(hpd) Der Soziologe Andreas Hess liefert eine Einführung ins Thema, die sich an Denkschulen und Streitthemen orientiert. Es handelt sich um eine über aus informative und kenntnisreiche Arbeit; hier und da fehlen ihr aber genauere Erläuterungen und trennschärfere Zuordnungen.
1959 veröffentlichte Ludwig Marcuse sein Buch „Amerikanisches Philosophieren“, worin er dem deutschsprachigen Publikum entsprechend des Untertitels „Pragmatisten, Polytheisten, Tragiker“ vorstellte. Damit wollte der Autor einer damals wie heute weit verbreiteten Auffassung entgegen wirken, wonach es in der als eher oberflächlich geltenden US-amerikanischen Kultur wenig systematische Denker gibt. Ein solches Vorurteil besteht noch heute, was den am University College Dublin lehrenden Soziologen Andreas Hess zu seinem Einführungsband „Gesellschaftspolitisches Denken in den USA“ motivierte. In der Einleitung hießt es dazu: „Entgegen solch politisch vorurteilslastiger Wahrnehmung der amerikanisch-intellektuellen Tradition und gegenüber einer reduktionistischen Sichtweise ihres politischen und gesellschaftlichen Denkens muss daran erinnert werden, dass das gesellschaftskritische und politischen Denken Amerikas wesentlich vielfältiger ist; es ist intellektuell bereichernd in Bezug auf demokratische Aspekte aller Art ...“ (S. 8).
Dies will Hess’ Einführung ins Thema belegen, wobei sie sich als Versuch definiert, „die amerikanische Demokratie zu verstehen, indem untersucht wird, wie amerikanische Intellektuelle die demokratischen Verhältnisse verstanden und erklärt haben“ (S. 9). Standpunkt ist dabei die Gegenwart. Zwar kommen auch Alexander Hamilton und James Madison vor; gleichwohl konzentriert sich die Darstellung auf den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hess wählt dabei keine Präsentationsform, die an Portraits einzelner Denker orientiert ist. Vielmehr sind die zehn Kapitel seines Buchs in zwei große Teile aufgegliedert. Zunächst geht es um fünf große Richtungen oder Schulen des politischen Denkens, die in Exzeptionalismus, Politische Theologie, Republikanismus, Liberalismus und Pragmatismus unterschieden werden. Darin referiert Hess die Grundauffassungen der bedeutendsten Repräsentanten und die Kontroversen um ihre Ansätze, wobei neben John Dewey und John Rawls auch Hannah Arendt und Alexis de Tocqueville thematisiert werden.
Der zweite Teil konzentriert sich auf vier verschiedene Themenfelder: Demokratie und Macht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Multikulturalismus und Pluralismus, Intellektuelle und Zivilgesellschaft. Hier geht es jeweils um einen Einblick in Ansätze und Debatten der letzten Jahrzehnte. Dazu gehören die Analysen zu Diktaturen von Barrington Moore und zu Eliten von C. Wright Mills ebenso wie zu Gerechtigkeit von John Rawls und zu Multikulturalismus von Charles Taylor.
Der Band endet mit einem Blick auf die Perspektive zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wobei die Auseinandersetzung mit Michael Sandels Versuch der Entwicklung einer öffentlich relevanten Philosophie nähere Aufmerksamkeit findet. Im Schlusswort erörtert Hess intellektuelle Reaktionen auf den 11. September, unterschieden nach einer „Pro-“ und „Contra-Aktions“-Haltung.
Im Anhang finden die interessierten Leser noch eine kommentierte Bibliographie, wo nach den erwähnten Themenschwerpunkten einschlägige Literatur zur weiterführenden Beschäftigung aufgelistet ist.
Hess legte eine überaus informative und kenntnisreiche Einführung auf engem Raum vor. Damit ruft er die Bedeutung des amerikanischen Denkens im Bereich der Gesellschaft und Politik in Erinnerung, welche auch in der deutschen Politikwissenschaft nicht immer erkannt wurde und wird. So liegen noch nicht einmal Übersetzungen einschlägiger Standardwerke von bedeutenden Denkern wie Robert A. Dahl oder Michael J. Sandel vor.
Gleichwohl bedarf es auch einiger kritischer Anmerkungen zur Gestaltung und Konzeption des Bandes: Zunächst unterlässt der Autor eine genauere und trennschärfere Definition der genannten fünf Richtungen des gesellschaftspolitischen Denkens. Unklar bleibt, warum die Debatte um Kommunitarismus nur am Rande inhaltliche Aufmerksamkeit findet. Die von Hess sehr geschätzte Judith N. Shklar kommt allzu häufig vor. Der in Deutschland sehr bekannte Noam Chomsky findet dafür keine Erwähnung. Man mag ja seine Kritik für all zu flach halten, gleichwohl verdient sie aufgrund ihrer Bekanntheit schon nähere Aufmerksamkeit.
Armin Pfahl-Traughber
Andreas Hess, Gesellschaftspolitisches Denken in den USA. Eine Einführung, Wiesbaden 2013 (Springer VS), 229 S., 19.95 €.
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