"Nur wer keine Argumente hat, wird wütend."

Arabischer Frühling

Alte Strukturen wurden aufgehoben, getragen vom Wunsch nach Freiheit, Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit. Warum geschah dies? Weil die Revolutionäre Moslems waren? Oder obwohl? Diese Frage sei, so Abdel-Samad, unerheblich, denn sie hätten es einfach nur als Menschen getan.

Jedoch dränge sich natürlich sofort die Frage auf, wie dies zusammenpasse mit den jüngsten Wahlergebnissen in Tunesien und Ägypten: Wollten diese Menschen letztlich doch nur eine Form der Bevormundung gegen eine andere austauschen? Oder hatte sich in ihren Köpfen doch zu nachhaltig das Mantra der Diktatoren festgesetzt, das da lautete: „Die einzige Alternative zu uns Diktatoren sind die Islamisten!“...?

Dieses Mantra, und dass Moslems eine Diktatur bräuchten, hatten die Diktatoren auch erfolgreich den Westen glauben gemacht: Mit der Folge, dass dieser, sie als "geringeres Übel" ansehend, sie stets unterstützt hatte.

In diesen Diktaturen wurde durchgängig dafür gesorgt, dass die Islamisten sichtbar waren. Linken und Gemäßigten wurde der Zugang zu Medien verweigert. Die Islamisten hingegen durften Milliarden aus dem Ausland empfangen, um soziale Einrichtungen zu finanzieren: Die Muslimbrüder seien immer dort gewesen, wo der Staat gefehlt habe. Aus diesem Grund hätten die Menschen sie auch zunächst gewählt, da sie persönlich so gute Erfahrungen mit ihnen gemacht hatten. Mubarak hingegen stehe einfach für alles, was schlecht und korrupt sei.

Im Westen heule man wegen des Ergebnisses der letzten ägyptischen Präsidentschaftswahl auf - aber das revolutionäre Lager habe eigentlich zusammen genommen 40 Prozent der Stimmen erhalten. Die Muslimbrüder hätten diesmal nur noch 25 Prozent erhalten: damit seien sie dafür abgestraft worden, dass sie sich in der Zwischenzeit nicht im Geringsten für soziale Verbesserungen eingesetzt hatten...

Abdel-Samad sieht durchaus die besorgniserregende Parallele zum Iran, wo auch anfangs geglaubt wurde, dass die Islamisten sofort wieder gingen. Er ist jedoch der Meinung, dass es nirgends mehr islamkritische Menschen gebe als im Iran, weil sie erfahren hätten, dass die Utopie nicht funktioniere.

Niemand könne garantieren, dass aus Ägypten kein zweiter Iran werde. Aber man könne das fast ausschließen - aus folgendem Grund: Ägypten lebe hauptsächlich vom Tourismus, der 50 Prozent der wirtschaftlichen Einnahmen ausmache. Die Wirtschaft werde bald eine viel wichtigere Rolle spielen als Religion, denn Menschen könnten sich von der Scharia nicht ernähren... Verbote von Alkohol und Bikinis würden dem Tourismus massiv schaden, und das Land noch mehr verarmen lassen; die Menschen würden sich daraufhin dann wahrscheinlich auch von den Islamisten wieder befreien, was dann die erste wirkliche Chance für die Gemäßigten bedeuten würde...

Man schreibe zudem nicht mehr das Jahr 1979: Heute lebe die "Generation facebook", die Leute hätten andere Vergleiche, Autoritäten seien nicht mehr so unantastbar wie früher. - Leider sei dies nur nicht der Fall für den Text des Propheten...

Hamed Abdel-Samad glaubt langfristig an Reform. Reformfähig sei das Denken der Menschen. Reformfähig sei die Art, alte Texte auszulegen, sie zu relativieren und sich damit im Ergebnis von ihnen zu distanzieren.

Es habe allerdings noch nie eine Religion gegeben, die sich von sich aus und von innen heraus reformiert habe.

Für die arabische Welt gebe es mehrere Szenarien - auch die Zutaten für echte Veränderung seien da.

Diskussion und ein Pakt

In der folgenden Diskussion meldete sich sofort und erregt ein Moslem mit Häkel-Mütze zu Wort: Er fühle sich von seinen Worten beleidigt! Und das Recht auf Kritik höre dort auf, wo andere beleidigt würden. Abdel-Samad habe offensichtlich das Selbstverständnis des Islam nicht begriffen, es sei nämlich folgendermaßen: Der Islam verstehe sich als Glaubenskomplex und sei geoffenbart. Dieser Komplex solle sich bewahrheiten. Der aufmerksame Zuhörer fragte sich in diesem Moment zwar, wo denn nun der Widerspruch zu verorten sei - da ging es aber auch schon weiter: Die Menschenrechte seien relativ! Muslime könnten keine E-Mail an Gott schreiben und müssten seine Gebote einfach akzeptieren.

