Ethikunterricht in Bayern immer beliebter

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Symbolbild / Foto: Gerd Altmann/Carlsberg1988 / pixelio.de

MÜNCHEN. (hpd) Trotz schlechter Lehrerausbildung wird der Ethikunterricht in Bayern bei den Schülern immer beliebter. Ob sich aber an dem politischen Stiefmütterchendasein des Schulfachs etwas ändern wird, ist sehr die Frage. Offensichtlich fehlen dazu das Interesse und der Wille. Auch, wenn die LandesschülerInnen Vereinigung anderer Auffassung ist.

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Kind würde im Unterrichtsfach Latein von einem Lehrer unterrichtet, der kein Latein kann. Unvorstellbar! Für das Fach Ethik in Bayern geht das, dort unterrichten in den Klassen vor allem fachfremde Lehrkräfte. 

Dabei könnte das Fach gerade in der heutigen Zeit eine wichtige Rolle an den Schulen spielen. Denn wo könnten Kinder und Jugendliche besser miteinander über wichtige Themen wie Krieg und Frieden, Gentechnik oder Sterbehilfe diskutieren als im Klassenzimmer unter Anleitung einer in ethischen Fragen ausgebildeten Lehrkraft?

Und so sieht Werner Fuß, Sprecher des Fachverbands Ethik in Bayern, Ethik auch als das einzige Fach, „in dem man systematisch über Werte, über ethische Problemstellungen tatsächlich diskutiert, dazu gehört auch der Umgang mit verschiedenen Weltanschauungen.“

Frederic Blum, Schülersprecher des Friedrich-Dessauer-Gymnasiums Aschaffenburg und im Landesvorstand der LandesschülerInnen Vereinigung Bayern e.V., schätzt am Ethikunterricht vor allem die Vermittlung verschiedener Weltanschauungen und, dass man „selbst seinen Weg aussuchen kann und kein Weltbild vorgegeben bekommt“. Die Quintessenz des katholischen Religionsunterrichts reduziert sich seiner Meinung nach auf die Aussagen, „Gott ist toll und die Kirche unfehlbar“.

Der hohe Stellenwert des Fachs spiegelt sich - so möchte man meinen - auch in Art. 47 (2) des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) wider. Dort heißt es „der Ethikunterricht dient der Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln. Sein Inhalt orientiert sich an den sittlichen Grundsätzen, wie sie in der Verfassung und im Grundgesetz niedergelegt sind. Im Übrigen berücksichtigt er die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen.“ Der Ethikunterricht wird sogar in der bayerischen Verfassung erwähnt. So besagt Artikel 137 (2): „Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ist ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit einzurichten.“

Wer nun glaubt, dass das Fach dadurch eine besondere Wertschätzung genießt, der irrt. „Ethik - das bayerische Desasterfach“ – so lautet der Titel eines Artikels der Süddeutschen Zeitung vom Dezember 2012. Kritisiert wird darin die schlechte Ausbildungssituation der Ethiklehrer, dass ca. 95 Prozent der Lehrkräfte fachfremd unterrichten sowie das Desinteresse des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (STMUK) daran etwas zu ändern. Werner Fuß, Sprecher des Fachverbands Ethik in Bayern, sieht das ähnlich und bedauert, dass Konfessionsfreie in Bayern keine Lobby haben.

Dabei war Bayern 1972 das erste Bundesland, das Ethik als Unterrichtsfach eingeführt hat, nicht unbedingt mit der Absicht der bayerischen Verfassung endlich zu entsprechen, sondern um den zunehmenden Abmeldungen der Schüler vom Religionsunterricht, die vor 1972 statt Religionslehre eine Freistunde hatten, etwas entgegenzusetzen. Nach Art. 47 (1) des BayEUG ist Ethikunterricht für alle Schüler Pflichtfach, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Eltern können ihre minderjährigen Kinder vom Religionsunterricht abmelden. Volljährige Schüler können die Abmeldung selbst vornehmen. Etwas verwunderlich ist diese Regelung schon, können doch Jugendliche mit 14 Jahren aus der Kirche austreten und nehmen dann ebenfalls am Ethikunterricht teil.

