WIEN. (hpd) In der EU sind die Kirchen beschäftigt, ihre Pfründe so gut es geht zu verteidigen. Fundis kämpfen längst verlorene Schlachten wie gegen das Recht auf Abtreibung oder pöbeln im Internet Andersdenkende an. Neue Gruppierungen verabschieden sich von diesen weitgehend erfolglosen Strategien. Ausgehend von einer „Beobachtungsstelle“ in Wien probieren sie neue Ansätze aus. Vorgeblich im Namen der Menschenrechte.
Es ist beachtlich, was die Organisation „Intolerance Against and Discrimination Against Christians in Europe“ an Papieren produziert. 75 Berichte und Dokumente sind auf der Homepage der selbsternannten Beobachtungsstelle aufgelistet. Geschrieben in vier Jahren. Nicht alle sind von der „Beobachtungsstelle“ selbst, aber man hat sich zumindest die Arbeit gemacht, sie ausfindig zu machen und kommentiert auf die Homepage zu stellen. Dazu eine Vielzahl von aktuellen Meldungen über angebliche Übergriffe und Fälle von Diskriminierung. Auch wenn die handwerkliche Qualität vieler Berichte und Meldungen zweifelhaft ist, es steckt zweifellos viel Arbeit dahinter. Zumal wenn man bedenkt, dass die „Beobachtungsstelle“ im Wesentlichen die Privatorganisation der Beratungsunternehmerin Gudrun Kugler-Lang ist.
Beeindruckender vielleicht als der Arbeitsaufwand ist das Selbstvertrauen, mit dem Kugler-Lang ihre „Berichte“ an internationale Stellen schickt. Der OSCE hat sie jüngst wieder ein Papier geschickt, das zweite innerhalb von zwei Monaten. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat eine offizielle Menschenrechtsbeschwerde gegen die BRD erhalten, einen so genannten „Shadow Report“. Der wurde auch auf der Homepage des Hochkommissariats veröffentlicht. Das passiert aber mit jedem „Bericht“, der dort eintrifft.
Im Oktober war Kugler-Langs Ehemann, Martin Kugler, auf einer gemeinsamen Enquete der Europäischen Volkspartei (EVP), der konservativen Fraktion im EU-Parlament, mit einer Kommission der katholischen Bischofskonferenzen im EU-Parlament in Brüssel. Thema: „Diskriminierung von Christen in Europa“. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Post von der „Beobachtungsstelle“ bekommen, zuletzt im September des Vorjahres. An das EU-Projekt „religare“ schickte Kugler-Lang einen geharnischten Angriff gegen die EHF. Dazu kommen die Jahresberichte der „Beobachtungsstelle“.
Jede Erwähnung bedeutet Legitimierung
Die Organisation zeigt Präsenz und jede Erwähnung wird als Erfolg und Legitimierung gefeiert. Stolz verweist man darauf, dass etwa die Seite „The Parliament“ über die Enquete im EU-Parlament berichtet. Die Seite gehört der britischen Nachrichtenagentur Dods, die auf politische Korrespondenz spezialisiert ist. Auf der Homepage der „Beobachtungsstelle“ liest es sich beinahe, als sei sie die offizielle Seite des EU-Parlaments. Überhaupt suggeriert der Artikel der „Beobachtungsstelle", die Veranstaltung sei eine offizielle des EU-Parlaments gewesen: „European Parliament Seminar Concludes: Significant Effort Required to Eliminate Discrimination against Christians in Europe”, lautet der Titel.
Dass es eine Privatveranstaltung der christdemokratischen EVP und der katholischen Bischöfe war, liest man erst im weiteren Text. Auch das eher zwischen den Zeilen. Dass die sich gemeinsam als eher nicht als tonangebende Gruppierung präsentieren sondern lieber als verfolgte Unschuld, überrascht da etwas weniger. Es macht auch den Auftritt Martin Kuglers weniger spektakulär als wenn die halbtägige Veranstaltung eine Enquete des EU-Parlaments gewesen wäre. Diese selektive Darstellung zieht sich durch die Arbeit der „Beobachtungsstelle“. Meist kocht man im rechtskatholischen Saft, angereichert gelegentlich durch ausgeprägte Fundi-Attitüden und Veranstaltungen. Man klopft bei ohnehin freundlich gesonnenen Subabteilungen etwa der OSCE an und verkauft das als Anerkennung durch die Gesamtorganisation.
Fast wie „Free Tibet“
Das Großmachen ist langfristig erfolgreich. Wer nicht genau hinsieht, nimmt die „Beobachtungsstelle“ als anerkannte Organisation wahr – und betrachtet ihre Stellungnahmen als seriös. Pseudo-Legitimierung wird auf diese Art langfristig zu echter Legitimierung. Das gilt nicht nur für die Einrichtung, das gilt auch für die Inhalte, die sie vertritt. Eine Strategie, die der der „Free Tibet“-Gruppen nicht unähnlich ist.
