„Treue ist vergebliche Liebesmüh!“

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Der Moderator Jörg Thadeusz / Alle Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die zweite Veranstaltung des neuen Debattierformates „Disput Berlin - so geht streiten“  ging vorige Woche im Meistersaal über die Bühne und das kontroverse Thema über die Möglichkeit von Treue sorgte für eine emotionale Diskussion und deutliche Meinungssänderung unter den Zuhörern.

Zum "Disput Berlin - so geht streiten" hatte die Initiatorin und Journalistin Jutta Falke-Ischinger eingeladen. Der Ursprung dieses Debattierformats findet sich in England und soll nun auch in Deutschland salonfähig werden, so eröffnet sie die zweite Veranstaltung dieser Reihe am 26. April 2012. Wie schon beim ersten Mal wurde wieder ein religiös-affektiertes Thema gewählt. "Treue ist vergebliche Liebesmüh!" Die Debatte folgt dabei keiner Frage sondern dieser zugespitzten These, so ist die Regel.

 

Die Initiatorin Jutta Falke-Ischinger, der Moderator Jörg Thadeusz und das Podium
 

Der Berliner Moderator Jörg Thadeusz moderierte und begann sofort mit ein paar Spitzen gegen die katholische Kirche. Etwa 200 Menschen wurden so auf einen aufwühlenden Abend eingestimmt.

Per TED-Verfahren wurde das Publikum dreimal am Abend aufgefordert, ein Stimmungsbild zu geben. Beim ersten Durchgang, bevor die eigentliche Diskussion begonnen hatte, gab es eine Mehrheit von über 60 Prozent, die der Aussage nicht zustimmten. Kontra lag also vorn.

Versetzt wurde dann nacheinander der eigene Standpunkt dargelegt. Den Auftakt machte der Soziobiologe und Biophilosoph Eckart Voland, Professor für Philosophie und Biowissenschaften, Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.
Er argumentierte, dass der Mensch nicht in der Lage sei, seine tiefsten Bedürfnisse zu kontrollieren. Sex und Leidenschaft könne man folglich gar nicht in ein moralisches Korsett zwängen. Aus der Natur ließe sich unsere tradierte Beziehungsvorstellung auch nicht ableiten, denn lediglich 16 Prozent der weltweit wissenschaftlich beschriebenen Gesellschaften würde eine monogame Lebensweise praktizieren. Mit einem guten Rat beendete er seine Ausführungen: „Bleiben Sie skeptisch gegenüber den Moralaposteln.“

Drei der Pro-VertreterInnen: Prof. Dr. Eckart Volland, Michael Mary und Desirée Nick.

Norbert Geis (MdB, CSU) eröffnete für die Opposition. Er setzte Treue mit Vertrauen gleich, das seiner Meinung nach der Kitt ist, der eine Gesellschaft erst zusammenhält.

Michael Mary, seines Zeichens Paarberater und Ratgeber beim Frauenmagazin "Brigitte" wartete mit "acht guten Gründen" gegen Treue bei Beziehungen auf. So würde etwa ein Seitensprung häufig verlorengegangenes Selbstbewusstsein erneuern, Tempo in eingeschlafene Beziehungen bringen, gar vor Depressionen schützen und meistens lediglich eine Übersprungshandlung darstellen, um aus einer gescheiterten Beziehung auszubrechen.

Das wurde prompt von der Gegenseite, dem Paarberaterpaar Zurhorst aufgegriffen. Beide waren in ihrer Ehe untreu, sind fremdgegangen und meinten nun, dass "fremdgehen nur etwas für Anfänger ist", Treue jedoch ein Zeichen von Reife. Ihr Punkt lag vor allem darin, darauf hinzuweisen, dass die Seitensprünge immer in Heimlichkeit stattfinden würden und so eine Belastung für die Psyche wären. In ihrer jahrelangen Beratertätigkeit wäre es ihnen noch nicht untergekommen, dass fremdgehen die Menschen glücklicher gemacht hätte.