Der Unterricht wird an allen Schulformen in allen Klassenstufen für gewöhnlich im Umfang von zwei Wochenstunden unterrichtet, wenn die notwendige Mindestteilnehmerzahl – nach Aussage des STMUK sind das in der Regel fünf Schüler pro Jahrgangsstufe - erreicht wird. 

Frederic Blum hat sich in der 10. Klasse vom katholischen Religionsunterricht abgemeldet. Gerne hätte er schon früher Ethik gewählt, der Unterricht fand aber in der Unter- und Mittelstufe nicht zeitgleich mit dem Religionsunterricht am Vormittag statt, sondern am Nachmittag.

Schülern ist es in Bayern aber auch schon passiert, dass sie wegen des Ethikunterrichts an andere Schulen mussten. Oder konfessionsfreie Eltern wurden von der Schulleitung aufgefordert, sich zwischen katholischer oder evangelischer Religionslehre zu entscheiden, weil kein Ethikunterricht an der Schule angeboten werde. Das alles sind Erschwernisse, die verständlicherweise nicht selten dazu führen, dass Schüler weiter das Fach Religion besuchen.

Noch ist es nicht soweit, dass das Fach an jeder Schule unterrichtet wird. Zahlen von 2008 belegen, dass Ethik in 70 % der Grund- und Hauptschulen, in 76 % der Realschulen und in 86 % der Gymnasien unterrichtet wird. Diese Zahlen könnten sich inzwischen deutlich nach oben bewegt haben. Nach Angaben des STMUK unterrichteten im Schuljahr 2011/12 an den bayerischen Grund-, Mittel- und Realschulen sowie den Gymnasien rund 8.750 Lehrer das Fach Ethik. Im Schuljahr 2005/06 hingegen waren es nur rund 7.920 Lehrkräfte. Und auch der  Anteil der Schüler, die den Ethikunterricht besuchten, erhöhte sich von 10,2 % im Schuljahr 2005/2006 auf 14,3 % im Schuljahr 2011/12 deutlich, wie das STMUK mitteilt.

Mangelhafte Ausbildung

Dem gegenüber steht die mangelhafte Ausbildung der Lehrer. Studierende können Ethik nur als Drittfach bzw. Erweiterungsfach belegen, ein ordentliches Studium, wie für alle anderen Unterrichtsfächer vorgesehen, gibt es nicht. Das heißt, zusätzlich zu ihrer Lehramtsausbildung z.B. in Deutsch und Geschichte können angehende Lehrkräfte das Erweiterungsfach Ethik belegen und eine Erweiterungsprüfung ablegen.

Zwischen 2001 und 2007  haben insgesamt 59 (!) Studierende in Bayern diese Prüfung abgelegt. Im Jahr 2012 haben sich die Zahlen mit 117 Studierenden zwar deutlich verbessert, befinden sich aber  noch immer auf sehr niedrigem Niveau. Wie viele davon in den Schuldienst übernommen wurden, ist nicht bekannt.

Was aber ist mit den anderen über 8.000 Ethik-Lehrkräften an den Grund-, Mittel- und Realschulen sowie den Gymnasien? Sie unterrichten fachfremd. Das geht ganz einfach, denn laut §9 Abs. 4 der Lehrerdienstordnung kann eine Lehrkraft auch für den Unterricht in Fächern eingesetzt werden, für die sie keine Prüfung abgelegt hat. Fachfremde Ethiklehrer können aber zumindest Fortbildungsangebote wahrnehmen, verpflichtend ist das aber nicht. Religionslehrer dürfen übrigens keinen Ethikunterricht erteilen.

Werner Fuß, der seit über 20 Jahren Ethiklehrer ist, musste sich seine Ethikunterrichtskompetenz, wie er sagt, mühsam selbst aneignen. Der Sprecher des Fachverbands Ethik in Bayern, ein Berufsverband für Ethiklehrkräfte aller Schularten erhofft sich, dass das Fach endlich genauso behandelt wird, wie alle anderen Fächer auch: „Es gibt in Bayern die Fächerverbindung Sport und Religionslehre und da würde ich mir wünschen, dass man z. B. auch die Fächerverbindung Sport und Ethik studieren könnte, oder es gibt die Fächerverbindung Deutsch und Sozialkunde, warum nicht Deutsch und Ethik?“ Der Fachverband Ethik habe solche Forderungen schon öfters an das STMUK gerichtet. Als Antwort werde dort immer nur die Befürchtung geäußert, dass man über den Bedarf hinaus ausbilde. Eine wirklich hanebüchene Aussage, wenn man bedenkt, dass die überwiegende Mehrzahl der Ethiklehrer fachfremd unterrichten.

