Wo sind die uneigennützigen Samariter?

WEIMAR. (hpd/fgw) Hat es sie denn überhaupt je gegeben? Oder handelt es sich nur um eine gern geglaubte Mär, mit der die christlichen Priesterkasten die Existenz ihrer monopolartigen Sozialkonzerne begründen wollen? Und was verbirgt sich hinter diesen konzernartigen Gebilden Caritas (katholische Kirche) und Diakonie (evangelische Kirchen)?

Welchen Zweck verfolgen die Kirchen mit deren Betrieb? Es stellt sich da durchaus die Frage nach Mittel und Zweck. Vor allem aber geht es um die Frage, wer denn überhaupt diese "barmherzige, mildtätige und uneigennützige Tätigkeit" der beiden großen christlichen Sozialwerke finanziert. Gerade der letzten Frage ist Carsten Frerk in seinem Buch "Caritas und Diakonie in Deutschland" nachgegangen, das jetzt eine durchgesehene Neuauflage erlebt hat.

Das Buch des promovierten Politologen Carsten Frerk gilt mittlerweile als Standardwerk, wenn es um die Finanzen der beiden konfessionellen Sozialwerke geht. Zwar werden mit der Neuauflage von 2012 keine neuen Daten vorgelegt, doch seine Schlussfolgerungen und Prognosen finden jetzt, knappe zehn Jahre danach, in der Praxis vollste Bestätigung. Auch dem Vorwort von Johannes Neumann (aus dem Jahre 2005) ist nichts hinzuzufügen. Neumanns Worte sind heute so aktuell und richtig wie damals.

Auf eine ausführliche Besprechung des Inhalts kann, es handelt sich ja jetzt um kein neues Werk, wohl hier verzichtet werden.

Kurz zur Gliederung. Der Autor geht zunächst auf die sogenannten "Verbände der Freien Wohlfahrtspflege" in ihrer Gesamtheit ein, einschließlich ihrer Mitarbeiterzahlen und ihrer regionalen Verankerung. Bereits hier geht es um deren Finanzierung... Ihrer Finanzierung in erster Linie aus öffentlichen Kassen.

Dem folgt dann eine genauere Betrachtung der beiden christlichen Verbände Caritas und Diakonie, die beiden übermächtigen Verbände unter den etablierten freien Trägern. Sie dominieren bundesweit, sind in weiten Landstrichen sogar Monopole. Frerk zeigt auf, welches ihre Besonderheiten sind, welches ihr Selbstverständnis ist, verbunden mit einer kurzen historischen Darstellung ihrer Entwicklung. Und natürlich werden auch die (ungerechtfertigten) Privilegien der beiden Amtskirchen und ihrer sozialen Verbände genauestens benannt. Nicht zuletzt die Außerkraftsetzung des allgemeinen Arbeitsrechts in deren Einrichtungen.

Es schließt sich ein detaillierter Überblick über die Tätigkeitsfelder von Caritas und Diakonie an. Das schließt detaillierte Daten über die Anzahl der jeweiligen Einrichtungen, die Zahl ihrer Plätze bzw. Betten und die Zahl ihrer Mitarbeiter ein. Und vor allem beleuchtet Frerk die finanzielle Seite dieser Unternehmen, denn um wirtschaftlich handelnde Unternehmen handelt es hierbei nun mal. Den Ausgaben stellt er die Struktur ihrer Einnahmen gegenüber. Und fast überall kommt er zum Resultat, die "Kirchenquote", also eigene Mitgliedsbeiträge (hierzulande Kirchensteuer genannt), Einnahmen aus Vermögen und, bewegt sich gegen NULL. Staat, Kommunen, Sozialkassen und Nutzer kommen fast überall vollständig für die Kosten der sozialen Einrichtungen der Kirchen auf. Lediglich bei den Kindergärten tragen letztere rund zehn Prozent der Kosten selbst. Frerk begründet auch, warum dies so ist: Hier würden die künftigen Kirchensteuerzahler herangezogen... Denn, wie heißt es so schön? Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr. Oder auf gut deutsch: Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft (und die hier außer Betracht bleibenden christlichen Grundschulen) sind für den Klerus die wichtigsten Instrumente für die Missionierung der Menschen.

Mit seinen Daten räumt der Autor vor allem auch mit der Mär auf, dass die sogenannte Kirchensteuer der Finanzierung christlicher Sozialarbeit, also gemeinnützigen Zwecken, diene.

Ja, selbst viele weitere öffentliche Zuschüsse kommen nur dem "Apparat" selbst zugute...

