Das Projekt Weltethos

STIFT REIN. (hpd) Auf einem dreitägigen Seminar unter dem Titel „Dialog der Kulturen“ wurde das Projekt „Weltethos“, - eine Idee, welche auf den pluralistisch ambivalenten Schweizer Theologen Hans Küng zurückgeht, - aus wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, politischer, kultureller und religiöser Sicht diskutiert und in globale Beziehung gestellt.

Veranstalter war der Verein Sommerakademie Stift Rein in Österreich. Das Projekt wurde zunächst von der Präsidentin der Initiative Weltethos, der Theologieprofessorin Edith Riether vorgestellt. Sie bekannte sich zu dem Unterschied zwischen Moral und Ethik und machte deutlich, dass Ethik keiner Religion bedarf, Religion jedoch der Ethik. Nach einem kurzen Überblick soll versucht werden, das Ergebnis dieser Veranstaltung zu bewerten.

Globalisierung

Der Soziologe Prof. Dr. Klaus Krämer sprach über die Annäherung durch globale Wirtschaft und thematisierte den Unterschied zwischen Menschen- und Wohlfahrtsrechten. Er beklagte dabei, dass nicht Tatsachen entscheiden, sondern die Meinungen, welche über die Tatsachen bestehen. So kann er begründen, dass der Glaube an die kulturelle Identität ein Phantom ist, in das sich aber viele Modernisierungsverlierer flüchten, von H. C. Strache bis Geert Wilders.

Bezüglich der globalen Annäherung durch die Wissenschaft, stellt der Philosoph Prof. Dr. Johann Götschl kategorisch fest, dass die Wissenschaft, nicht die Religion, die Probleme löst. Was nicht bewahrenswert ist, soll aufgegeben werden. Eine Abweichung von der Normalität sieht er als das Positive. Eine neue Wissenschaftskultur entsteht dadurch, dass immer mehr Menschen über immer mehr Wissen verfügen. Die rhetorische Frage, ob zu viel Information besser ist als zu wenig, wird zugunsten einer Überinformation beantwortet und die Warnung Neil Postmans vor kulturellem Aids, welches durch zu viel Information entsteht, weil unser Informations-Immunsystem nicht mehr funktioniert, mit dem Argument gemildert, dass sich dieses Problem zumindest langfristig relativieren kann. Damit besteht die Hoffnung, dass sich die richtige Information gegenüber der falschen durchsetzt. Der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Ingo Peyer brachte John Rawls „Gerechtigkeit aus Fairness“ ins Spiel und die These, dass nicht Religion, sondern Sport inzwischen Opium für das Volk sei.

Mit der Annäherung durch globale Politik befasste sich der Politologe Prof. Dr. Anton Pelinka und stellte gleich eingangs fest, dass die Politik in der Globalisierung hinterher hinkt und keine Korrektur in Sicht sei, weil nationale Persönlichkeiten dominieren. Dagegen operiert die Wirtschaft global, aus der Volkswirtschaft ist längst eine Globalwirtschaft geworden, die Kommunikation ist durch elektronische Netzwerke global, Christentum und Islam missionieren global und die Musikkultur ist schon lange global. Seit dem Zusammenbruch des „Warschauer Paktes“ gibt es keine Antithese zur Demokratie, dennoch hat der deutsche Außenminister Westerwelle im UN-Sicherheitsrat mit den Diktaturen China und Russland gegen die demokratischen Staaten gestimmt, dazu der Hinweis, dass Kriege weniger durch globale Aktivitäten als durch atomare Abschreckung verhindert wurden. In der EU wird zunächst nur ein Labor mit mäßigen Erfolgen gesehen und gefordert, dass sich die Nationalstaaten ein Stück zurücknehmen. Und dann die nüchterne Erkenntnis: Ohne Krise kann man den Egoismus in der EU nicht überwinden. Erfreulich jedoch die Einsicht, dass in der EU die einzige zulässige Religion die Religionsfreiheit ist. So ist die Demokratie die Antithese zum gottgewollten Monarchen. Allerdings ist die Teilhabe daran von der Staatsbürgerschaft abhängig, eine Tatsache, welcher in der Globalisierung eine besondere Rolle zufällt.

