(hpd) Das Argument, laut dem Atheisten die schlimmsten Mörder der Geschichte seien, kommt oft, wenn die historischen Verbrechen des Christentums oder anderer Religionen in einer Diskussion aufgezählt werden. Im letzten Teil der Reihe geht es um Bündnisse zwischen ideologischen Todfeinden vor und nach 1945: Realpolitik in Europa, Asien, der Sowjetunion und den USA.
Realpolitik vor 1945
In der jüngeren Geschichte hat sich ein Bild herauskristallisiert, laut dem die westlichen Demokratien und die totalitären Staaten erbitterte Feinde waren, zwischen denen es keine Berührungspunkte gab. Über weite Strecken trifft diesen Ansicht zu, doch gab es immer wieder einzelne Bündnisse zwischen den ideologischen Todfeinden, die nicht lange Bestand hatten oder die konträr zu der nach außen hin vertretenen Politik bestanden.
Im Laufe des Ersten Weltkriegs entwickelte sich beispielsweise eine Zusammenarbeit zwischen Kaiser Wilhelm II. und Lenin. Ein Bündnis zwischen Monarchen und Bolschewisten erscheint heute mehr als exotisch und war nur unter den damaligen Rahmenbedingungen vorstellbar. Kaiser Wilhelm II. sah sich schon bald nach Kriegsbeginn in einer aussichtslosen Position. Ihm war nicht gelungen, Frankreich schnell niederzuringen, um gelassener der Konfrontation mit den Großmächten Russland und Großbritannien entgegenzusehen. Italien hatte die Seiten gewechselt und ein Kriegseintritt der USA schien denkbar. Nicht nur die schiere Übermacht der Gegner, sondern vor allem die Tatsache, dass sie das Kaiserreich in einen Zweifrontenkrieg zwängten, deutete auf eine Niederlage hin. Gelänge es, einen Friedensvertrag mit Russland zu schließen, wäre ein Werfen aller Truppen nach Westen möglich.
Zu diesem Zwecke suchte der Protestant Wilhelm II. die Nähe zum Bolschewisten Lenin. Dieser arbeitete auf den Sturz des russischen Zaren durch eine Revolution hin. Der deutsche Kaiser erhoffte sich, mit einer neuen Regierung einen komfortablen Friedensvertrag abzuschließen oder Russland durch den inneren Konflikt zwischen Monarchisten und Bolschewisten so weit zu schwächen, dass keine nennenswerte militärische Bedrohung von der Ostfront her bestand. Die Eliten des Kaiserreichs loteten daher auf diplomatischem Wege aus, ob eine Zusammenarbeit denkbar wäre. Wie diese genau aussah, kann anhand der heutigen Faktenlage nicht mehr im Detail rekonstruiert werden, doch flossen enorme Summen in die Kassen der Bolschewisten. 1917 erlaubte Wilhelm II. die Ausreise Lenins aus der Schweiz zurück nach Russland, damit dieser seine Revolution starten konnte. Dass diese glückte, führen mehrere Historiker auf die enorme finanzielle Unterstützung durch das Kaiserreich zurück. Ihrer Ansicht nach wäre die Revolution ohne die Hilfe von außen innerhalb eines Jahres zusammengebrochen. In diesem hypothetischen Szenario hätte es die Diktatur Stalins nicht gegeben.
Zaghafte Annäherung
Trotz des gespannten Verhältnisses zwischen den demokratischen Staaten und der Sowjetunion ergab sich schon bald nach Kriegsende eine zaghafte Annäherung. Im Vertrag von Rapallo baute zuerst Deutschland seine Beziehungen mit dem östlichen Nachbarn aus. Diese Politik wurde auch von der katholischen Zentrumspartei getragen. In den nachfolgenden Jahren schlossen sich weitere westliche Staaten der Entspannungspolitik an. Auf französischer Seite wurde sie beispielweise vom Katholiken Pierre Laval betrieben. Zwar war die Sowjetunion durch ihre schiere Größe unabhängig von Ressourcenlieferungen aus dem Ausland. Ihr mangelte es jedoch an technischem Knowhow, um eine eigenständige Industrie aufzubauen. Die dafür nötigen Maschinen mussten teilweise im Westen bestellt werden. Finanziert wurde die Industrialisierung durch den Verkauf von Getreide. Dabei war Stalin nur wenig an der eigenen Bevölkerung gelegen. Und so ereignete sich in der Ukraine, der “Kornkammer Europas”, eine der größten Hungersnöte der Geschichte. Mehr als sechs Millionen Menschen verhungerten, damit Stalin die Getreideexporte nach Westeuropa aufrechterhalten konnte.