Aufgezeigt wird das insbesondere in der abschließenden Gesamtbetrachtung über Caritas und Diakonie. Hier findet der Leser auch Daten über Geld- und Immobilienvermögen der kircheneigenen Werke, die in nichts den großen privatkapitalistischen Wirtschaftskonzernen nachstehen. Pikant wird es, wenn Details über die Vergütungen und Boni leitender Mitarbeiter der Sozialwerke offenbar werden: Da zeigt es sich besonders deutlich, wie uneigennützig diese barmherzigen Christenmenschen Dienst an der Allgemeinheit leisten... Mit Gehältern oftmals deutlich über dem von Bundespräsident und -kanzler...

Was vielleicht jüngere Leser besonders interessieren könnte: Es war nicht immer so. Erst mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips im Sozialrecht durch die Adenauer-Regierung anno 1961 wurde gesetzlich der Vorrang sogenannter "Freier Träger" von Sozialeinrichtungen festgeschrieben. Wobei unter freien Trägern überwiegend oder fast ausschließlich kirchliche verstanden wurden. Auch heute verstecken sich kirchliche Träger, wenn es um ihre Ansprüche gegenüber öffentlichen Kassen geht, liebend gerne hinter dem Begriff der freien Träger.

Die Folge ist, dass seither - politisch gewollt - flächendeckend kommunale und staatliche soziale Einrichtungen in kirchliche Hände gegeben worden sind. Besonders deutlich wurde das nach 1990, als sich dieser Prozess in den ostdeutschen Ländern in Zeitraffertempo nachvollzogen hat. Hier verbunden mit einer Zwangskonfessionalisierung der übernommenen Mitarbeiter. Hieß es im Mittelalter "Taufe oder Tod", so galt nun dies: "Taufe oder Kündigung"...

Als Beispiel, wie z.B. in Thüringen ohne jegliche Not, ein Krankenhaus in kirchliche Hände geriet, benennt Frerk am Beispiel Weimars. Hier entstand vor wenigen Jahren aus den städtischen Hufeland Kliniken Weimar GmbH und des Krankenhausbetriebs der diakonischen Stiftung Sophienhaus Weimar die gemeinsame städtisch-diakonische Sophien- und Hufeland- [man beachte die Namensreihung!; SRK] Klinikum gGmbH. Die Anteile werden zu gleichen Teilen von der Stadt und der Diakonie gehalten. Dennoch gilt dieses Krankenhaus nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in Erfurt als karitative Einrichtung einer Religionsgemeinschaft. Daraus folgt: Ein Betriebsrat ist unzulässig, es gibt keine Mitbestimmung. (S. 127)

Das mag genügen.

Carsten Frerk hat, einem gigantischen Puzzle gleich, Daten gesammelt, sie zusammengetragen und analysiert. Denn so gemeinnützig die karitativen Verbände sich geben und so laut sie vom Barmherzigkeit und christlicher Nächstenliebe posaunen, genauso emsig sind sie, wenn es um das Verschweigen und Vertuschen ihrer Finanzquellen geht. Dennoch fand der Autor genügend Einzelquellen, auch Berichte von staatlichen Rechnungshöfen, die seine Arbeit befördern konnten.

160 Tabellen und Übersichten verdeutlichen die Aussagen. In mehreren Exkursen werden auch brisante Fragen, wie kirchliches Arbeitsrecht und die Zukunft des sogenannten "Dritten Weges", soziale Versorgungssituation für Nichtgläubige oder auch Zwangskonfessionalität und Mobbing aus 'Nächstenliebe' sowie die Entwicklung zu gewinnorientierten Sozialkonzernen, angeschnitten.

Und wie schrieb Johannes Neumann abschließend in seinem Vorwort?

"Der Autor leistet Aufklärung in einem labyrinthischen Bereich unserer Gesellschaft, den die Beteiligten möglichst bedeckt halten wollen. Denn Vorenthaltung von Informationen ist Macht! Und, wer Macht besitzt, verspürt keine Lust, sie mit anderen zu teilen! - Viel Spaß bei dieser aufregenden Lektüre!" (S. 16)

Dem ist nichts hinzufügen.

Siegfried R. Krebs

Erstveröffentlichung im Freigeist-Weimar.

Carsten Frerk: Caritas und Diakonie in Deutschland. Mit einem Vorwort von Johannes Neumann. 372 Seiten, Aschaffenburg: Alibri Verlag. Durchgesehene Neuauflage 2012. 24,- Euro. ISBN 978-3-86569-000-5.