„Diese schönen alten Dorfkirchen…“

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Dorfkirche im Schnee / Foto: gaensebluemchen (pixelio)

BERLIN. (hpd) Zu den Bildern, die viel von einem religiösen Weihnachtsgefühl transportieren, gehören auch die Darstellungen alter Dorfkirchen in verschneiter Landschaft. Aber sind diese alten Dorfkirchen tatsächlich Ausdruck von Religiosität? Sind die Kloster- und Kirchbauvereine Ausdruck der Rückkehr von Religion?

In Mecklenburg-Vorpommern, einem Bundesland mit noch etwa 17 % evangelischen Christen, gibt es das Phänomen, dass sich vielerorts Kloster- und Kirchbauvereine gegründet haben. Die Mitglieder haben das Anliegen, mit viel Engagement und Fleiß die vom Verfall bedrohten alten Kirchen zu erhalten und zu restaurieren. Wieso? Der hpd sprach mit Dr. Simone Scheps, die sich in ihrer Doktorarbeit mit diesem Phänomen in Mecklenburg-Vorpommern genauer beschäftigt hat.

 

hpd: Woher kommt dieses Engagement in den Kloster- und Kirchenbauvereinen?

Dr. Simone Scheps: Am Beginn meiner Untersuchung hatte ich die Annahme formuliert, dass es für das Engagement neben dem Auslöser, ein zerfallenes Kirchengebäude, einen Initiator geben muss, damit sich ein Förderverein zum Aufbau des Kirchengebäudes gründet. Das können beispielsweise Westdeutsche sein, die in den Osten ziehen und dort alte Gutshäuser kaufen, diese renovieren, sich dann dort ansiedeln, und wenn sie den drohenden Verfall der Dorfkirche sehen, die übrigen Dorfbewohner motivieren, etwas dagegen zu tun. Es kann aber auch andere Gründe geben, z.B., dass Konflikte im Dorf aus ganz anderen Gründen entstehen. Beispielsweise soll der Dorfteich vergrößert und befestigt werden, und die Kirchengemeinde sich darüber mit der Stadtverwaltung nicht einigen kann. Dann geht es bald nicht nur um den Dorfteich, sondern auch das marode Kirchengebäude kommt ins Konfliktfeld und daraus entwickeln sich dann neue Strukturen. Diese Auslöser gibt es eigentlich immer, es sind aber nur selten explizit religiöse Gründe gewesen, warum die Leute ihre Kirche nun wieder neu aufbauen wollten.

Wenn es eine religiöse Motivation wäre, dann müsste man doch eigentlich annehmen, dass die Kirche gar nicht verfallen wäre, weil sich die Kirchengemeinde um den Erhalt gekümmert hätte?

Man muss dabei beachten, dass man sich in Mecklenburg-Vorpommern in einem östlichen Bundesland befindet, dessen Bevölkerung während der DDR-Zeit in eine Art religiöses Vakuum gedrängt worden war. In diesen Kirchenbauvereinen habe ich zwar auch immer wieder einmal auch religiöse Menschen angetroffen, aber die geben als Begründung, warum sie sich engagieren, weniger ihre Religiosität an, sondern eine sozial-moralische Lebenseinstellung, die sich, ganz ähnlich beschrieben, auch bei den Nicht-Religiösen findet. Es ist eine generationsübergreifende Moral, die als Hauptgrund genannt wird.


Die Dorfkirche in Barkow, 2004 und 2007 / Fotos: Förderverein Barkow

Heißt es, dass das Gebäude nicht spezifisch als Kirche gesehen wird, sondern als ein Gebäude, das zum Dorf dazu gehört?

Ja, das ich richtig. Ich nenne diesen Grund, aus dem heraus sich meine Interviewpartner engagieren, „das kulturelle Erbe, das erhalten bleiben muss“. Die Kirche wird auf diese Weise zum Identitätsort. Manchmal wurde ich schon gefragt, ob die Fördervereinsmitglieder in Mecklenburg-Vorpommern statt der Kirche nicht auch das Rathaus wieder aufbauen könnten, das sei ja häufig auch verfallen. Aber das können die Menschen dort eben nicht, da die alte Kirche ein besonderes Gebäude ist, und die Rathäuser eher jüngere Zweckgebäude sind. Das Aussehen des Gebäudes ist wichtig, das Auratische und die ästhetische Ausstrahlung. Viele der Menschen, die sich dort für die Dorfkirchen engagieren, egal ob sie konfessionell gebunden sind oder nicht, schätzen einfach diese Backsteingotik, und denken dabei an ihre Vorfahren, an ihr eigenes kulturelles Erbe.