Keineswegs lässt sich behaupten, die USA hätten Hitler konsequent Paroli geboten. Während sich die Regierung Roosevelts in den ersten Jahren außenpolitisch weitestgehend neutral gab und einen Kurs der Neutralität fuhr, bekundeten Einzelpersonen, Volksdeutsche, Institutionen und Firmen Sympathien für die neue Regierung Deutschlands. Mehrere Industrielle sahen sich in der Position, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Einerseits verfolgte die NSDAP eine strikte Linie gegenüber der kommunistischen Weltrevolution, andererseits eröffneten die größenwahnsinnigen Rüstungsprojekte neue Absatzmärkte.
Henry Ford, Prescott Bush und die Nazis
Mehrere bekannte Namen stehen für erfolgreiche transatlantische Geschäftsbeziehungen. Henry Ford, der selbst Antisemit war und von Hitler das Goldene Parteiabzeichen erhielt, gilt als Erfinder des modernen Autos. Er konnte erstmals Kraftfahrzeuge in Massenproduktion herstellen, die für das einfache Volk erschwinglich waren. Im Zuge von Hitlers Wiedererrichtung der Wehrmacht verkaufte er zehntausende LKWs an Deutschland, die während des 2. Weltkriegs zu einem entscheidenden Faktor der militärischen Infrastruktur wurden. Auch Senator Prescott Bush, Vater bzw. Großvater der US-Präsidenten George H. W. Bush und George W. Bush, unterhielt in den 1930er Jahren enge Verbindungen mit deutschen Industriellen.
Als Bankier hatte er den Thyssen-Konzern, der Stahl verarbeite, mitfinanziert. Doch derartige Geschäftsbeziehungen wurden nach dem Kriegseintritt der USA zunehmend schwieriger. Der Trading with the Enemy Act untersagte den Handel mit dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten. Derzeit hat sich eine Kontroverse entzündet, ob Bush auch über 1941 hinaus über Tarnfirmen in der neutralen Schweiz weiterhin enge Verbindungen nach Deutschland unterhielt und so vom Zwangsarbeitersystem profitierte.
Auch der Computerhersteller IBM muss sich einer wenig ruhmreichen Vergangenheit stellen. Die Firma hatte eine Vielzahl sog. Hollerith-Maschinen verkauft, die mit Lochkarten arbeiteten und im nationalsozialistischen Staat in der Verwaltung der Konzentrationslager zum Einsatz kamen. Zwar lässt sich fragen, ob die enormen Kriegsverbrechen Deutschlands in der Führungsspitze des Unternehmens bekannt waren, doch auch wenn der Handel keinen Bruch der Menschenrechte darstellen sollte, so verstößt er doch zumindest gegen US-amerikanisches Recht in Form des Trading with the Enemy Act.
Im Vorfeld des Kriegseintrittes der USA gründeten mehrere amerikanische Persönlichkeiten aus Politik, Industrie und Entertainment das America First Committee, das latent antisemitische wie antikommunistische Positionen vertrat und eine isolationistische Außenpolitik befürwortete.
Charles Lindbergh und Göring
Die wohl bekanntesten Vertreter, die der Organisation angehörten, waren der Flugpionier Charles Lindbergh, den eine Freundschaft mit Göring verband, und der Filmemacher Walt Disney. Aber auch der Krieg gegen Hitlerdeutschland, den das America First Committee zu verhindern versucht hatte, war nicht der saubere Krieg und nicht so sehr von humanitären Prinzipien beseelt, wie die Regierungen der Westalliierten gerne behaupteten. Natürlich wäre der Holocaust ohne den Einsatz von Waffengewalt nicht beendet worden, doch hätte man ihn diplomatisch im Vorfeld abschwächen können. Die USA hätten in den Jahren vor 1941 bereitwilliger jüdische Flüchtlinge aufnehmen und Druck auf die südamerikanischen Staaten, die sich in mehr oder weniger großer Abhängigkeit von Washington befanden, ausüben können. Gleiches lässt sich über die britische Regierung und das ihr zugehörige Kolonialreich sagen.
