der Kommission kritisiert zu Recht die vollkommen unbefriedigende Position, welche die letzte Regierung über viele Jahre bestehen ließ.
Das ungebührliche Gezänk zwischen dem Minister für Kinder und der HSE (Bundesanstalt für Arbeitsrecht und -medizin) bezüglich der gesetzlichen Macht, wie mit außerfamiliärem Missbrauch umzugehen sei; das Versagen, eine Gesetzgebung zu produzieren, die den Austausch von „weicher“ Information ermöglicht, wie es nach der Ferns-Untersuchung versprochen wurde; und die lange Periode der Verwirrung und zusammenhangslosen Verantwortlichkeit für den Kinderschutz innerhalb der HSE, wie von der Kommission berichtet, sind einfach nicht akzeptabel in einer Gesellschaft, die Kinder und ihre Sicherheit wertschätzt.
Zu lange hat Irland seine Kinder vernachlässigt.
Erst vergangene Woche sahen wir vor Gericht einen Fall von Kinderfolter innerhalb einer Familie. Erst vor zwei Tagen schreckte uns der Fall eines bekannten Sexualtäters und Hausmeisters einer Schule in Donegal – Kinder und junge Erwachsene auf menschliche Wracks reduziert – der Fragen und Probleme ernsthafter Tragweite für staatliche Institutionen aufwirft.
Wir sind dabei, ein Vorgehen in Gang zu setzen, der sicherstellt, dass der Staat alles tut, was er kann, um unsere Kinder zu schützen.
Der Justizminister Alan Shatter wird zwei Rechtsvorschriften voranbringen – erstens wird das Vorenthalten von Informationen in Bezug auf Verbrechen gegen Kinder und schutzlose Erwachsene zu einem Vergehen; zweitens wird es endlich möglich sein, „weiche Informationen“ über Missbraucher auszutauschen.
Als Premierminister der Republik Irland will ich alles tun was ich kann, um den heiligen Raum der Kindheit zu beschützen und seine Unschuld wiederherzustellen, vor allem unserer jungen Teenager, die, wie ich glaube, Kinder sind, denn ungeachtet unserer gegenwärtigen ökonomischen Krise sind und werden die Kinder dieses Landes immer unser wertvollster Besitz von allen sein.
Ihre Unversehrtheit und Unschuld muss eine nationale Priorität sein. Deshalb schuf ich ein Kabinettsministerium für Kinder und Jugend und die Rechtsvorschrift Kinder. Mit dem Ziel, unseren Kindern den maximalen Schutz und Sicherheit zu gewähren, ohne sich in das hektische, magische Geschehen einzumischen, das es bedeutet, Kind zu sein.
Kardinal Josef Ratzinger (der gegenwärtige Papst Benedikt) sagte: „Führungsstandards, die einer bürgerlichen Gesellschaft oder dem Walten einer Demokratie angemessen sind, können nicht schlicht und einfach auf die Kirche angewendet werden.“
Während der Heilige Stuhl seine wohlüberlegte Antwort auf den Cloyne-Bericht vorbereitet, mache ich als Premierminister der Republik Irland absolut klar, wenn es um den Schutz der Kinder dieses Staates geht, dass die Führungsstandards, welche die Kirche für sich als angemessen erachtet, nicht auf das Walten der Demokratie und bürgerlichen Gesellschaft dieser Republik angewendet werden können und werden.
Nicht schlicht oder einfach oder sonst wie.
Kinder ... Zuerst.
(Original: The Irish Times - Thursday, July 21, 2011, Übersetzung: Fiona Lorenz)
Anhang:Der Text der Kenny-Rede im Original