Mehr als eine Ausstellung in Eichstätt von Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld

"Wegen Hexerei - denunziert - gefangen - gefoltert - verbrannt"

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Tafel: Ursula Bonschafin
Tafel: Ursula Bonschafin

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Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld
Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld

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transkribiertes Prothocollum
transkribiertes Prothocollum

Im Fürstbistum Eichstätt (Hochstift Eichstätt bis 1802 vor der Säkularisierung) wurden zwischen 1411 und 1637 mehr als 400 Menschen gefangen, gefoltert und hingerichtet. Eine Ausstellung mit Kunst und Dokumenten, 45 Bild- und Texttafeln, berichtet über Verfolgung, Marter, Beraubung und die Justizmorde, die mitten in Eichstätt stattfanden.

Sonntag, 27. August 2017, heute ist der dritte Ausstellungstag. Während ich in Berlin diese Zeilen schreibe und darin ein Gespräch mit Wolfram Kastner wiedergebe, schließen sich am Domplatz in Eichstätt die Türen. In der aufgelassenen Johanniskirche nimmt Claus-Peter Lieckfeld das Protokoll des Folterprozesses gegen die Bürgerin Ursula Bonschabin in die Hand und beginnt aus dem Stapel vorzulesen: "Prothocollum …" und ich erinnere mich an die Worte von Wolfram Kastner: "Überall gibt es auf dieser Welt auch heute Folter. Deutschland hat Kontakt zu vielen Ländern, in denen gefoltert wird. Die Folterpraxis ist nichts neues, das wissen wir alle."

Wie und warum "Hexerey" gerade in Eichstätt so lange, so grausig und über alle Maßen brutal betrieben wurde und sich zu einer Menschenjagd entwickelte, sind Fragen, die Wolfram Kastner stellt. Dabei führte ihn seine Recherche in das Eichstätter Stadtarchiv.

Foto: © David Farago
Foto: © David Farago

Hier liegen Akten über Hexenprozesse und Folterprotokolle. Sie sind in Sütterlin lesbar vorhanden, eine Kenntnis, über die Wolfram Kastner verfügt. Die Stadt Eichstätt stellt sich als Zentrum der Hexenverfolgung in Bayern heraus. Kastner: "Die präzisen Folterprotokolle konnte ich nur in kleinen Schüben ertragen. Fünf Minuten in einem Stück zu lesen machte eine Pause von mindestens einem Tag notwendig."

Ursula Bonschabin wurde in Eichstätt zwölfmal gefoltert. 1627 war sie am 1. März in Haft genommen worden. 68 Tage später am 8. Mai 1627 sagte die der Hexerey angeklagte 36jährige Frau genau das, was man von ihr hören wollte. Das brachte ihr den "gerechten" Tod durch Feuer.

Ebenso wurden ihr Mann, Lorenz Bobschab, Bürgermeister der Stadt, ihre Mutter, Schwester, insgesamt mindestens zehn Personen aus ihrem Umfeld im Verlauf der Re-Katholisierung angeklagt und beraubt. "Sie hatten noch den Strick zu bezahlen, an dem sie hochgezogen wurden."

"Hexerey", Jagd auf Menschen, Verfolgung und Vernichtung haben, so Wolfram P. Kastner und Klaus-Peter Lieckfeld, Journalist, Autor und Mitveranstalter, ihren Ursprung in der Zeit der Reformation. Bürger wenden sich von der katholischen Kirche ab, werden Protestanten. Die katholische Kirche verliert Gläubige und Einnahmen. Einige Fürstbistümer in Bayern reagieren mit Verkäufen. Anders Eichstätt. Dort war das Bestreben, abtrünnige Bürger in den katholischen Bund zurückzuführen, die katholische Liga wieder zu stärken. Wankelmütige waren einzuschüchtern.