Auch Schülersprecher Frederic Blum übt Kritik an der fehlenden Ausbildung der Lehrkräfte. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass vor allem fachfremde Lehrer den Unterricht leiten.

Unter den bayerischen Schülersprechern gibt es keine gemeinsame Position zum Fach Ethik, innerhalb der LandesschülerInnenVereinigung Bayern e.V. hingegen schon. Die fordert statt einer Abmeldung vom Religionsunterricht in Zukunft eine Anmeldung für den Religionsunterricht.

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) geht da einen Schritt weiter weiter und fordert die Abschaffung des staatlich finanzierten Religionsunterrichts. „Eine getrennte Unterrichtung nach Konfessionen, wo Glaubenssätze als Wahrheit dargestellt werden, indoktriniert und erschwert die Offenheit für Andersdenkende“, meint Rainer Ponitka, Sprecher der AG Schule des IBKA.

Ziel des IBKA ist ein gemeinsamer Unterricht aller Schüler, was aber nicht zwingend in einem bestimmten Fach geschehen müsse. So könnte für Rainer Ponitka zum Beispiel in den Grundschulen der Religionsunterricht ersatzlos gestrichen und dafür der Sachkundeunterricht erweitert werden. „Wir haben heute eine Vielfalt von Schülern unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Kultur. Eine gemeinsame Unterrichtung aller Schüler führt zu Respekt vor anderen Einstellungen und Ansichten, zum gemeinsamen Nachdenken über unsere Grundwerte.“

Im Bundesland Berlin gibt es für die 7.-10. Klasse seit dem Jahr 2006 Ethik als ordentliches Lehrfach, in dem alle Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Das Fach Religion wird und wurde in Berlin schon immer nur als freiwilliges Wahlfach angeboten. Für Schülersprecher Frederic Blum und Rainer Ponitka vom IBKA ist das Berliner Modell ein Schritt in die richtige Richtung.

Und damit stehen sie nicht allein. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap aus dem Jahr 2008 im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wünschen sich 53 Prozent der Deutschen, dass es an Schulen einen gemeinsamen Werte- bzw. Ethikunterricht als Pflichtfach geben soll. Christlicher, islamischer oder anderer Religionsunterricht soll hingegen nur zusätzlich und freiwillig sein. Deutlich weniger, nämlich 44 Prozent, sind laut Umfrage der Auffassung, dass die Schüler getrennt werden sollen, in solche, die an einem Religionsunterricht und solche, die an einem Werte- bzw. Ethikunterricht teilnehmen.

Vermutlich würde sich heutzutage am Ergebnis der Umfrage nicht grundsätzlich etwas ändern, vielmehr wäre zu erwarten, dass der Stimmenanteil für einen gemeinsamen Ethikunterricht als Pflichtfach nach den Skandalen gerade in der katholischen Kirche und ihren Einrichtungen noch weiter zunimmt.

Auch Werner Fuß vom Fachverband Ethik gefällt das Berliner Modell, hält es jedoch in Bayern schon allein wegen der Verankerung von Religionslehre als ordentliches Lehrfach in der bayerischen Verfassung für nur schwer durchsetzbar.

Fazit: Ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse wird sich in Bayern im Fach Ethik nur wenig bewegen. Denn eines ist offensichtlich, es fehlt am politischen Willen. Schülersprecher Frederic Blum richtet daher seine Hoffnungen auf die bevorstehende Landtagswahl in Bayern.

Aber auch wir Eltern sind in der Pflicht. Wir können uns an die Schulleitung, an die Schulbehörde oder unsere Abgeordneten wenden und Verbesserungen im Ethikunterricht einfordern.

Dietmar Freitsmiedl