WARSCHAU. (hpd) Der Philosoph Prof. Jan Hartman konstatiert im hpd-Interview eine weitreichende Klerikalisierung des öffentlichen Lebens in Polen, beschreibt das Ungleichgewicht zwischen Staat und Kirche und die Mechanismen, die es einer Kirchenkritik schwer machen, sich Gehör und Öffentlichkeit zu verschaffen.
Wenn Sie drei Minuten zur Verfügung hätten, um Ihr Anliegen in Bezug auf Kirche und Gesellschaft zu beschreiben, was würden Sie sagen?
Der Schlüssel für mein Anliegen ist das Wort Normalisierung: Ich möchte, dass die Beziehungen zwischen Staat und den Glaubensgemeinschaften ähnlich reguliert sind, wie in vielen westlichen Ländern. Dabei bin ich mir der Unterschiede in den einzelnen Ländern voll bewusst. Hauptthemen sind hierbei: die Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften durch den Staat, die sorgfältige Trennung zwischen Kirche und Staat und die symmetrische Autonomie der Glaubensgemeinschaften sowie die Achtung der Souveränität des polnischen Staates, also das Ausschließen aller Versuche der institutionellen Einmischung in die polnische Politik und die Rechtsetzung durch den Vatikan sowie seine Repräsentanten, die Bischöfe.
Ich möchte die katholische Kirche nicht bekämpfen und ihr auch nicht die Teilhabe am öffentlichen Leben verwehren. Es geht ausschließlich darum, die durch die Verfassung vorgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat sowie die weltanschauliche Neutralität des Staates zu beachten. Diese Werte sollten aktiv durch den Staat realisiert werden. Ich möchte auch, dass die Beziehungen zwischen dem polnischen Staat und dem Vatikan partnerschaftlich sind, gestützt auf gegenseitiger Achtung und Autonomie und nicht auf reaktionärer Unterwerfung und Demut seitens des Staates, der vor dem Papst kniet.
Wo sehen Sie konkret zu weit gehende Einflüsse der Kirche auf den Staat?
Vor allem macht sich die Kirche nichts aus dem im Konkordat enthaltenen Versprechen, die Autonomie des polnischen Staates zu achten. Wenn die polnische Regierung sich in verschiedenen Memoranden an den Vatikan richten und formalen Druck ausüben würde, zum Beispiel in Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durch den Vatikan oder in Sachen der Demokratie in der Kirche, wäre das ein Skandal und natürlich eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche. Derweilen mischen sich die polnischen Bischöfe, nicht als Privatpersonen sondern als Vertreter der Kirche unmittelbar in die polnische Politik ein. Das betrifft hauptsächlich zwei Bereiche: Gesundheitswesen und Bildung. Das passiert durch verschiedene Dokumente, Apelle sowie Briefe an den Staat; oder leiser, in einer gewissen Heimlichkeit in der Gemeinsamen Kommission der Regierung und des Episkopats, die weit über die Probleme zwischen Kirche und Staat hinausgehen. Dort werden viele Bereiche der polnischen Politik diskutiert. In Bezug auf die Bildungspolitik hat das Episkopat auch Wünsche und Anmerkungen zu Lehrplänen und weltlichen Schulfächern.
Das sind nur Beispiele. In Polen herrscht vor allem eine weitreichende Klerikalisierung des öffentlichen Lebens. Der katholische Diskurs sowie die rituelle Ehrerbietung gegenüber der Kirche und ihren Vertretern sind augenscheinlich für die Ewigkeit eingeschrieben in das staatliche und diplomatische Zeremoniell sowie in das Sein der staatlichen Institutionen und Würdenträger. Dieses ist so, weil bisher alle Regierungen davon überzeugt waren, dass das Verärgern oder ein zu geringes Entgegenkommen gegenüber der Kirche, die Wut dieser heraufbeschwört und sie den Politikern die Macht entzieht. Das ist nicht wahr, höchstwahrscheinlich ist die Macht der Kirche nicht so groß, um eine beliebige Regierung zu stürzen. Doch polnische Politiker denken, dass tausende Kirchen, in denen jeden Sonntag die Priester zur Mehrheit des Volkes reden, eine so große Propagandamaschine sind, dass die Kirche die Regierung stürzen könnte.