Die treibende Kraft zu den folgenden, für die Rückkehr zur katholischen Kirche oder den Verbleib sozusagen 'notwendige’ Taten hat einen Namen: Fürstbischof Johann Christoph von Westerstetten, gestorben 1637 in Eichstätt, tituliert als "Gegenreformator" und "Hexenverfolger". In Eichstätt jedoch ist eben jener trotz Erkenntnis mit Ehren geschmückt geblieben. Auskunft geben sein Grabstein im Kreuzgang des Doms von Eichstätt und sein Porträt im Domschatz- und Diözesanmuseum der Bischofsstadt. Ist man stolz auf diesen Mann? Von unseren Eltern haben wir doch gelernt und wissen, es gehört zu den menschlichen Tugenden, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

Foto: © David Farago
Foto: © David Farago

Kastner beschäftigt sich seit langem mit dem Zentrum von Folter, Prozessen und dem Tod durch Feuer, wie es zwischen 1411 bis 1637 in den Archiven von Eichstätt lesbar ist. 2013 konfrontierte er gemeinsam mit weiteren Initiatoren die Stadt mit seinem Wissen darüber, forderte für die namentlich bekannten Opfer in Eichstätt "Rehabilitieren statt totschweigen".

Im Zentrum von Eichstätt führten sie die "Ursula-Bonschab-Gasse" ein, es blieb jedoch bei einem Versuch.

Courage und Akzeptanz in Eichstätt

Jetzt, 2017, bringen Kastner und Lieckfeld mit dieser Ausstellung erneut unbequeme Aufklärung in und an die Stadt. Hannes Kinau, Holzkünstler vom Ammersee hat sich mit einem Exponat der Ausstellung angeschlossen. Sein Exponat ist eine Kette. Gearbeitet aus einem Ahornstamm, sie hat eine Höhe von zwei Metern mit Kettengliedern zwischen 50 bis 60 Zentimetern.

Wally Reichert, Künstlerin aus Eichstätt hat sich mit zwei Bildern beteiligt.

500 Besucher aus allen Generationen haben in den ersten drei Tagen die Ausstellung besucht und zeigten sich interessiert, aufgeschlossen, größtenteils schockiert.

Gerade junge Menschen sagten: Ja, eine systematische Forschung und die ganze Wahrheit zu bekennen sei notwendig.

Das ist ein Teil der Antwort, aber, nicht nur. Honoratioren der Stadt waren zur Ausstellung eingeladen. Hier sah es anders aus, eher kam aus der Frage der Verantwortung ein "Nein" oder ein zögerliches "Vielleicht".

Gregor Maria Hank, 82. Bischof von Eichstätt. 2006 als Nachfolger des 81. Bischof Walter Mixa berufen, war Hank zuvor der dritte Großkanzler der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Der Bischof schickte auf die persönliche Einladung zur Ausstellung über seinen Generalvikar eine milde Antwort: Der Bischof könne nicht teilnehmen, die katholische Kirche habe eine lange Erinnerungskultur und sei sich ihrer Geschichte und Fehler bewusst, so hieß es. Auf eine zweite Aufforderung der Ausstellungs-Organisatoren, Tatsachen wären nicht durch Weggucken zu beseitigen, kam ebenfalls eine Antwort: Man denke darüber nach.

Zum anderen begleiten Veranstaltungen die Ausstellung. Am 27. August wurde das "Prothocollum" in Auszügen öffentlich gelesen. Zwischen dem 1. bis zum 12. September 2017 finden weitere Vorträge und Lesungen statt.

Eine Gesprächsrunde ist offen bzw. entsteht zögerlich. Zum Thema "Erforschen Erinnern Rehabilitieren – zum Umgang mit den Justizmorden oder Hexenjäger, zum Stand der Forschung, zu Formen der Erinnerung an die Verfolgten, zur Stellung der Katholischen Kirche und der Rechtsnachfolger sowie zur Frage einer möglichen Rehabilitation" reagierten angefragte Teilnehmer aus Eichstätt bisher mit Absagen.

