Bräuche rechtfertigen keine Beschädigung

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Plakat zur Tagung

HALLE. (hpd) Einen sachlichen Beitrag zur Debatte zu leisten, das war der selbst erklärte Anspruch der Organisatoren der Tagung "Rituelle Beschneidung in Judentum und Islam aus juristischer, medizinischer und religionswissenschaftlicher Sicht", die vom 14. bis 16. Oktober in Halle stattfand.

Unter dem Dach des Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrums "Medizin-Ethik-Recht" (IWZ) der Martin-Luther-Universität (MLU) wurden 14 Vortragende unterschiedlicher Provenienz in die Nationalen Akademie der Wissenschaften "Leopoldina" eingeladen, um vor einem größtenteils universitärem Publikum, die eigenen Standpunkte zur Diskussion zu stellen. Die erklärbare Eile der Vorbereitung brachte manch Defizit in der Öffentlichkeitsarbeit mit. Die Tagung fand in der örtlichen Presselandschaft bisher keine Erwähnung.

Spannend aus humanistischer Sicht war die zu erwartende Diskursfähigkeit der Teilnehmer. Für die weitere Entwicklung der bundesweiten Diskussion ist es notwendig, die Gründe zu verstehen, warum intellektuelle und auch emotional unverdächtige Menschen bei dem Thema der Beschneidung häufig aus einer religiösen Betroffenheit heraus keine ergebnisoffene Diskussion führen. Eine Erfahrung, die sich bitter durch die letzten Wochen zieht.

Eröffnet wurde die Tagung am Sonntag durch den sachsen-anhaltinischen Staatsekretär Marco Tullner. Eine (un)gewollte Einstimmung auf die Debattenperspektive in Deutschland leisteten sich die Organisatoren  mit der nach folgenden Musikaufführung und mündlichen Einführung der "Kantate zum Fest der Beschneidung Christi" von J. S. Bach (BWV 248, Teil 4).

In der Folge wird nicht auf alle Referate eingegangen werden können. Das erste Referat vom Sonntag über die theologische Begründung der Beschneidung in der hebräischen Bibel zählt hierzu ebenso, wie ein späterer Vortrag über die medizinischen Techniken der Zirkumzision und die Ausführungen des Rabbiners der Jüdischen Gemeinde Berlin, Tovia Ben-Chorin über die jüdische Beschneidung. Aus ihnen ging kein nennenswerter Kenntnisgewinn hervor.

Der Montag wurde mit einem Grußwort der Präsidentin der Landesärztekammer, Dr. med. Simone Heinemann-Meerz eröffnet. Sie zielte vor allem daraufhin, dass ein medizinischer Eingriff ausschließlich von approbierten Ärzten zu erfolgen habe. Ihre Worte "Befragen Sie für potentielle Nebenwirkungen aber bitte auch die Ärzte!" sollte dann auch eine der Klammern der Veranstaltung bilden. An diesem Tage folgten neun weitere, halbstündige Vorträge, die mit einer jeweiligen kurzen Diskussion abgeschlossen wurden.

Den Anfang machte Prof. Dr. iur. Hans Lilie vom Lehrstuhl für Strafrecht an der MLU mit "Vom Flügelschlag eines Schmetterlings zum Sturm - vom Landgericht Köln zu der Debatte um die Beschneidung". Als Direktor des IWZ gehörte er zu den Mitorganisatoren der Tagung. Er klassifizierte das Urteil des Landgerichtes Köln als nicht präjudizierend für Deutschland. Auch wenn seiner Meinung nach das Landgericht "jegliches Fingerspitzengefühl" vermissen hat lassen, so sei es unstrittig, dass strafrechtlich die Beschneidung Körperverletzung sei. Es bedarf schon einer erheblichen Rechtfertigung für diesen Eingriff, der mit seiner, wenn auch im vorliegenden Gesetzesentwurf versteckten religiösen Begründung, sofort eine Grundrechtsdebatte nach sich ziehe. Eine Debatte eben darum sei noch lange nicht zu Ende. Der Entwurf der Regierung leide zudem an drei Schwächen. Die Rede von der "ärztlichen Kunst" kaschiere, dass es immer nur um medizinische Standards gehen könne. Die Aufforderung, dass Eltern sich mit dem Kindeswohl auseinandersetzen müssen, sei viel zu schwammig und die 6-Moantefrist für die Einsetzung jüdischer Mohels werfe u. a. die Frage nach einer eigentlich notwendigen Dokumentationspflicht auf. Im Übrigen verstößt eben auch das Heilpraktikergesetzes gegen medizinische Standards.

Im weiteren Verlauf des Tages kamen weitere Juristen mit zu Wort. Prof. Dr. iur. Günter Jerouschek vom Lehrstuhl für Strafrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena legte mit klaren Worten dar, das wir uns an einem juristischem Scheideweg befänden. Wem schenken wir unsere Empathie? Dem Kind und dessen körperlicher Unversehrtheit oder den Eltern und deren Religionsfreiheit? Für Jerouschek, der sich als Jurist und Psychoanalytiker seit 2005 mit diesem Thema befasst, sei die Seite des Kindes eindeutig zu bevorzugen. Denn im Kontext einer psychoanalytischen Perspektive verwundere es auch gar nicht, dass die Risiken klein und die positiven Aspekte groß geredet werden. Diese Strategie entspreche der Verleugnung und Marginalisierung von erlittenem Schmerzen, Traumata und Störungen.

Ihm folgte direkt Prof. Dr. Michael Germann vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der MLU. Er wies daraufhin, dass sämtliche juristischen Diskurse irgendwann verfassungsrechtlich relevant werden. Dabei ist dann eine verfassungsrechtliche Dogmatik wichtig. Deren Rahmen dürfe man nicht verlassen.

Er führte aus, dass Art. 4 Abs 2 (Religionsfreiheit) und Art 6 Abs. 2 GG (Elternrecht) eine Abwehrdimension beinhalten, während­dessen Art. 2 Abs. 2 (Unverletzlichkeit) eine Schutzpflicht­dimension in sich trägt. Die Anwendung des Verhältnismäßig­keitsprinzip mache es dem weltanschaulich strikt neutralem Staate nicht möglich, in die Religionsfreiheit des Kindes einzugreifen, in dem er es für dieses auf ein bestimmtes Alter hin verschiebt. Das Recht des Kindes lässt sich hier nicht mit dem der Eltern verrechnen. Er gehe davon aus, dass nach jetzigem Stand der Diskussion eine strafrechtliche Freistellung der rituellen Beschneidung grundgesetzkonform möglich und auch geboten ist. Dabei wies er aber darauf hin, dass das Elternrecht "ehern" sei, also bei weitem älter als das Grundgesetz, der Begriff des Kindeswohles dagegen ein sehr evolutionärer und dynamischer. In Folge könne es zu neuen Abwägungen kommen, wenn die verfassungsrechtlichen Teilnehmer von Seiten der Verfechter der jeweiligen Grundrechtsparagrafen mit neuem Wissen und neuen Argumenten versorgt werden, vor allem durch die Integration evidenzbasierter medizinischer Forschungsergebnisse in die juristische Argumentation.