Doch die Kirche führt eine sehr geschickte Politik; sie ist politisch viel erfahrener als die weltlichen Machthaber und lässt sich von einigen Grundsätzen leiten. Da ist zum Beispiel die parallele Kommunikation. Einerseits besteht der offizielle Diskurs, in dem die Herrschenden immer als nicht genug demütig und artig gegenüber der Kirche dargestellt werden. Und andererseits werden im Hintergrund gute Beziehungen zu den Herrschenden aufrechterhalten. Das war auch in der Volksrepublik Polen so, in der sich die Kirche weitreichender Privilegien erfreute, ausgenommen der Zeit des Stalinismus. Doch für die Kirche sind die Privilegien immer zu wenig und eine Selbstverständlichkeit. Sie werden nicht als Geschenke behandelt, sondern als nicht ausreichender Ausdruck der Wertschätzung. Und in Bezug darauf behandeln die Parteien die Kirche als geöffnetes Maul, in das man ununterbrochen was reinwerfen muss, damit es nicht zuschnappt und zum Beispiel den Beitritt Polens zur EU behindert.
Tabu des ausländischen Status der Kirche
Meiner Meinung nach ist das größte Problem in Verbindung mit den Beziehungen zwischen Kirche und Staat das Tabu um die Frage des ausländischen Status der Kirche. Während in der gesamten Geschichte Europas, der Geschichte der Reformation und der Gegenreformation, war es ein Schlüsselaspekt, dass die Kirche ein Land ist, eine ausländische Institution und die Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat eine Frage der Souveränität des Nationalstaates ist. In Polen ist diese Frage tabu, obwohl das vor dem Krieg der Fall war, als die Bischöfe noch einen Eid auf die Treue zu Polen schwörten und niemand vorgab, dass sie normale Bürger wie alle anderen sind. Es war absolut selbstverständlich, dass die Kirche mit der Kraft des Konkordats in einem gewissen Ausmaß exterritorial ist und sie nicht die volle Jurisdiktion des polnischen Staates bindet. Jetzt wird jedoch vorgegeben, dass die Kirche eine nationale Institution ist. In Verbindung damit werden Gespräche mit der Kirche auf einer ungleichen Ebene geführt. Anstatt mit dem Papst zu sprechen, knien die polnischen Machthaber vor ihm; jedoch werden als Partner die lokalen Vertreter der Kirche angesehen, also die Bischöfe. Und die Gespräche werden in Form von Verhandlungen geführt, wobei das Wesen dieser das Ausmaß der Privilegien ist, die die Kirche erhält. Außer es handelt sich um das Gesundheitswesen oder die Bildung, wo die Kirche auch Ansprüche in Bezug auf die Rechtsetzung hat.
Das ist jedoch die Verkehrung der Gespräche. Denn schon zurzeit der Volksrepublik erhielt die Kirche die Garantie der Rückgabe von enteignetem Besitz. Daher geht es bei diesen Gesprächen um Gaben, die die Kirche vom Staat erhält, was in einem Zeremoniell des Gebens und des Ausdrucks von Dankbarkeit erfolgen sollte. Aber sie werden in Form von Verhandlungen geführt, so als wenn die Kirche einen Anspruch auf die Gaben hätte. Das jüngste Beispiel dafür ist die Reform der Kirchenfinanzierung durch den Staat, der den Gläubigen die Möglichkeit einräumt, eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 0,5 Prozent zu erwirken und das Geld durch den Fiskus an die Kirche weiterzuleiten.
Sehen sie in der Übergangszeit nicht eine Doppelbelastung des Staates? Denn 2013 sind Staatsgelder an den sogenannten Kirchenfonds geflossen und die neuerliche Reform räumt die Möglichkeit der Absenkung der Einkommensteuer mit der Abrechnung des Jahres 2013 ein. Der Einnahmeausfall des Staatshaushaltes für 2013 wird also 2014 sichtbar.
Sie haben vollkommen Recht. Das ist jedoch nicht das größte Problem, da die Kosten überschaubar sind. Vor allem finanziert der polnische Staat den Religionsunterricht; illegal übrigens, da der Staat auf Grundlage der Verfassung nicht das Recht hat, eine bestimmte Weltanschauung finanziell zu fördern. Des Weiteren kann niemand durch den Staat finanziert werden, der keine Abrechnungen veröffentlicht und dessen Finanzen nicht transparent sind. Auch hat der Staat nicht das Recht etwas zu finanzieren, was er inhaltlich nicht kontrollieren kann, zum Beispiel in Bezug auf Homophobie.