LANDAU/Pfalz. (hpd) Sind die staatlichen Leistungen an Kirchen heute noch gerechtfertigt? Dieser Frage stellte sich am vergangenen Freitag ein Podium in Landau in der Pfalz. In einem Gespräch mit säkularen und kirchlichen Teilnehmern wurden die unterschiedlichen Positionen verdeutlicht.
Seit etwa einem Jahr wird die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat immer stärker in der Öffentlichkeit diskutiert. Den meisten Bürgern ist nicht bewusst, dass sie, egal ob christgläubig, muslimisch oder religionsfrei, neben der expliziten Kirchensteuer mit ihren anderen Abgaben indirekt Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen zahlen.
Auf Einladung der Jungsozialisten in der Pfalz sollte der Frage nachgegangen werden, inwieweit die finanziellen Zuwendungen der öffentlichen Hand, abgesehen von der Kirchensteuer, heute noch gerechtfertigt sind. Dazu konnten unter der Moderation von Oliver Lösch, dem Vorsitzenden der Jusos Pfalz, als Gäste gewonnen werden :
- Kristin Daleiden, (Fraktionsvorsitzende SPD-Ortsverein Worms-Neuhausen, Vorsitzende des Koordinationskreises der Laizisten in Rheinland-Pfalz, Geschäftsführerin des DRK-Kreisverband Worms)
- Dr. Carsten Frerk (Politik- und Sozialwissenschaftler, Autor und Publizist, „Violettbuch Kirchenfinanzen“)
- Dr. Christoph Picker (Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz, Lehrbeauftragter Kirchengeschichte Uni Heidelberg)
- Pater Johann Spermann SJ (Leiter der katholischen Akademie Rhein-Neckar, Direktor des Heinrich Pesch Haus Ludwigshafen)
In seinem kurzen Eingangsreferat erläuterte Frerk, ein anerkannter Experte für Kirchensubventionen, die historischen Eckpunkte für Staats-Kirchenverträge: Seit 1817 leistete der Staat in Bayern Zahlungen an die beiden großen Kirchen nach dem Prinzip „Legitimation“ (der Könige „von Gottes Gnaden“) gegen Alimentierung (des hohen Klerus). Infolge des demokratischen Prinzips einer „Freien Kirche im freien Staat“ wurde 1919 nicht nur die Staatskirche abgeschafft, sondern auch im Artikel 138 der Weimarer Verfassung (übernommen in Grundgesetzartikel 140) die Ablösung dieser Zahlungen verlangt, allerdings ohne Terminangabe. Der Verfassungsauftrag für die Trennung von Staat und Kirche sei zwar heute institutionell weitgehend vollzogen, aber nicht in finanzieller Hinsicht. Zuletzt hätte es in der Adenauerzeit während der 60er Jahre die Staatskirchenverträge gegeben. Seitdem habe sich hier nichts geändert, obwohl sich andererseits die Gesellschaft selbst stark verändert habe.
Im Jahr 2009 hätten die staatlichen Zuwendungen aufgrund dieser vorgeblichen älteren Rechtstitel, pauschal und ohne jede Zweckbindung oder Kontrolle, bundesweit 440 Mio. Euro betragen, und das neben einem Kirchensteueraufkommen von 9,3 Mrd €. Frerk zitierte eine Studie, nach der schon durch die Zahlungen von 1949 bis 1963 in der Summe alle kirchlichen Forderungen zur Ablösung dieser historischen Staatsleistungen ausgeglichen waren, also die Leistungen seitdem eigentlich verfassungswidrig seien.
Der Kirchenrechtler Christoph Picker räumte ein, dass ein nicht unerheblicher Teil der kirchlichen Einnahmen aus staatlichen Zuweisungen stammt. So betrügen die Gesamt-Einnahmen der Evangelischen Kirche der Pfalz pro Jahr 155 Mio. Euro, davon seien 96 Mio. Kirchensteuer und 9,8 Mio. staatliche Ersatzzahlungen aus den Enteignungen seit 1803. Er begründete, warum die staatlichen Zuwendungen berechtigt seien. Napoleon wollte 1803 die Kirchen nicht ruinieren und die Fürsten machten die kirchlichen Würdenträger damals zu Staatsbeamten.
Bei den staatlichen Zuschüssen handele es sich um Kostenerstattung für öffentliche Aufgaben, an denen beide, Staat und Kirche, interessiert seien, und die nach dem Subsidiaritätsprinzip von den Kirchen übernommen würden, etwa vergleichbar mit dem DRK, der AWO oder der Friedrich-Ebert-Stiftung. Als Beispiele nannte er Beratungsstellen, Bildungsveranstaltungen, soziale Arbeit für alte Menschen, Behinderte, Kinder und Jugendliche. Allgemein leisteten die Kirchen einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft auch für den sozialen Zusammenhalt und bildeten Netzwerke in Krisenzeiten. Sie übernähmen Verantwortung für den Nächsten und die ganze Gesellschaft.
Prinzipiell solle der Staat kulturelles und soziales Engagement sowie Religion fördern. Das Verhältnis von Kirche und Staat sei historisch wandelbar und müsse jeweils in den Parlamenten mehrheitlich entschieden werden.
Als Laizistin in der SPD stellte Kristin Daleiden zur Zeit viel Bewegung in der Diskussion über Staat und Kirche fest. Zirka 25 Millionen Menschen in Deutschland hätten keine erklärte Bindung an Religionen, 40 Prozent der Bevölkerung praktiziere keine Religion. Die Parteien müssten entsprechend einem weltanschaulichen Pluralismus auch für religionsfreie Menschen offen sein und dem Reformbedarf gerecht werden. Der Begriff „Werte“ an sich sei keineswegs identisch mit „christlichen Werten“. Andere Weltanschauungen hätten auch ihre Werte, suchten ebenso nach Sinn und hätten ein Bedürfnis nach Gleichberechtigung.
Daleiden zog eine erfolgreiche Bilanz über die Entwicklung des laizistischen Gesprächskreises in der SPD. Innerhalb eines Jahres sei die Gruppe von 500 auf 1000 Parteimitglieder angewachsen mit sieben Landesgruppen. Dabei läge das Kernziel nicht in Kirchenkritik oder Propagieren von Atheismus oder Bekämpfung von privater Religion, sondern lediglich im Eintreten für eine stärkere Trennung von Staat und Religion. Bei den Laizisten seien alle willkommen, die sich einen weltanschaulich neutralen Staat wünschten und sich an der Verfassung orientierten. Die Laizistinnen und Laizisten forderten eine Ablösung der umstrittenen Staatsleistungen und steuerliche und arbeitsrechtliche Gleichbehandlung in den sozialen Hilfsorganisationen. So sei es erstaunlich, dass es in Rheinland-Pfalz fast keine anderen als kirchliche Organisationen in der Kinderbetreuung gebe, was mit dem außergewöhnlich starken Eigeninteresse der Kirchen an der Kindererziehung zusammenhängen könnte.
P. Spermann begann seine Ausführungen mit der scherzhaften Bemerkung, dass die Kirchenkritiker solange nicht dem Staat schaden, solange sie keinen Erfolg haben. Er trete für ein freundliches Miteinander von Kirche und Staat ein. Grundsätzlich müsse sich der Staat gegenüber der Entscheidung des Individuums neutral verhalten. Der Staat habe ein gutes Recht, soziale Institutionen zu fördern und das sei auch mit Rücksicht auf die daraus resultierenden Leistungen sinnvoll. Die Staatsleistungen seien angemessen und die katholische Kirche erfülle eine wichtige Aufgabe für den Staat.