Forderungen begleiten die Ausstellung

Erstens - die namentliche Rehabilitation der Opfer.

Dazu gehören Gedenktafeln am Rathaus von Eichstätt, am Dom und bestehenden Wohnhäusern der Rehabilitierten. Gefordert wird ein Denkmal für die Opfer direkt in der Stadt Eichstätt. Hier fanden Folter, Verurteilung und Feuer-Tod statt.

Das jetzige Denkmal ist am Galgenberg, damit außerhalb von Eichstätt und ist suggestiv so gelegen, als gäbe es zwischen den Opfern und Eichstätt keine Verbindung.

Gefordert wird auch, dass im Zentrum von Eichstätt Straßen umbenannt und die Namen der Opfer tragen.

Zweitens - Aufklärung darüber, was mit dem Vermögen der Opfer, beispielsweise Grund und Boden, ihren Häusern geschah. Gefordert wird die Rückgabe der Werte an die Erben.

Eine Stiftung soll entstehen, damit Werte, die nicht zurückgegeben werden können heutigen Folteropfern ausgehändigt werden können.

Drittens - Installierung eines Forschungsprojekts an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, gegründet 1980 in Eichstätt.

Das Ziel soll sein, aus dem bisher unbeachtet liegenden Konvolut an Protokollen aus den genannten Jahren, speziell von 1612 bis 1630, Erkenntnisse zur sozialen Struktur der Menschen zu erzielen, die Opfer der Hexenverfolgung wurden.

Der Bund für Geistesfreiheit Bayern (BfG) unterstützt die Ausstellung mit 4.500,00 Euro. Außerdem fordert der BfG das Bistum Eichstätt zu einem Schuldbekenntnis auf und kritisiert "fehlende öffentliche Darstellung der Verbrechen des Massenmörders Fürstbischof Westerstetten". 


Ort der Ausstellung und der Veranstaltungen "wegen Hexerey - denunziert - gefangen - gefoltert - verbrannt"

Ehemalige Johanniskirche, Domplatz 18, 85072 Eichstätt, 08421 6001-400
vom 25. August bis 15. September 2017, täglich von 11 bis 18 Uhr

Termine der Veranstaltungen, Beginn jeweils 19:30

01.09.2017 Fr. "Pater Spee - Anwalt der Hexen" – Claus-Peter Lieckfeld liest aus seinem historischen Roman

02.09.2017 Sa. "Als Hexe verurteilt und hingerichtet: die Hebamme Barbara Khayer und die Wehmutter Margarethe Seybold" – Vortrag und Lesung: Birke Grießhammer, Historikerin 

08.09.2017 Fr. "Rehabilitation - unmöglich?" – Vortrag von Pfarrer Hartmut Hegeler, Autor und Gründer des Arbeitskreis Hexenprozesse, zu Möglichkeiten der Erinnerung und der Rehabilitation der wegen Hexerey Ermordeten

12.09.2017 Di. "Barbara Schwarz und das Feuer der Willkür: Ein Fall aus der Geschichte der Hexenverfolgungen" – Autorenlesung von Dr. Harald Parigger (Autor, Historiker und Direktor der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit)

Termin noch offen: "Erforschen Erinnern Rehabilitieren" – zum Umgang mit den Justizmorden der Hexenjäger, zum Stand der Forschung, zu Formen der Erinnerung an die Verfolgten, zur Stellung der Katholischen Kirche und der Rechtsnachfolger sowie zur Frage einer möglichen Rehabilitation. Eine Einladung zum öffentlichen Gespräch sind an den Bischof Gregor Maria Hanke und den Generalvikar von Eichstätt, Isidor Vollnhals ergangen.

Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld, Foto: © David Farago
Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld, Foto: © David Farago

Zu Wolfram P. Kastner, Künstler. Er greift mit seinen Arbeiten und Aktionen meist politische und historische Themen auf. Er steht für Kunst und Forschung, macht Kunst, die stört und sich einmischt. Webseite: http://www.ikufo.de/