Von der Umgehung der Umgehung

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Parlamentsgebäude in Wien / Foto: Manfred Werner (CC BY-SA 3.0)

WIEN. (hpd) Die Religionsgesetzgebung in Österreich, heißt es, ist ein europaweites Modell für Pluralität und Toleranz. Das kann nur behaupten, wer sie nicht kennt. Das Modell ist geprägt von Mehrgleisigkeit, Schlamperei und Willkür. Das zeigt auch ein aktuelles Beispiel einer Religionsgemeinschaft, die bald anerkannt wird. Eine Analyse unseres Österreich-Korrespondenten Christoph Baumgarten.

Willkommen Nummer 16, könnte man flapsig und vielleicht ironisch sagen. Österreichs Freikirchen, oder zumindest ein großer Teil, dürften in wenigen Tagen als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Bemerkenswerterweise ohne ein Gericht bemühen zu müssen. Gelungen ist ihnen das mit einem Trick, den man als Notwehr gegen eine absurde Gesetzeslage beschreiben kann.

Der Doppel-Trick

Unter dem Druck der österreichischen Religionsgesetzgebung haben sich sehr unterschiedliche Kirchen wie Baptisten, Pfingstler und Mennoniten zu einer neuen Kirche zusammengeschlossen. Eben zur Freikirche. Nur so konnten die Religionsgemeinschaften, die seit Jahrzehnten in Österreich tätig sind, die Zahl von 17.000 Mitgliedern erreichen, die das Bekenntnisgemeinschaftsgesetz als Untergrenze vorschreibt.

Auch das gelang den Evangelikalen nicht auf Anhieb – als Mitglieder zählt dort im Regelfall nur, wer sich als Erwachsener (ein zweites Mal) taufen lässt. Nur, von diesen Vollmitgliedern hat man nicht genug. Flugs griff man ein zweites Mal in die Trickkiste und erklärte die Kinder der Gemeindemitglieder zu außerordentlichen Mitgliedern.

Es könnte so einfach sein

Eine einfache Gesetzesumgehung, könnte man meinen. Legitim oder pfui, je nach Standpunkt. Allein, die Freikirchen umgehen ein Gesetz, das seinerseits ein anderes Gesetz umgeht, wobei der Gesetzgeber bei Bedarf wiederum gerne die Umgehung umgeht.

Theoretisch muss der österreichische Staat alle Religionsgemeinschaften anerkennen, die sich selbst erhalten können und nicht aktiv auf einen Umsturz des staatlichen Systems hinarbeiten. Das sieht das Anerkennungsgesetz von 1874 vor.
Es ist kaum mehr als ein Gesetz, das eine relativ unkomplizierte Registrierung von Religionen vorsieht, nicht mehr und nicht weniger. Für die Zeit überraschend liberal, sieht man von einigen Schikanen ab.

Alles drängt nach den Futtertrögen

Es wäre nicht Österreich, wenn das so einfach wäre. Seitdem die katholische Kirche nicht mehr Staatskirche ist, dürfen alle anderen anerkannten Religionsgemeinschaften an ihren Futtertrögen mitnaschen. Als da wären staatlich bezahlter Missionierungs-/Propagandaunterricht, staatlich bezahlte religiöse Privatschullehrer, Steuerbefreiungen und so weiter und so fort.

Dazu, nicht zu vergessen, das Recht bei allen Angelegenheiten angehört zu werden, die Religionen auch nur am Rande betreffen könnten oder auch nicht. Vorwiegend, wenn man sich Schikanen für die Nichtgläubigen ausdenken darf, die bei diesen Gelegenheiten sicherheitshalber gar nicht angehört werden. Das erklärt vermutlich, warum die Freikirchen so unbedingt eine anerkannte Religionsgemeinschaft werden wollen. Sie sind nicht die einzigen.

Die üppigen Privilegien machen es für viele Religionen attraktiv, das staatliche Prädikat „anerkannt“ zu bekommen. Dem sehe Gott vor, dachten sich viele der Parlamentarier Mitte der Neunziger Jahre. Vor allem, als die Zeugen Jehovas einschlägige Begehrlichkeiten äußerten. Die einen wollten die ausufernden Kosten (mittlerweile 3,8 Milliarden Euro im Jahr) eindämmen, die anderen die katholische Vorherrschaft im Land bewahren.

