Wühlarbeit der Wehleidigen

Wehleidigkeit statt Missionierung

Die Missionierung ist zurückgetreten hinter ausgesprochene Wehleidigkeit, die sich als Sorge um die Menschenrechte tarnt. Opfer bekommen mehr Sympathien in der Öffentlichkeit als Menschen, die anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Und wenn das Opfer-Dasein nur daraus besteht, dass man sich auch an die Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats zu halten hat. Solange man nur halbwegs reaktionärer oder fundamentalistischer Christ ist, deutet das die „Beobachtungsstelle“ in eine akute Diskriminierung um, bevor man ein „Vater Unser“ beten kann.

So behauptet Kugler-Lang in ihrer Menschenrechtsbeschwerde gegen die BRD ernsthaft, das Heimschulverbot verletze Menschenrechte akut. Dass Fundi-Eltern Strafe zahlen müssen, wenn sie ihre Kinder von der Schule fern halten, verletze die Gewissensfreiheit. In die gleiche Kategorie fällt aus ihrer Sicht, dass Apotheker in Deutschland verpflichtet sind, die „Pille danach“ auf Lager zu haben. Alles Beleg für eine christianophobe Stimmung im Land, urteilt sie, und fordert implizit die UNO auf, etwas dagegen zu tun. Bleibt abzuwarten, wie sie die jüngste Entscheidung des deutschen Bundesarbeitsgerichts beurteilt, den Mitarbeitern kirchennaher Einrichtungen zumindest ein teilweises Streikrecht zuzugestehen. Auch ein Anschlag auf die Gewissensfreiheit?

„Freundliche Kritik“ an Homosexuellen

Ein Anschlag auf die Religionsfreiheit ist es auch, wenn „selbst freundliche Kritik“ an Homosexuellen (© Martin Kugler) gerichtlich verfolgt werden kann. Unter diesem harmlos klingenden Begriff versteht das Ehepaar die Behauptung des deutschen „Bunds Katholischer Ärzte“, Schwule seien krank und bedürften einer Therapie. Wenn sich Homosexuelle öffentlich gegen solche wissenschaftlich unsinnigen Aussagen wehren, ist das im Kugler-Langschen Paralleluniversum eine Verletzung der Rede- und Versammlungsfreiheit.

Über manche Zuordnungen sind genaue Beobachter erstaunt. Warum im „Shadow Report“ die Charakterisierung der katholischen Fundi-Autorin Gabriele Kundy als „reaktionäre, antifeministische und homophobe Agitatorin“ überhaupt als negatives Beispiel genannt wird, erschließt sich nicht ganz. Die Charakterisierung trifft zu. Eine Autorin mit ausgeprägtem Hang zu Verschwörungstheorien, die vor einer sexuellen Revolution warnt, die von UNO und EU betrieben wird, der Homosexuellen-Bewegung schwafelt und eine „Seuche der Pornografie“ grassieren sieht, ist vermutlich sogar stolz, antifeministisch, reaktionär und homophob zu sein.

Die EHF als kommunistische NSDAP – oder so

Geht es um Andersdenkende, zeigt die „Beobachtungsstelle“ nie die Zurückhaltung, die sie von Beschimpften einfordert. Die European Humanist Federation (EHF) wird in einem Papier beschuldigt, Menschenrechte abschaffen und einen neuen Totalitarismus errichten zu wollen. „Bewiesen“ wird das mit der „Tatsache“, Nationalsozialismus und Kommunismus seien „entschieden antichristlich“ gewesen.

Die „Beobachtungsstelle“ warnt davor, der EHF irgendeine offizielle Position einzuräumen, die der der Religionsvertreter gleichrangig wäre: „Man sollte die Risken und Gefahren bedenken, die daraus entstehen, einer Organisation einen offiziellen Standpunkt einzuräumen, von denen erwartet werden muss, dass sie Anliegen befördern, die nicht mit den Menschenrechten in Einklang stehen sondern ihnen radikal entgegengesetzt sind. Die historische Erfahrung mit atheistischen Regimen bietet hinreichende Beweise für den radikalen Antagonismus zwischen militantem Atheismus und Menschenrechten. Es gibt keinen Grund, warum die Ideologie der Areligiosität eine zweite Chance erhalten sollte.“ (Übersetzung: der Autor)

In dem Papier spielt die „Beobachtungsstelle“ die Vertreterin aller Europäerinnen und Europäer, die einem christlichen Glaubensbekenntnis angehören. Dass sie eine Lobby-Organisation für christliche Fundis aus dem erzkatholischen und evangelikalen Bereich ist, wird wohlweislich nicht erwähnt.

Begriff „Christianophobie“ salonfähig gemacht

Man muss auch mitunter genau hinsehen, um das zu bemerken. Bei internationalen Organisationen passiert das nicht immer. Die „Beobachtungsstelle“ hat auch einige Fürsprecher aus einschlägigen politischen Kreisen. Die stellen sicher, dass man Gehör findet. Und mögen die Interpretationen noch so haarsträubend sein. Man bestärkt einander. Politischer Einfluss hier, scheinbare Grundlagenarbeit da. Kugler(-Lang)s arbeiten strategische Langzeitkonzepte des rechten EVP-Flügels ab und schaffen vermutlich auch eigene ideologische Grundlagen. Das scheint langsam auf fruchtbaren Boden zu fallen. Dass Joseph Ratzinger gelegentlich von „Christianophobie“ spricht, dürfte auch auf die Arbeit der „Beobachtungsstelle“ zurückzuführen sein. Sie ist die halbwegs akzeptable Frontorganisation radikaler Gruppierungen.

Man hat den Begriff mittels langer Wühlarbeit halbwegs salonfähig gemacht. Sobald das der Fall ist, kann er von anderen aufgegriffen und weiterentwickelt werden, bis er, irgendwann, auch einmal in ein offizielles OSCE- oder UNO-Papier hineinrutscht. Samt all dem, was an Wehleidigkeiten und Fehlinterpretationen notwendig ist, um den Begriff zu kreieren. Die Sprache verändert die Wahrnehmung. Die „Beobachtungsstelle“ ist in allen Phasen Wegbegleiterin.

Menschenrechte gelten nur für Fundis

Das erinnert an die Arbeit der „Neuen Rechten“ und der Neo-Cons. Beide haben in jahrzehntelanger Wühlarbeit die Diskurshegemonie im westlichen Kulturkreis erlangt. Die Migrationsdebatte ist ohne die „Neuen Rechten“ undenkbar. Das gleiche gilt für die herrschende Interpretation der Wirtschaftskrise als Staatsschuldenkrise und die Neo-Cons.

Ist die „Beobachtungsstelle“ ähnlich erfolgreich, ist das das Ende der kurzen humanistischen und menschenrechtlichen Blüte in der EU. Dann wird christliche Wehleidigkeit zum Maß der Dinge. Und mag sie auch so strategisch kalkuliert sein wie bei der Lobby-Organisation. Vereinfacht gesagt heißt das: Menschenrechte gelten nur für radikale und fundamentalististische Christen. An den Rechtsstaat haben sich nur die anderen zu halten.
 

Christoph Baumgarten