BERLIN. (hpd) Das Schicksal der Flüchtlinge in Idomeni ist ungewiss. Tausende von Menschen sind ohne Perspektive. Letzten Sonntag trat das Abkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft. Das Schicksal der an der mazedonischen Grenze Wartenden wird von diesem Flüchtlingspakt nicht geregelt. Sie sind Teil der Umverteilungsregelung der EU-Mitgliedsstaaten, die letztes Jahr vereinbart aber bisher nicht umgesetzt wurde. Über 50.000 Flüchtlinge warten in Griechenland auf Ihre Weiterreise nach Nordeuropa.
Es bleiben zentrale Fragen offen, die kurzfristig entschieden werden müssen, wenn die Vereinbarung umgesetzt werden soll: Ist Griechenland den logistischen und personellen Herausforderungen gewachsen, Tausende von Asylüberprüfungen und Registrierungsverfahren zu organisieren? Und das unter Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren und der Europäischen Flüchtlings- und Menschenrechte? Kann und will die Türkei wirklich alle Flüchtlinge abfangen oder zurücknehmen und was geschieht dann mit diesen? Und wird sich die Europäische Union jetzt endlich auf die faire Verteilung der Flüchtlinge einigen?
Kritik erntete der EU-Türkei-Pakt auch vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die Registrierungszentren (sog. Hotspots) für Flüchtlinge in Griechenland seien durch die Vereinbarung mit der Türkei zu geschlossenen "Hafteinrichtungen" geworden: Frauen, Kinder, ganze Familien dürfen dort nun nicht mal mehr ihre Baracken verlassen, der Hotspot Moria auf Lesbos ist von Stacheldraht umzäunt, Polizeibeamte stehen Wache. Moria ist ein Ort der Schande für Europa geworden!
Hotspots sollen dazu dienen, die Umverteilung von Schutzsuchenden auf andere EU-Staaten zu ermöglichen. Tatsächlich geht es primär darum, Schutzsuchende an Europas Außengrenzen festzusetzen und Abschiebungen zu forcieren. Die Hierarchisierung von vermeintlicher Schutzbedürftigkeit, die dem Hotspot-Ansatz zu Grunde liegt, führt zu zusätzlichem Leid. Die massive Diskriminierung einzelner Gruppen von Schutzsuchenden in Schnellverfahren ist schlicht menschenunwürdig.
Das UNHCR schränke daher seine Aktivitäten in den Registrierungsstellen auf den griechischen Inseln ein, hieß es gestern. Und auch die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" hat angekündigt, die hygienische und medizinische Versorgung in der Registrierungsstelle Moria einzuschränken oder gar einzustellen.
Besonders dramatisch ist die Situation auch in Idomeni, dem kleinen griechischen Grenzort, wo mehr als 12.000 Flüchtlinge an der verriegelten Grenze zu Mazedonien warten und gegen Kälte und Regen kämpfen. Busse sollen sie in Lager nach Athen oder Thessaloniki bringen. Doch im letzterem können keine Flüchtlinge mehr im Lager untergebracht werden, wie ein griechischer Mitarbeiter einem ORF-Team bei nicht laufender Kamera verrät. Viele Flüchtlinge wollen ohnehin nicht von Idomeni fort: Sie haben Angst, dass die Grenze für kurze Zeit geöffnet wird und sie diesen Moment vielleicht verpassen könnten.
Die Initiative "Respekt für Griechenland" ist mit Hilfsorganisationen in Idomeni im Gespräch, um diese finanziell und personell zu unterstützen und bittet um Ihre finanzielle Unterstützung, damit die dringendsten Bedürfnisse und das Überleben der Menschen dort gewährleistet werden kann.
Spendenkonto:
GLS Gemeinschaftsbank eG
Verwendungszweck "Idomeni"
IBAN: DE15 4306 0967 1175 7746 02
BIC: GENODEM1GLS
3 Kommentare
Kommentare
angelika richter am Permanenter Link
"Die Hierarchisierung von vermeintlicher Schutzbedürftigkeit, die dem Hotspot-Ansatz zu Grunde liegt, führt zu zusätzlichem Leid.
Was hat denn der Autor anzubieten an Lösungen ohne die kritisierte Priorisierung?
So verständlich der individuelle Wunsch nach den Refugium mit der besten wirtschaftlichen Perspektive für sich und die Familie ist, so klar ist doch, dass die Kapazitäten der Wunschländer begrenzt sind.
Frau Merkel, ja die gesamte Regierung hat darin peinlich versagt, dass rechtzeitig und von vornherein klar zu kommunizieren.
Wolfgang am Permanenter Link
Politisches Denken und menschliches Handeln, da liegen Welten dazwischen. Frau Merkel kann nichts anderes als Reden, sie hat nichts anderes gelernt. Ein Schlosser kann am nächsten Tag auch nicht operieren, gelle?
Herbert Nebel am Permanenter Link
Liebe Frau Richter,
ich habe bewusst die „Schnellverfahren“ kritisiert, die (in etwas anders gelagerten Fällen wie dem „Flughafenverfahren“) auch schon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeprangert wurden. Wie kann man in einem Schnellverfahren von wenigen Tagen Asylsuchende ohne Chancen auf Asyl identifizieren, wenn dies doch in Deutschland häufig Jahre dauert? Gibt es angemessene Rechtsfristen und anwaltliche Unterstützung? Läuft denn dieses Verfahren nicht auf menschenrechtsfreie Zonen an den EU-Außengrenzen hinaus?
Ich habe auch bewusst nicht Griechenland oder Deutschland an den Pranger gestellt, sondern Europa! Ein Staatenverbund mit 500 Millionen Menschen kann mehr leisten als er derzeit tut. Gerade Länder wie Polen und Ungarn – um nur zwei zu nennen – verhalten sich jetzt besonders perfide, obwohl auch deren Einwohner in Zeiten des „Kalten Krieges“ das Asylrecht hunderttausendfach in Anspruch genommen haben und sie als Teil der „Koalition der Willigen“ 2003 mit dem völkerrechtswidrigen Krieg im Irak einen Grundstein für die Entstehung des IS und damit der heutigen Flüchtlingsproblematik gelegt haben!
Und ich möchte auch Ihre Formulierung kritisch hinterfragen, dass die Menschen nur „nach besten wirtschaftlichen Perspektiven“ suchen. Das klingt für mich sehr verharmlosend, was die Situation vieler sog. Wirtschaftsflüchtlinge anbelangt. Mit dem massiven Aufkauf von Ackerland in Entwicklungsländern („Landgrabbing“) produzieren wir Armut in diesen Ländern. Mit Exportsubventionen für Agrarprodukte macht die EU den Bauern in ärmeren Ländern mit Dumpingpreisen Konkurrenz und zerstören ganze Infrastrukturen. Unsere Fischereiflotten entziehen Millionen von Küstenbewohnern Afrikas die Existenzgrundlage. Mit der Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen verantworten die Industrieländer einen dramatischen Klimawandel. All diese auch von Europa zu verantwortenden Dinge bringen Millionen von Menschen in eine ausweglose Lage und sind Ursache von Flucht und Krieg. Und noch ein Hinweis: Gerechte internationale Wirtschaftsbeziehungen haben im Kern eine friedensethische Funktion – und vice versa!
Europa kann nicht alle Probleme dieser Welt lösen. Aber ein Blick auf die Ursachen ist bei der Positionsbestimmung in Sachen Flüchtlinge sehr hilfreich.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Nebel