Der Gesetzgeber umgeht sich selbst

Flugs erließen sie 1998 das Bekenntnisgemeinschaftengesetz, das gewissermaßen dem nicht mehr ganz zeitgemäßen Spruch vom katholischen Österreich alle Ehre macht. Sieht es doch für alle Religionen, die eine Anerkennung wollen, ein mindestens zehnjähriges Dasein als „religiöse Bekenntnisgemeinschaft“ vor. Das ist eine Anerkennung zweiter Klasse, weitgehend ohne Privilegien. Ein gesetzliches Fegefeuer für alle, die ins Paradies der Steuerpfründe wollen.

Damit es nicht ganz langweilig wird und der Aufenthalt im Fegefeuer vielleicht doch länger, novellierte das Bekenntnisgemeinschaftengesetz originellerweise auch das damals 120 Jahre alte Anerkennungsgesetz mit. Seitdem müssen einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft mindestens zwei Promille der Bevölkerung angehören, damit sie einen Antrag nach dem Anerkennungsgesetz stellen können. Das alte Gesetz ist in der Hinsicht wesentlich liberaler: Es sieht keine Mindestgrenzen vor.

Gegen die Zeugen Jehovas nützte das nichts

Verkürzt gesagt umging der Gesetzgeber ein bestehendes Gesetz, um zu verhindern, dass die Zeugen Jehovas am Paradies der staatlichen Pfründe anteilig würden. Das reichlich durchsichtige Manöver nutzte nur begrenzt. Die Zeugen Jehovas klagten und bekamen im jahrelangen Rechtsweg Recht. Seitdem sind sie Religionsgemeinschaft Nummer 14.

Ein Sondergesetz nach dem anderen

Es wäre nicht Österreich, wäre das Bekenntnisgemeinschaftengesetz die einzige Möglichkeit, das Anerkennungsgesetz zu umgehen. Von den 15 anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich sind nur neun nach dem Anerkennungsgesetz anerkannt. Die Zeugen Jehovas und die Aleviten über den Umweg des Bekenntnisgemeinschaftsgesetzes. Bei den Aleviten lief es etwas anders. Sie mussten sich den Weg zur Bekenntnisgemeinschaft über den Verfassungsgerichtshof erstreiten, ab dann ging’s relativ einfach. Was vermutlich daran liegt, dass die Aleviten als liberal gelten.

Für die sechs anderen gibt es Sondergesetze – oder, im Fall der katholischen Kirche, gar keines. Die gilt aus historischen Gründen als anerkannt. Die meisten Anerkennungen stammen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Das Anerkennungsgesetz war damals in Kraft. Der Gesetzgeber scheint sich schon damals gerne selbst umgangen zu haben. „Old habits die hard“, wie man so schön auf Englisch sagt.

Katholische Kirche als Schablone

Qualitätsarbeit kam selten heraus, wie das Islamgesetz zeigt. Das Gesetz zeigt, genauso wie die aktuellen Bemühungen der Freikirchen, dass der Staat Österreich bei Religionsgemeinschaften unbewusst immer das Bild der katholischen Kirche vor Augen hat.

Immer sind zentrale Hierarchien vorgesehen, auch bei Religionsgemeinschaften, zu denen das gar nicht passt. Es kann keine Rede von Gleichberechtigung sein, wenn Freikirchen erst eine neue Religionsgemeinschaft aus der Taufe heben müssen, um den Buchstaben eines Gesetzes Genüge zu tun, das der Gesetzgeber selbst dauernd umgeht.

Religionsfreiheit gilt nur für die Religionsgemeinschaft

Dieser Zentralisierungsdruck widerspricht deutlich der Laschheit, die die Behörden der Republik sonst an den Tag zu legen pflegen, wenn es um Religionsgemeinschaften geht. Am Arbeitsplatz herrscht die Doktrin: Es liegt im Wesen einer Religionsgemeinschaft, selbst zu bestimmen, welcher ihrer Angestellten einen Verkündigungsauftrag hat und welcher nicht. Alles andere wäre ein Eingriff in die Religionsfreiheit, haben der Oberste- und der Verfassungsgerichtshof mehrfach geurteilt. Das gilt selbstredend auch für die Bereiche, die nichts mit der Religionsausübung zu tun haben. Caritas und Diakonie zum Beispiel.

Ob Reinigungspersonal oder Arzt – wo religiös diskriminiert werden darf, entscheiden in religionseigenen Betrieben die Religionsgemeinschaften. Die Religionsfreiheit der Mitarbeiter bleibt außen vor. Gänzlich anders als in Deutschland ist die Situation hierzulande nicht.