Die Schauspielerin und Kabarettistin Désirée Nick, dritte Pro-Panelistin, argumentierte scharf und in Humor gespickter Ausführung, dass Treue doch „eine bourgeoise Fantasie des Biedermeier“ sei und man sich daher getrost davon distanzieren dürfe.

Die vier Kontra-VerterInnen: Norbert Geis, Ehepaar Zurhorst, Professor Dr. Hans Bertram

Professor Hans Bertram, Soziologe an der HU Berlin, beendet den Reigen der Treue-Verfechter. Neben Statistiken die für die Treue sprechen würden verwies er darauf, dass vor allem die Kinder die Leidtragenden eines marginalisierten Treuebegriffs wären.

Volker Beck (MdB, Bündnis90/Die Grünen) schloss die Debatte und versuchte sich als Vermittler zwischen den beiden Positionen. Er meinte, dass es keinen absoluten Wahrheitsweg gebe und jeder nach seiner Facon glücklich werden sollte. Die Spitze, dass er es nicht akzeptiere, von "Küchenpsychologen als Anfänger bezeichnet zu werden", ließ er sich nicht nehmen und sprach davon, dass beide Wege, je nach Menschentyp, adäquat sein können. Weiterhin versuchte er den Begriff Treue zu öffnen. Nicht nur über sexuelle Treue gelte es nachzudenken, sondern auch über soziale Treue, wie sie etwa zwischen Freunden existiert.

Das sorgte auch im Anschluss, bei einer geöffneten Diskussionsrunde, für Furore. Mehrere Konfliktlinien taten sich auf. Vor allem zwischen den Paarberatern gab es unüberwindbare Gräben, zu unterschiedlich ist die Grundhaltung über Ursache und Wirkung von Treue.

Nick stachelte indes gegen den CSU-Mann Geis. Dieser war ohnehin äußerst aufgebracht, nachdem der Moderator ihn auf Horst Seehofer und dessen Affaire angesprochen hatte (angeblich gab es im Vorfeld eine Absprache, nicht über das Thema zu reden) – und wäre eine Stecknadel zu Boden gefallen, so wäre sie in dieser Passage zu hören gewesen.

Blieb noch Zeit für zwei Zuschauerfragen und ein kurzes Abschlussstatement der Disputanten.

Volker Beck und das Abstimmungsergebnis

Was der Debatte wesentlich schadete, war, dass zum großen Teil aneinander vorbeigeredet wurde. Erst mit Beck kam es zu einer klaren Definition und Unterscheidung von sozialer und sexueller Treue. Treue ist ein gesellschaftlich aufgeladener Begriff, der natürlich streng an christliche Moralvorstellung gekoppelt ist. Eine Aufdröselung wäre daher bitter nötig gewesen. Das Therapeutenehepaar – die in ihrem vorherigen Berufsleben erfolgreiche Manager waren – hätte wohl weit weniger Kundschaft, wenn es diese innere Zerissenheit in den Menschen nicht gäbe. Einen entscheidenden Denkfehler machten sie zudem auch. Die beiden übersahen, dass sie erst durch die Seitensprünge zu sich selbst, "beziehungsweise" zu ihrer Beziehung zurückgefunden haben, ein – nach ihrer Defintion – Verrat an der Treue.

Die Glocke, die eigentlich beim Debattieren zum Einsatz kommt, sobald über die genehmigte Redezeit gesprochen wird, blieb stumm, selbst als Désirée Nick solange sprach, dass das rote Warnlämpchen gar nicht mehr ausgehen wollte.

Auch war die Wahl der Redner problematisch. Die drei Paartherapeuten befassten sich fast ausschließlich mit der sexuellen Komponente von Treue.

Dass die Debatte und die Argumente vom Publikum rezipiert wurden, ließ sich am Endergebnis sehen. Für die These stimmte  das Publikum letztendlich mit 49,1 Prozent, dagegen nur noch 41,7 Prozent und die Unentschiedenen pendelten sich bei 9,3 Prozent ein.

Sebastian Wamser