(hpd) Der von Oliver von Wrochem herausgegebene Sammelband enthält Aufsätze und Zeitzeugenberichte über das Schicksal der skandinavischen Konzentrationslagerhäftlinge in NS-Deutschland. Es handelt sich um beachtenswerte Fallstudien, die allerdings nur Fragmente zu einer noch zu schreibenden größeren Darstellung zum Thema liefern.
Bei der Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkriegs stehen meist Ereignisse in Deutschland oder in den Ländern der Kriegsgegner der Hitler-Regierung in Frankreich oder der Sowjetunion im Zentrum des Interesses. Die Ereignisse in den skandinavischen Ländern finden demgegenüber kaum Aufmerksamkeit. Gerade angesichts der Geschichte des norwegischen Widerstandes oder der Rettung der dänischen Juden ist dieses Desinteresse mehr als nur bedauerlich. Dies gilt auch für die Folgen der NS-Repressionspolitik in Dänemark und Norwegen.
Im Auftrag der KZ-Gedenkstätte Neuengamme legte nun der Historiker Oliver von Wrochem unter Mitarbeit seines Kollegen Lars Jockheck den Sammelband „Skandinavien im Zweiten Weltkrieg und die Rettungsaktion Weiße Busse. Ereignisse und Erinnerung“ vor. Dessen Beiträge konzentrieren sich auf Ereignisse, die eben mit dem früheren Konzentrationslager in Neuengamme als Aufnahmestelle für Inhaftierte aus den Ländern Nordeuropas zusammenhängen.
Die Texte gehen auf eine Tagung mit dem Titel „Skandinavien in der Zeit des Nationalsozialismus und die ‚Aktion Bernadotte’“ zurück, welche im Mai 2010 an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme stattfand. Dort berichteten frühere Häftlinge aus Dänemark und Norwegen als Zeitzeugen. Historiker aus unterschiedlichen Ländern präsentierten ihre Forschungsergebnisse.
So gliedert sich der Band auch in drei Teile: Zunächst geht es im Kapitel „Skandinavier unter deutscher Herrschaft – als Opfer und als Täter“ um die deutsche Besatzungspolitik in Dänemark (Therkel Staede) und die Deportationen aus Dänemark (Henrik Skov Kristensen), skandinavische Häftlinge in Neuengamme (Hans Sode-Madsen, Michael Grill/Ulrike Jensen, Jens-Christian Hansen) sowie anderen deutschen Lagern wie Auschwitz, Buchenwald, Natzweiler, Ravensbrück und Sachsenhausen (Simone Erpel), finnische Freiwillige in der Waffen-SS (Oula Silvsennoinen) und dänische SS-Freiwillige im Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern (Dennis Christian Larsen).
Der zweite Teil widmet sich der Rettung der skandinavischen Häftlinge mit den Weißen Bussen und den Erinnerungskulturen in Deutschland und Skandinavien. Dort findet man Beiträge zu den Aktivitäten des schwedischen Roten Kreuzes im NS-Deutschland 1945 (Ingrid Lomfors), dem Ende des Todesmarsches der Häftlinge aus Auschwitz und Dora-Mittelbau und den Weißen Bussen (Jörg Wollenberg) sowie der Rezeption der Aktion „Weiße Busse“ in der Erinnerungskultur Dänemarks (Henrik Sommerlund) und Deutschlands (Izabela A. Dahl).
Die „Weißen Busse“ beziehen sich auf die Aktivitäten von Graf Folke Bernadotte, der als Vizepräsident des schwedischen Roten Kreuzes ab Februar 1945 für Heinrich Himmler Kontakt zu den Westalliierten aufnahm. Als Gegenleistung forderte er zunächst die Betreuung und dann die Freilassung der skandinavischen Lagerhäftlinge. Letzteres geschah mit den genannten Bussen. Von der dadurch erfolgten Rettung und der vorherigen Inhaftierung berichten dann noch Zeitzeugen im dritten Teil des Bandes.
Wie der Überblick über die Themen der einzelnen Beiträge schon verdeutlicht, handelt es sich keineswegs um eine umfassende Darstellung zum Thema. Der gewählte Titel des Sammelbandes suggeriert demnach einen ganz anderen Eindruck. Es geht im Kern um das Leben der Häftlinge aus den nordeuropäischen Ländern und ihre Rettung durch die „Weißen Busse“. Da letztere auf ein Agieren im Interesse Himmlers zurück ging, stellt das Engagement Bernadottes ein moralisch nicht unproblematisches Verhalten dar. Man sieht ihn in dem Band auch auf einem Foto lächelnd im Gespräch mit einem SS-Obersturmbannführer.
Leider werden die damit einhergehenden Fragen nur am Rande behandelt. Mit einer gewissen Berechtigung fragt man auch „Folke Bernadotte – ein schwedischer Held?“ (S. 148). Auch die zeitweilige Bereitschaft, jüdische Skandinavier von der Rettungsaktion auszunehmen, wirft einen Schatten auf diese Tat. Insgesamt bringt der Band gut belegte und überaus interessante Fallstudien zum Thema, welche aber nur Fragmente zu einer größeren Darstellung liefern.
Armin Pfahl-Traughber
Oliver von Wrochem unter Mitarbeit von Lars Jockheck (Hrsg.), Skandinavien im Zweiten Weltkrieg und die Rettungsaktion Weiße Busse. Ereignisse und Erinnerung, Berlin 2012 (Metropol-Verlag), 359 S., 24 €.