BERLIN. (hpd) Tiergartenstraße 4. „Ehre den vergessenen Opfern. Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täten“. So ist es dort auf einer Gedenktafel zu lesen. Berlin, Tiergartenstraße 4, dort stand früher eine Stadtvilla, die Zentrale der NS-Mordaktion „T 4“.
Baustart eines Gedenk- und Informationsortes für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde. Es ist kein zufälliger Standort, der für das neue Denkmal gewählt wurde. Eine Stadtvilla stand hier im Rücken der Philharmonie. Es war und sollte von ihr nach dem Krieg nichts mehr zu sehen sein. Dort wurde unter der unscheinbaren Abkürzung T4 oder auch „Aktion“ das von den Nationalsozialisten verfügte „Euthanasie“-Programm bewegt. Es war der Arbeitsplatz von medizinischen Gutachtern, dort fielen ihre Entscheidungen, Krankenakten wurden archiviert, deren Anzahl bei 70.000 angenommen wird. Hier fand die Abrechnung für die „Pflege“ der Patienten statt.
Eine Akte trug den Namen Anna Lehnkering. Als Schülerin fiel sie in dem nationalsozialistischen System durch Lernschwierigkeiten auf. Stigmatisiert, wurde ihr der Weg über eine psychiatrische Anstalt als „lebensunwert“ in den Tod gewiesen. In einer Gaskammer wurde sie 24jährig ermordet.
Sigrid FalkensteinPersönliche Betroffenheit wurde Auslöser für dieses Denkmal. Es war Sigrid Falkenstein, die Nichte der ermordeten Anna Lenkering, die sich couragiert einsetzte. Sigrid Falkenstein sprach zum Baustart am 8. Juli 2013 ebenso wie Bernd Naumann, Staatsminister und die Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat. Gäste waren geladen, Kränze zum Gedenken niedergelegt.
2014 wird das Denkmal eröffnet sein. Also mehr als 70 Jahre nach 1941, dem Jahr, in dem die Euthanasie-Morde beendet wurden. Das ist eine nachdenkliche Zeitspanne, die es brauchte, historische Tatsachen zuzulassen, ohne sie zu verdrängen.
Der „Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Morde am Ort der Planungszentrale Berlin Tiergartenstraße 4“ soll persönliche Dokumentationen von Einzelschicksalen wie die bronzene Platte beinhalten. Beides ist provisorisch jetzt schon sichtbar.
Entstehen wird eine 30 Meter lange Glaswand, hellblau, transparent auf einem zur Mitte leicht geneigten, anthrazitgefärbten Betonbelag. An dem Wettbewerb beteiligten sich 28 Arbeitsgemeinschaften. Das Preisgericht (Vorsitz Prof. Donata Valentien ) hat sich für den Entwurf von Ursula Wilms, Nikolaus Koliusis, Heinz W. Hallmann ausgesprochen. Träger ist die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. 500.000,- Euro stehen zur Verfügung, aus denen die Unterhaltskosten des Denkmals nicht gedeckt sind.
Das war der erste Teil. Eine Straßenbreite gegenüber zitiert ein Besucher der Veranstaltung aus der Gedenktafel: „Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter.“ Es ist Peter Bringmann-Henselder. Er hat ein Buch bei sich, das den Kölner Waisenhaus-Direktor und „Euthanasie“-Beauftragten Friedrich Tillmann (1903 – 1964) beschreibt und das Verhältnis von Staat und Kirchen, Titel: „Ich habe aus Mitleid gehandelt“. Von dem Journalisten Ulli Schauen ist dazu im Internet zu lesen: „Am 20. Mai 2010 stellt der Kölner Autor Klaus Schmidt die Biografie eines wahren Christen und Nazis vor, den sein christliches Menschenbild nicht daran hinderte, die Tötung von angeblich ‚lebensunwertem Leben’ zu organisieren.“
.... gering die Zahl der verurteilten Täter
Im Gespräch: Peter Bringmann-Henselder und Evelin Frerk
Sitzen wir im September 2014 vielleicht wieder hier im Gespräch, dann die 30 Meter lange hellblau eingefärbte Glaswand unverrückbar hinter uns. Vielleicht ist Transparenz eingetreten, ein Ruck durch unser Land gegangen und Täter verzichten auf den Einspruch der Verjährung zu ihren Gunsten.
Evelin Frerk