Und auch die Flächenbombardements, die als „Moral Bombing“ die Kriegsbegeisterung der deutschen Bevölkerung brechen sollten, heizten die nationalsozialistische Propaganda nur an und forderten zahlreiche Todesopfer unter den deutschen Zivilisten. Während über die verheerenden Luftangriffe bis zum Herbst 1944 behauptet wird, sie hätten den Krieg verkürzt und somit Opfer auf beiden Seiten verhindert, werden besonders die Bombardements in den letzten Kriegsmonaten, wie beispielsweise die Zerstörung Dresdens durch die Royal Air Force, zunehmend als Kriegsverbrechen angesehen.
Doch nach Kriegsende entpuppten sich viele der vollmundigen Versprechen als hohl. Von der gerechten Strafe für NS-Kriegsverbrecher war nur wenig zu spüren. Zwar wurden in Nürnberg über 200 Personen aus dem engsten Führungskreis der NSDAP, dem Militär und der Industrie vor Gericht gestellt, doch tausende Funktionäre, die die mörderische Vernichtungspolitik mitgetragen hatten, mussten keine Strafe fürchten, ja durften im Gegenteil sogar auf eine Fortsetzung ihrer Karriere hoffen. Nach den tiefgreifenden Veränderungen im internationalen Mächteverhältnis stand Deutschland auf Seiten der USA, die ihrerseits auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion gingen. Mehrere Nazis waren kurz nach Kriegsende wegen ihres Antikommunismus gefragt. Sie konnten einerseits in den Militärdiktaturen Südamerikas die Geheimdienste aufbauen, in den USA die Wissenschaft vorantreiben oder in der Bundesrepublik die Probleme der Wiederbewaffnung bewältigen.
Menschenrechte eher zweitrangig
Ebenfalls muss aber auch die Politik bezüglich der Sowjetunion genauer betrachtet werden. Dass die Containment- bzw. Roll-Back-Politik Washingtons ohne Rücksicht auf Verluste geführt wurde, ist bekannt. Mehrere Diktaturen oder Rebellengruppen wurden unterstützt, sofern sie nur antikommunistisch genug erschienen. Erwägungen bezüglich Menschenrechtsverletzungen waren im Kalten Krieg eher zweitrangig.
Doch dass es stattdessen ebenfalls eine Kooperation mit den kommunistischen Regierungen gab, ist weit weniger gut bekannt. Als Hitler 1941 die Sowjetunion überfiel, hing Stalins Macht am seidenen Faden. Die Taktik des Blitzkriegs schien aufzugehen, da die Parteisäuberungen die Führung der Roten Armee ins Mark getroffen hatten und die Missstände während der mangelhaft geplanten Zwangsindustrialisierung eine Massenproduktion von kriegswichtigen Gütern verkomplizierte.
Roosevelt entschied sich dazu, die Sowjetunion durch den Lend-Lease Act mit Waffen, Munition, Fahrzeugen und sonstigen technischen Gütern zu unterstützen. Während die USA mit ihren gewaltigen Industriekapazitäten die Produktion übernahmen, stellte die Seemacht Großbritannien den reibungslosen Verkehr auf den Weltmeeren sicher. Obwohl Roosevelt und Churchill so einen enormen Beitrag zum Machterhalt Stalins leisteten, nutzten sie den daraus resultierenden Einfluss nicht dazu aus, ihm Bedingungen bezüglich der Menschenrechte aufzudiktieren. Während des zweiten Weltkriegs witterte Stalin überall in seinem riesigen Reich Verrat und ging mit aller Härte gegen Faschisten, oder jene, die er dafür hielt vor. Nicht nur Deserteure wurden hart bestraft, auch ihre Familienmitglieder mussten mit Repressionen des sowjetischen Terrorstaates rechnen. Außerdem wurde allen Russlanddeutschen pauschal unterstellt, die fünfte Kolonne Hitlers zu bilden, was Umsiedlungsmaßnahmen, die in vielen Fällen den sicheren Tod bedeuteten, nach sich zog. Auch gegen die Tschetschenen und Krimtataren ging Stalin mit ähnlicher Begründung ähnlich hart vor.