Phönix aus der Flasche

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Er ist ein Symbol der Auferstehung und Unsterblichkeit: Phönix, das sagenhafte vogelähnliche Fabelwesen der Antike, dessen Lebensdauer 972 Menschenalter betrug. Wenn es sein Ende nahen fühlte, verbrannte es sich der Legende zufolge, und aus der Asche entstand ein neuer Phönix. Heute pflegen wir zu sagen, daß ein aus einem Zusammenbruch neuerstehendes Leben sich erhebt wie "Phönix aus der Asche". Ob das auch für die Unterwasserwelt gilt?

Zwar ist es noch nicht so weit, daß der marine Lebensraum zusammenbricht, aber dank des Menschen gibt es Anzeichen und Spuren dafür. An den entferntesten Plätzen der Erde, oft nur mit großem Aufwand von Expeditionscharakter erreichbar, findet man Hinterlassenschaften des Menschen, und das gilt auch unter Wasser. Um deutlicher zu werden: Das Meer ist als Mülldeponie entdeckt. Flaschen und Getränkedosen begegnet man als Taucher immer wieder, sei es an einem belebten Ankerplatz im Roten Meer oder unter einem Jetty an der Südküste Australiens. Da helfen auch keine Appelle an die Vernunft, wie ich vor einigen Jahren auf den Malediven erleben konnte.

Während der Woche auf dem Liveaboard (Hotelschiff für Taucher) waren sich die aus mehreren europäischen Ländern zusammengewürfelten Taucher einig, organische und nicht organischen Abfälle zu trennen, also Essensreste ruhig über Bord, aber Coladosen etc. in die vorgesehenen Plastiksäcke. Bis einer der Taucher morgens berichtete, daß er beim nächtlichen Pinkeln zusehen konnte, wie die Crew die Dosen einfach ins Meer warf. Durchaus der Tatsache bewußt, nicht den europäischen Oberlehrer herauskehren zu müssen, wurde der Skipper darauf angesprochen und sagte Besserung zu. Zum Abschluss der Reise war ein Barbeque auf einer unbewohnten Insel angesagt. Die Crew hatte sich wirklich Mühe gegeben, ein Fest vorzubereiten und sogar den Strand "garniert". Bekanntlich darf auf maledivischen Touristenschiffen kein Alkohol ausgeschenkt werden, und so wurde uns Limo und Cola in Dosen angeboten, sogar richtig schön gekühlt. Das Essen war sehr lecker und beim Tänzchen ums Lagerfeuer bekam man zusätzlich Durst. Wir legten die leeren Getränkedosen gezielt in einen Plastiksack zurück.

Ich nutze den milden Abend und wandere den Strand entlang, um mit meiner Lampe Schlammspringer und all die anderen Gezeitenbewohner zu beobachten, die man tagsüber nicht sieht. Irgendwie huscht der Scheinwerfer dann aufs Meer hinaus und ich traue meinen Augen nicht: Auf der Oberfläche schwimmen jede Menge leere Getränkedosen. Ich kann einen Schrei der Verärgerung nicht unterdrücken! Was war geschehen? Als Getränkenachschub notwendig war, nahm der Malediver den Plastiksack mit den leeren Dosen mit auf das Dhingi, um ihn auf dem Liveaboard zu entsorgen. Versehentlich ist ihm der zugeknotete Sack dann umgefallen und die Dosen ins Meer gepurzelt.....

Ganz anders sehen viele Meeresbewohner solche Vorgänge. Für sie ist eine Getränkedose kein Müll, sondern ersehnter Lebensraum. Und wer paßt besser in eine leere Bierflasche als ein Schleimfisch? Geschützt von allen Seiten kann ihm kaum ein Räuber in seine Behausung folgen. Auch ein Krake nicht, von dem man sagt, daß er fähig sei, durch das kleinste Loch zu schlüpfen.

Taucher in der Flasche, Foto: © Archiv Debelius

Menschlicher Abfall im Meer: die Natur integriert ihn und von Substratlaichern wird er genutzt, um ihre Nachkommen darauf großzuziehen. So das Pärchen Anemonenfische Amphiprion polymnus, dem die Lage einer Bierdose direkt vor ihrer Wirtsanemone ideal paßt, darauf abzulaichen. Die im Sand eingegrabene Dose kann nicht mehr wegrollen, hat glatte Flächen zum Befestigen des Eigeleges und kann schnell von den Elternteilen aus der Anemone erreicht werden, sobald Nesträuber wie die gierigen Lipp- und Falterfische sich nähern.

Mehr als woanders - wen wundert’s - findet man auch in unseren Breiten Zivilationsmüll im Meer. So im holländischen Zeeland, das nunmehr von der offenen Nordsee abgeschlossen ist. Eingewandert aus dem Süden ist die Schwarzgrundel Gobius niger, die man im Veerse Meer und im Grevelinger Meer heute beobachten kann. Aber in Zeeland gibt es nur große Steine an den Deichen mit wenigen Versteckmöglichkeiten für die Fische. Deshalb ist die Grundel froh, zur Fortpflanzungszeit im Frühjahr Blechdosen, alte Schuhe und was der Mensch sonst noch ins Wasser wirft, vorzufinden. Manchmal sieht man sie zwischen leeren Austerschalen hervorblicken. In der Balz sind die Grundeln weniger scheu und man kann die oft dunkelblau werdenden Tiere besonders da turteln sehen, wo Müll am Boden liegt, wie am Ankerplatz von Segelschiffen am Grevelinger Meer. Auch dieser Substratlaicher heftet seine ellipsenförmigen Eier in und an weggeworfene Dosen und Büchsen. Und wehe, man kommt ihnen als Fotograf dann zu nahe. Mutig verteidigen sie ihr Gelege so lange, bis die Jungen geschlüpft sind.

Natur - das ist nicht nur ein großes Wort, sondern auch ein verwässerter Begriff. Reduziert man das Wort Natur auf seine eigentliche Bedeutung, nämlich die Kennzeichnung des Teiles der Erde, der ohne menschliches Zutun zustande kam, so schrumpfen unsere Maßstäbe dahin. Das Bedürfnis nach Naturerlebnis ist groß und wächst offensichtlich im Gleichschritt mit der Bevölkerung, mit dem Wohlstand und der Mobilität der Bewohner von Industrie-Staaten. Zur gleichen Zeit aber opfert man die verbliebenen Reste ursprünglicher Natur materiellen Zielen. Ehe die Menschheit sich versah, hatte sie mit unbedachtem Tatendrang in all das, was die Evolution in nahezu vier Milliarden Jahren geformt hatte, soweit verändernd eingegriffen, daß die letzten Rückzugsgebiete freier Natur schnell aufzuzählen sind: die Eisregionen der Polkappen, die großen Wüsten, die schrumpfenden Reste tropischer Regenwälder und die Meere. Gerade letztere werden immer mehr zu einer "künstlichen Natur", die die Mitwirkung des Menschen nicht verleugnen kann. Es ist nicht abzusehen, ob und wann diese Entwicklung je gestoppt, geschweige denn umgekehrt werden kann. Eine Rückgewinnung verlorener ursprünglicher Ökosysteme - etwa von Urwäldern - ist ohnehin nicht möglich. Es sei denn, Phönix, als Sinnbild des durch den Tod sich erneuernden Lebens, greift ein.