Abdel-Samad entgegnete, dass Muslime sich in einem vertikalen Verhältnis zu Gott sähen. Sie selbst könnten das gerne und frei ausleben. Aber wenn sie in den öffentlichen Raum kämen, könnten sie anderen nicht verbieten, sich darüber lustig zu machen: „Der Betroffene muss mit seinen Gefühlen anders umgehen. Sie dürfen an einen Stein glauben, aber bewerfen sie mich nicht mit dem Stein!"

Und weiter: Wenn wir als Gesellschaft den Salafisten erlaubten, andere als Ungläubige zu bezeichnen, müsse man auch Pro Köln erlauben, Karikaturen zu zeigen. Die Grenze der Meinungsfreiheit sei erst dort zu ziehen, wo es um Gewalt oder Diffamierung gehe. Wenn er sage: „Mohammed ist kein Prophet gewesen, und er hat eine Religion der Gewalt geschaffen.“, solle darauf mit Argumenten geantwortet werden, aber nicht mit Wut. „Nur wer keine Argumente hat, wird wütend...“ Respekt verdiene man sich durch Argumente und Leistungen, nicht, indem man Respekt fordere, weil man ein Moslem sei: "Ich respektiere sie, aber nicht deswegen, weil sie Moslem sind, sondern weil sie ein Mensch sind!"

Mina Ahadi führte recht emotional aus, dass der Islam gegen Menschenrechte, gegen Frauenrechte sei. Er sei eine Bewegung. Er sei menschenfeindlich und aggressiv. Sie wolle hier eine "normale Frau" aus einem muslimischen Land reden hören, und von ihr geschildert bekommen, was der Islam für ihr Leben bedeutet. Der Islam sei nicht gleichzusetzen mit anderen Religionen, er beinhalte die Todesstrafe, die Steinigung, etc... Mohammed habe eine 9-Jährige geheiratet...

Abdel-Samad entgegnete, dass der aggressive unerbittliche Islam im Iran nur ihre persönliche Erfahrung gewesen sei. Andere Frauen hätten vielleicht eine andere Geschichte - keine einzige Erzählung sei allgemeingültig. Mohammed sei nicht mehr für das Heiraten einer 9-Jährigen verklagbar: Damals hätten andere Regeln geherrscht, wie man ja in den 14 Jahrhunderte alten Texten nachlesen könne. Er schlage daher einen Pakt vor: Wir verurteilen Leute von damals nicht nach unseren heutigen Maßstäben, dafür sollen aber auch die 14 Jahrhunderte alten Texte nicht mehr unser heutiges Leben bestimmen: sie müssen relativiert werden.

Auf die Frage, ob ein "Islam light" denn überhaupt möglich sei, zumal das Christentum ja auch trotz der Aufklärung immer noch gefährlich sei, Religionen Menschen trennten, sagte er, dass er an Menschen glaube, und daran, dass sie zu allem fähig seien. Er glaube nicht an die genetische Bedingtheit, wer z.B. Demokrat sei und wer nicht...

Was ihm Hoffnung mache: Vor 500 Jahren habe es die tolle Erfindung des Buchdrucks gegeben, die zur Folge hatte, dass das Wissen plötzlich nicht mehr durch die Kirche monopolisiert war. Das Osmanische Reich habe damals diese Erfindung abgelehnt, denn religiöse Gelehrte hätten Angst gehabt, dass der Koran verfälscht werden könne. Die ersten Druck-Platten waren somit tatsächlich nach Kairo z.B. erst 1798 mit Napoleon gekommen: Die islamische Welt hatte über 300 Jahre wichtige Prozesse verpasst. Nun sei aber das Internet in die arabische Welt gekommen, und diese Welle konnten die Gelehrten glücklicherweise nicht stoppen. Es gebe daher eine frische Entwicklung. Eines der beliebtesten Chat-Foren sei momentan eines, worin Araber mit Atheisten diskutierten.

Es werde nicht alles von heute auf morgen besser werden. Er kritisiere, weil er verändern wolle. Er wolle das kleine Licht der Veränderung unterstützen...

Nach dem Applaus und den natürlich noch lebhaft weitergehenden Einzel-Diskussionen war zu resümieren, dass es insgesamt sehr schön war, zu erleben, dass einmal eine wirkliche Öffentlichkeit in einer Veranstaltung der gbs Köln hergestellt werden konnte. Man kann hoffen, dass wirklich etwas in den Köpfen einiger, die noch nie etwas von rationaler religionskritischer Aufklärung gehört hatten, bewegt wurde.

Leider war jedoch auch zu beobachten, dass an den Stellen, wo Religion im allgemeinen kritisiert wurde, nur von relativ wenigen geklatscht wurde, was darauf schließen lässt, dass wohl doch viele Zuschauer nur der Islamkritik wegen gekommen waren.

Aber Aufklärung braucht bekanntlich einen langen Atem, und eine Menge „brennender Geduld“...
 

Constanze Cremer