Die Menschenrechte entstanden durch die bürgerliche Revolution und die Aufklärung. Die nicht vorhandene aktive Religionsfreiheit wird von Politologen anders gewertet als von Theologen. Grundtugend einer wehrhaften Demokratie ist der Relativismus. Menschenrechte und Demokratie gehören zusammen, ohne Demokratie keine Menschenrechte und ohne Menschenrechte keine Demokratie, aber das Wichtigste in einer Demokratie ist die Sicherung der Minderheitsrechte. Eine Volksabstimmung über das Errichten von Minaretten oder über behindertengerechtes Bauen sowie über eine Sondersteuer für über 195 cm Große, wegen erhöhtem Sauerstoffverbrauch u. ä., verstößt eklatant dagegen - auch das Bettelverbot, wäre anzufügen. Ethisch bedeutsam ist die Erkenntnis, dass es zwar stimmt, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, global gesehen die Reichen aber zwar immer reicher, aber die Armen in den reichen Ländern auf Kosten der Armen in den armen Ländern ärmer werden.

Religion und Lebenswerte

Das zentrale Thema der Religion und der Lebenswerte übernahm der katholische Theologe Prof. Dr. Karl Josef Kuschel. Aufschließen der Herzen des Anderen war seine pastorale Botschaft. Zunächst wurde die Gier des Finanzadels und des Raubtierkapitalismus angeprangert sowie die Atomlobby. Mit dem Hinweis, dass wer einmal verstrahlt ist, niemals mehr geheilt werden kann, wird in Bezug auf die ungeklärte Endlagerung, mit der Forderung Schutz des ungeborenen Lebens eine Verbindung zur Abtreibungsproblematik hergestellt. Schließlich wird Horst Köhler mit der Aussage zitiert, „Die Verursacher sitzen unter uns“ und Peer Steinbrück, der unter dem Strich asoziales und unmoralisches Handeln vermutet sowie auf den inzwischen hinreichend bekannten FAZ-Artikel von Frank Schirrmacher hingewiesen.

Ehrlichkeit

Daran anschließend wurde das Prinzip Ehrlichkeit thematisiert und das schäbige Verhalten der Politik gleichnishaft mit dem Hinweis transparent gemacht, wie am 9.9.2005 der US-Außenminister COLIN POWELL die UNO belog, weil er bezüglich der atomaren Bewaffnung des Irak vom eigenen Geheimdienst manipuliert wurde. Statt einer rational begründbaren Ethik wird die „Goldene Regel“ ausgegraben, aber nur theologisch interpretiert. Spätestens hier bemerkt man die Absicht und ist verstimmt. Die Annäherung zwischen den Religionen wurde dann auch weitgehend nur in den abrahamitischen gesehen, womit auch das Ziel eines so genannten Weltethos klar wurde. Mit dem Aufschließen der Herzen waren leider nicht wirklich alle Religionen gemeint, schon gar nicht die säkularisierten, sondern nur die „Kinder Abrahams“.

Wenn man mit einer „Abraham’schen Ökumene“ auf die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam hinweist und damit die Islamphobie mit all ihren schrecklichen Folgen überwinden kann, ist das sicher schon sehr viel. Auch der Hinweis, dass es bereits in der K. und. K. Monarchie islamischer Religionsunterricht gab, ist für das Problem sehr erhellend, allein für den Anspruch, der mit dem Begriff „Weltethos“ geweckt wird, vielleicht zu wenig. Eine konkrete Spiritualität kann nützlich sein, aber sicher nicht für jeden. „Lasst viele Blumen blühen“ war einmal das Motto von Paul Feyerabend, Schüler von Victor Kraft, dem für die Gegenwart wohl bedeutendsten Ethiker des 20. Jh. Ein ehrlicher Bezug zum Pluralismus wird vermisst.

Divergenzen zwischen Religion und Ethik

Mit Divergenzen zwischen Religion und Ethik sah sich der Biologe und Philosoph Prof. Dr. Franz Wuketits befasst. Mit der Aussage, wir haben nicht zu wenig, sondern zuviel Moral, provozierte er Aufmerksamkeit und warnte davor, sich durch Werte und Normen selbst zu überfordern. Moral ist für ihn die Summe aller Regeln, welche der Aufrechterhaltung einer Ordnung dienen, gleich welcher. Damit kommt er zu den Frage: Moral woher, wozu und wie viel Moral verträgt der Mensch? Moral kommt von unten, nicht von oben und Moral muss sich auszahlen. Weil dem Egoismus soziale Grenzen gesetzt sind, zahlt sich Kooperation aus. Der Mensch ist moralisch aus gesundem Egoismus, der gesellschaftlichen Anerkennung wegen und weil er selbst moralisch behandelt werden will. Die Natur kennt keine Moral. Die Kuh ist nicht gut, weil sie Milch gibt und der Löwe nicht böse, weil er die Gazelle reißt, sie können nur nicht anders. Moral ist auch nicht absolut, sondern wandelbar. Die Religionen sind mit Idealvorstellungen überfrachtet mit teilweise grausamen Folgen, wie die der christlichen Sexualmoral.

