Verjährt? Einzigartiger Schadenersatzprozess

LINZ/TRIER. (hpd) Bereits Ende Dezember 2011 zog der 1,6 Millionen Euro  schwere Schadenersatzprozess des ehemaligen Heimkindes Jenö Molnar gegen das Land Oberösterreich große mediale Aufmerksamkeit auf sich. Geht es doch um die grundsätzliche Frage, ob das Unrecht schon verjährt ist oder nicht.

Als ehemaliges Heimkind in Österreich, das lange staatenlos war, mittlerweile ungarischer Bürger ist, und nun in Deutschland lebt, verklagt er das Land Oberösterreich auf 1,6 Millionen Euro Schadenersatz – dieser Fall ist einzigartig.

Jenö Alpár Molnar lebt inzwischen in Trier und betreibt einen Copyshop. Im Alter von zehn Monaten wurde er in Österreich von der amerikanischen Militärpolizei entführt und 14 Jahre lang in zwei Kinderheimen versteckt, in denen er zum Teil brutal misshandelt wurde, andererseits aber auch erfolgreich Widerstand leistete. Sein Vater war US-Soldat, seine Mutter ungarischer Abstammung, ihr Vater Notar und Ornithologe. Seine Heimunterbringung geschah gegen den Willen der Eltern, die nicht gefragt, ja nicht einmal darüber informiert wurden.

Erst 2008 schrieb er ein Buch über seine Lebensgeschichte. Diese hatte er niedergeschrieben, um seine Erfahrungen zu verarbeiten, die ihm erst dann wieder eingefallen waren – wie viele traumatisierte Kinder hatte Molnar seine entsetzlichen Kindheitserlebnisse verdrängt, um weiterleben zu können. Auf dieser Tatsache basiert die Hauptargumentation vor Gericht, denn eigentlich wären die Ereignisse aus der Kindheit des inzwischen 66-Jährigen verjährt.

Präzedenzurteil

Der Kläger, vertreten durch seinen Trierer Rechtsanwalt Robert Nieporte sowie die österreichische Rechtsanwältin Julia Andras aus der Staranwaltspraxis Lansky, versucht nun, ein Präzedenzurteil zu erwirken. Es geht um die Frage, ob die Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt des Einsetzens seiner Erinnerung an die traumatischen Erlebnisse rechtlich zu laufen beginnt.

Das Gericht prüft nun genau dieses Argument und wird einen psychiatrischen Sachverständigen stellen, der zu klären hat, ob Molnar tatsächlich „psychisch derart beeinträchtigt war, dass er zur Durchsetzung seiner Rechte einen Sachwalter benötigt hätte“, wie es im österreichischen ABGB heißt.

Wie andere Heimzöglinge hat auch Molnar im April 2011 eine „Abfindung“ im niedrigen fünfstelligen Eurobereich, namentlich 20.000 Euro, vom Land Oberösterreich erhalten. Er empfindet dies als „verhöhnende Ohrfeige“ denn für ihn steht fest: „Wenn Kinder misshandelt werden, ist das wie Mord an der Kinderseele. Wo sie ein Leben lang drunter leiden. Und das darf nicht sein.“ Es geht ihm nicht nur um sich selbst. Er möchte die rechtliche Situation für alle betroffenen Heimkinder verbessern. Molnar möchte erreichen, dass die Verjährung für die Misshandlung von Kindern in Österreich generell aufgehoben wird.

Sollte das Gericht seiner Argumentation folgen, hätte das weitreichende Folgen nicht nur für Österreich, sondern eventuell auch für die Situation ehemaliger Heimkinder in anderen Ländern. – Und die Sache steht nicht schlecht, wurde dem Kläger doch die beantragte Prozesskostenhilfe gewährt, was bedeuten könnte, dass das Gericht ihm hohe Chancen einräumt, diesen Prozess zu gewinnen.

Fiona Lorenz