Wenn man von „Die Kirche im Dorf lassen“ spricht, dann meint es auch, dass die Kirche nun einmal im Dorf steht und nicht transportabel ist. Spielt das ebenfalls eine Rolle?

Durchaus. Mit dem quantitativen Strukturwandel geht ein auch qualitativer einher. Die Kommunen betreiben eine zunehmende Konzentration der Infrastruktur. Kommunale Verwaltungen, medizinische Versorgung sowie Einkaufsmöglichkeiten werden in größere Ortschaften oder Städte verlagert. Das bedeutet für viele Dörfer, dass Rathaus, Post und Gasthaus nach und nach verschwinden, und nur noch die renovierungsbedürftige Kirche samt Friedhof übrig bleibt.

Aber, das möchte ich noch einmal betonen, die Kirchen werden meist nicht mehr als das wieder aufgebaut, was sie einmal im klassischen Sinne waren. Es wird häufig etwas anderes und eigenes daraus gemacht. So gibt es zum Beispiel die „Hörspielkirche“ in Federow bei Waren/Müritz, in der in der Sommersaison Hörspiele organisiert werden. Viele Kirchen werden auch mit modernen Elementen versehen, z.B. mit einem Stahlkubus.

Beispielbild
Dr. Simone Scheps / Foto: privat
Gibt es denn noch genügend Pastoren, dass man diese restaurierten Kirchen überhaupt als Gottesdienstgebäude nutzen könnte?

Das ist ein wichtiger Punkt. Ich weiß von Beispielen, dass Pastoren darunter leiden, wenn sie nun plötzlich zwölf Kirchengemeinden betreuen sollen. Das ist dann natürlich eine aufwändige Herumfahrerei, und die Betreuung der Gemeindemitglieder wird mühsam.

Dadurch entsteht dann der Konflikt, dass die Gebäude zwar immer noch der Kirche gehören, auch wenn sie wieder aufgebaut wurden, aber wenn der Pastor sich nur gelegentlich blicken lässt, erhebt der Förderverein dann manches Mal den Anspruch darauf, dieses Kirchengebäude ganz für sich zu nutzen, zu ganz anderen Zwecken.

Ist es schon vorgekommen, dass diese Kirchengebäude entwidmet worden sind?

Ja, das kommt immer wieder vor. Ein Beispiel ist die Nikolaikirche in Stralsund, in dieser Kirche finden jetzt Theateraufführungen statt. Außerdem beherbergt die „Kulturkirche“ ein Café. Es gab auch schon mal eine Disko in der Kirche. Dadurch, dass sie im Stadtzentrum steht, kam es damals zu Beschwerden wegen Lärmbelästigung und auch zu einer öffentlichen Diskussion, wie weit man bei der Umnutzung einer Kirche gehen dürfe.

Könnte man es so sagen: Wenn man über das Land fährt und von außen die schönen alten Dorfkirchen sieht, dann ist nicht unbedingt auch Kirche drin, also ein als Kirche genutztes Gebäude?

Das äußere Erscheinungsbild als Kirche lässt keinen gesicherten Schluss zu, dass es auch als Kirche genutzt wird.

Das heißt, für profane Zwecke wie Hörspiele, Ausstellungen, Theater etc. und nur gelegentlich auch als Kirche?

Richtig.

Zusammenfassend meine Frage: Diese Kloster- und Kirchbauvereine sind kein Ausdruck für die Rückkehr einer Religiosität in Mecklenburg-Vorpommern, sondern Ausdruck eines bürgerschaftlichen Engagements, aus welchen kommunitären Gründen der Dorfbewohner auch immer?

So habe ich die Aussagen meiner Interviewpartner interpretiert. Keine Rückkehr der Religion, sondern Orientierung und Identitätsfindung in einer post-modernen Welt, wozu auch gehört, dass sich Menschen bewusst wieder für diesen ländlichen Raum als Wohnort entscheiden.
 

Frau Dr. Scheps, danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Carsten Frerk.