Anders als diese bemüht sich die „Beobachtungsstelle“ Informationen herauszugeben, die zumindest einem oberflächlichen Blick standhalten. Für viele der Ereignisse, die geschildert werden, gibt es unabhängige Quelle. Wenn die „Beobachtungsstelle“ schreibt, ein christlicher Fundi sei zu einer Geldstrafe verurteilt worden, stimmt das meistens. Nur verschweigt man meist elegant das Warum. Nur so sind die EU-weit 700 Fälle von „Diskriminierung von Christen“ seit dem Jahr 2005 zu erklären, die die Organisation zusammengetragen haben will. Selektive Wahrnehmung grassiert allerorten. Aber das ist mehr als die Verbreitung weitgehend unbestätigter Gerüchte, wie sie „Free Tibet“-Gruppen praktizieren.
Christliche Fundamentalisten
Auch in einem weiteren Bereich ist man den eigentlich so ähnlichen „Free Tibet“-Gruppen voraus. Nach außen gelingt es besser, sich als objektive Organisation zu präsentieren. Dass es ein Lobbyverein ist, tragen Kugler-(Lang)s nicht großartig vor sich her. Man gelernt aus dem Scheitern früherer Versuche. Dazu gehört auch, dass das Ehepaar seine Vergangenheit in katholisch-fundamentalistischen Kreisen nicht mehr allzu stark betont. Wiewohl Kugler-Lang nicht hintern Berg hält, dass sie radikale Gegnerin des Rechts von Frauen auf den eigenen Körper ist. Nur heißt das heute „Lebensschützerin“ – ein weitgehend öffentlich akzeptierter Terminus. Er ist seinerseits Produkt jahrelanger Fundi-Wühlarbeit.
Auch die Kugler-Lang-Schöpfung „Weltjugendallianz-Europa“ agiert unter dem Terminus „Lebensschutz“ und bekommt wohlwollende Aufmerksamkeit von kreuz.net, dem extrem konservativen Internationalen Theologischen Institut für Ehe und Familie in Trumau, wo der Chefexorzist der Erzdiözese Wien, Larry Hogan, einen Lehrauftrag hat. Auch die evangelikale „Evangelische Allianz“ ist angetan von dem Verein, den Kugler-Lang 2005 als Ableger der Anti-Abtreibungsinitiative „World Youth Alliance“ gründete.
Wehleidigkeit statt Missionierung
Die Missionierung ist zurückgetreten hinter ausgesprochene Wehleidigkeit, die sich als Sorge um die Menschenrechte tarnt. Opfer bekommen mehr Sympathien in der Öffentlichkeit als Menschen, die anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Und wenn das Opfer-Dasein nur daraus besteht, dass man sich auch an die Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats zu halten hat. Solange man nur halbwegs reaktionärer oder fundamentalistischer Christ ist, deutet das die „Beobachtungsstelle“ in eine akute Diskriminierung um, bevor man ein „Vater Unser“ beten kann.
So behauptet Kugler-Lang in ihrer Menschenrechtsbeschwerde gegen die BRD ernsthaft, das Heimschulverbot verletze Menschenrechte akut. Dass Fundi-Eltern Strafe zahlen müssen, wenn sie ihre Kinder von der Schule fern halten, verletze die Gewissensfreiheit. In die gleiche Kategorie fällt aus ihrer Sicht, dass Apotheker in Deutschland verpflichtet sind, die „Pille danach“ auf Lager zu haben. Alles Beleg für eine christianophobe Stimmung im Land, urteilt sie, und fordert implizit die UNO auf, etwas dagegen zu tun. Bleibt abzuwarten, wie sie die jüngste Entscheidung des deutschen Bundesarbeitsgerichts beurteilt, den Mitarbeitern kirchennaher Einrichtungen zumindest ein teilweises Streikrecht zuzugestehen. Auch ein Anschlag auf die Gewissensfreiheit?
„Freundliche Kritik“ an Homosexuellen
Ein Anschlag auf die Religionsfreiheit ist es auch, wenn „selbst freundliche Kritik“ an Homosexuellen (© Martin Kugler) gerichtlich verfolgt werden kann. Unter diesem harmlos klingenden Begriff versteht das Ehepaar die Behauptung des deutschen „Bunds Katholischer Ärzte“, Schwule seien krank und bedürften einer Therapie. Wenn sich Homosexuelle öffentlich gegen solche wissenschaftlich unsinnigen Aussagen wehren, ist das im Kugler-Langschen Paralleluniversum eine Verletzung der Rede- und Versammlungsfreiheit.