Ethos und Weltkulturen

Den Schlussstrich zog der Versammlungsleiter, der Religionsphilosoph Prof. Dr. Anton Grabner-Haider, indem er nochmals dezidiert auf das Gebiet Ethos und Weltkulturen einging und einen pluralistischen Ansatz erkennen ließ. Klärend sein Hinweis, dass die kulturelle Evolution nicht von den Theologen, sondern von Philosophen ausgelöst wurde, die gleichzeitig die Vordenker der Aufklärung waren. Mit der Feststellung, dass alle Lebenswerte relativ sind, wurde die Grundlage für den Übergang von einer normativen zu einer deskriptiven Ethik geschaffen. Religionen, allerdings nicht in jeder Art ihrer Verkündigung, sind dazu geeignet, Lebenswerte zu stabilisieren, die in einer globalen Demokratie auch transferiert werden. In der Legende des Dekalogs wird die regula aurea bis hin zur Legende der Bergpredigt stabilisiert.

Persönliches Resümee

Es ist immer noch das deprimierende Ergebnis philosophischen Nachdenkens, dass sich keine ethische Grundpositionen aufstellen lassen, die so begründet werden können, dass sie sich ohne Gewalt und Fiktion in der Lebenswirklichkeit durchsetzen lassen – und/oder in das „Münchhausen-Trilemma“ führen. Das trifft auch auf die unrealistische und zu idealistische Wunschvorstellung eines normativen „Weltethos“ zu. Es ist letztendlich eine Mystifikation, und das weiß Hans Küng auch.

Nach diesem Seminar hat sich das Bild vom sympathischen zum pragmatischen Utopisten gewandelt – um wenigsten sein Bemühen positiv zu bewerten. Ziel des „Weltethos“ ist ein rein theologisches, also eine theistische Immunisierungsstrategie. Die Moralvorstellungen der abrahamistischen Religionen sollen vereinigt werden. Das ist zweifellos sehr viel, aber auch nicht mehr. Darüber muss man sich im Klaren sein. Im Grunde wendet sich diese Aktion an die große Zahl der Christen und Muslime, die 0,6 % Juden können vernachlässigt werden und die 30% Atheisten und Agnostiker bilden eine Alibifunktion, weil sie nicht, - wenn überhaupt, - gleichberechtigt beteiligt sind. Sie gefährden aber das Ziel nicht, weil die Moralvorstellung der dem ethischen Humanismus zuzurechenden Organisationen sowieso über die in dem so genannten Weltethos angestrebten Positionen hinausgehen. Die Gefahr ist jedoch groß, dass alles in eine Sackgasse mündet und im Sinne der Adorno´schen Theorie der Halbbildung für eine Weiterentwicklung resistent bleibt.

Positiv an der „Initiative Weltethos“ ist der Einsatz für einen übergreifenden Ethik-Unterricht, aber darüber hinaus alles Andere mittelfristig nur Erfolg versprechend, wenn es gelingt, den Dialog zwischen den theistisch geprägten Christen, Muslimen und Juden gleichberechtigt auf die atheistisch geprägten Agnostiker zu erweitern und dabei mit einer rational begründbaren Moral zu einer deskriptiven Ethik zu kommen. Der Weg dazu ist allerdings sehr steinig, intellektuell besonders anspruchsvoll und keineswegs so populistisch und leicht verkäuflich wie die schön klingende Leerformel „Weltethos“, - dafür aber nachhaltiger.

Aus theologischer Sicht sieht dies allerdings ganz anders aus. Für die Theologie ist nicht das Sein, wie in der Philosophie, Mittelpunkt der Religion, auch nicht Gott, sondern der Glaube. Sie geht sogar über die Position der agnostischen Atheisten hinaus, für die zumindest theoretisch noch die Möglichkeit der Existenz einer für den menschlichen Verstand nicht erkennbare Intelligenz besteht. In der Theologie ist das kein Thema, sondern einzig und allein der Glaube an den Glauben – und das ist die göttliche Essenz. Damit wird auch die Aussage von Dietrich Bonhoeffer einleuchtend: „Den Gott den es gibt, gibt es nicht“. Hier hat die Philosophie nichts entgegenzusetzen und der Ethiker bekommt Gänsehaut, weil er gezwungen sein könnte, eine Lebenslüge moralisch zu legitimieren. Davor wird er sich aber hüten müssen, weil die Frage bleibt, was passiert, wenn sich Glaube nicht nur in Form eines ethischen Humanismus oder Ähnlichem emanzipiert? Bleibt es dann dabei, dass weiterhin die „Ungläubigen“ mit der Bibel oder dem Koran auf dem Schreibtisch, auf Kosten der „Gläubigen“ leben?

Erich Satter