Über manche Zuordnungen sind genaue Beobachter erstaunt. Warum im „Shadow Report“ die Charakterisierung der katholischen Fundi-Autorin Gabriele Kundy als „reaktionäre, antifeministische und homophobe Agitatorin“ überhaupt als negatives Beispiel genannt wird, erschließt sich nicht ganz. Die Charakterisierung trifft zu. Eine Autorin mit ausgeprägtem Hang zu Verschwörungstheorien, die vor einer sexuellen Revolution warnt, die von UNO und EU betrieben wird, der Homosexuellen-Bewegung schwafelt und eine „Seuche der Pornografie“ grassieren sieht, ist vermutlich sogar stolz, antifeministisch, reaktionär und homophob zu sein.
Die EHF als kommunistische NSDAP – oder so
Geht es um Andersdenkende, zeigt die „Beobachtungsstelle“ nie die Zurückhaltung, die sie von Beschimpften einfordert. Die European Humanist Federation (EHF) wird in einem Papier beschuldigt, Menschenrechte abschaffen und einen neuen Totalitarismus errichten zu wollen. „Bewiesen“ wird das mit der „Tatsache“, Nationalsozialismus und Kommunismus seien „entschieden antichristlich“ gewesen.
Die „Beobachtungsstelle“ warnt davor, der EHF irgendeine offizielle Position einzuräumen, die der der Religionsvertreter gleichrangig wäre: „Man sollte die Risken und Gefahren bedenken, die daraus entstehen, einer Organisation einen offiziellen Standpunkt einzuräumen, von denen erwartet werden muss, dass sie Anliegen befördern, die nicht mit den Menschenrechten in Einklang stehen sondern ihnen radikal entgegengesetzt sind. Die historische Erfahrung mit atheistischen Regimen bietet hinreichende Beweise für den radikalen Antagonismus zwischen militantem Atheismus und Menschenrechten. Es gibt keinen Grund, warum die Ideologie der Areligiosität eine zweite Chance erhalten sollte.“ (Übersetzung: der Autor)
In dem Papier spielt die „Beobachtungsstelle“ die Vertreterin aller Europäerinnen und Europäer, die einem christlichen Glaubensbekenntnis angehören. Dass sie eine Lobby-Organisation für christliche Fundis aus dem erzkatholischen und evangelikalen Bereich ist, wird wohlweislich nicht erwähnt.
Begriff „Christianophobie“ salonfähig gemacht
Man muss auch mitunter genau hinsehen, um das zu bemerken. Bei internationalen Organisationen passiert das nicht immer. Die „Beobachtungsstelle“ hat auch einige Fürsprecher aus einschlägigen politischen Kreisen. Die stellen sicher, dass man Gehör findet. Und mögen die Interpretationen noch so haarsträubend sein. Man bestärkt einander. Politischer Einfluss hier, scheinbare Grundlagenarbeit da. Kugler(-Lang)s arbeiten strategische Langzeitkonzepte des rechten EVP-Flügels ab und schaffen vermutlich auch eigene ideologische Grundlagen. Das scheint langsam auf fruchtbaren Boden zu fallen. Dass Joseph Ratzinger gelegentlich von „Christianophobie“ spricht, dürfte auch auf die Arbeit der „Beobachtungsstelle“ zurückzuführen sein. Sie ist die halbwegs akzeptable Frontorganisation radikaler Gruppierungen.
Man hat den Begriff mittels langer Wühlarbeit halbwegs salonfähig gemacht. Sobald das der Fall ist, kann er von anderen aufgegriffen und weiterentwickelt werden, bis er, irgendwann, auch einmal in ein offizielles OSCE- oder UNO-Papier hineinrutscht. Samt all dem, was an Wehleidigkeiten und Fehlinterpretationen notwendig ist, um den Begriff zu kreieren. Die Sprache verändert die Wahrnehmung. Die „Beobachtungsstelle“ ist in allen Phasen Wegbegleiterin.
Menschenrechte gelten nur für Fundis
Das erinnert an die Arbeit der „Neuen Rechten“ und der Neo-Cons. Beide haben in jahrzehntelanger Wühlarbeit die Diskurshegemonie im westlichen Kulturkreis erlangt. Die Migrationsdebatte ist ohne die „Neuen Rechten“ undenkbar. Das gleiche gilt für die herrschende Interpretation der Wirtschaftskrise als Staatsschuldenkrise und die Neo-Cons.
Ist die „Beobachtungsstelle“ ähnlich erfolgreich, ist das das Ende der kurzen humanistischen und menschenrechtlichen Blüte in der EU. Dann wird christliche Wehleidigkeit zum Maß der Dinge. Und mag sie auch so strategisch kalkuliert sein wie bei der Lobby-Organisation. Vereinfacht gesagt heißt das: Menschenrechte gelten nur für radikale und fundamentalististische Christen. An den Rechtsstaat haben sich nur die anderen zu halten.
Christoph Baumgarten