Von der Umgehung der Umgehung

Im Ernstfall wird d’rauf gepfiffen

Lax ist man auch, wenn es um die Verpflichtungen anerkannter Religionsgemeinschaften geht. Das Anerkennungsgesetz sagt unmissverständlich in § 10: „Seelsorger kann in der Kultusgemeinde nur ein österreichischer Staatsbürger sein, dessen Verhalten in sittlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht vorwurfsfrei ist und dessen allgemeine Bildung mindestens durch Vollendung des Gymnasialstudiums erprobt ist“. Im Konkordat von 1934 verpflichtet sich die römische-katholische Kirche zu praktisch identischen Anforderungen an ihre Geistliche.

Was die Frage aufwirft, was die vielen polnischen, kroatischen, nigerianischen und litauischen katholischen Pfarrer in Österreich machen. Von buddhistischen Priestern aus Indien, Thailand und Co ganz zu schweigen. Man pfeift ganz einfach auf die gesetzlichen Bestimmungen – und hat sich für diesen Behuf neue gesetzliche Schlupflöcher geschaffen. Ausländische Geistliche, die es in den meisten Religionsgemeinschaften rechtlich gar nicht geben dürfte, sind in Österreich ausdrücklich vom Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgenommen. Sie brauchen hierzulande keine Arbeitsgenehmigung und unterliegen keiner Einwanderungsquote. Sobald es unangenehm wird für die Religionen, pfeift man eben gemeinsam auf das Gesetz.

Nur, wenn es darum geht, ob praktizierende Religionsgemeinschaften als solche gelten dürfen oder nicht, bestimmt der Staat. Weitgehend danach, ob sie sich katholisch genug organisieren oder nicht.

Letztes Sondergesetz aus dem Jahr 2003

Nicht zu vergessen die Sympathie. Scheitert eine aus welchen Gründen auch immer für angenehm gehaltene Religionsgemeinschaft an den Hürden der Gesetze – na, da machen wir doch schnell ein Sondergesetz. So geschehen 2003 bei den Kopten. Für die wurde schnell das Orientalisch-Orthodoxe-Kirchengesetz aus der Taufe gehoben.

Mit der schwierigen Lage der Kopten in Ägypten ist das nicht zu rechtfertigen. Ob sie hierzulande Asyl bekommen oder nicht, hängt nicht davon ab, ob die Kopten eine anerkannte Religionsgemeinschaft sind. Anders als in Deutschland können in Österreich auch Atheisten Asyl wegen religiöser Verfolgung bekommen. Und Atheismus ist hierzulande keine anerkannte Religion. Einschlägigen Versuchen wirrer Protagonisten zum Trotz.

Gefahr auch für atheistische Vereine

Letztere könnten sich übrigens als akute Bedrohung für die atheistischen Vereine im Land herausstellen. Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, der „Atheistischen Religionsgesellschaft“ gelingt es, die Kultusbehörde zu überzeugen, dass Atheismus eine Religion sei und die Gesellschaft eine Bekenntnisgemeinschaft, tritt Absatz 4 von Paragraf 2 des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes in Kraft:  „Mit dem Feststellungsbescheid nach Abs. 3 (gemeint ist die Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft) hat der Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten die Auflösung jener Vereine zu verbinden, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre der betreffenden religiösen Bekenntnisgemeinschaft besteht.“

Eine reichlich seltsame Konkurrenzklausel. Die denkbar stärkste Einmischung in innerweltanschauliche- bzw. religiöse Angelegenheiten, unmissverständlich in eine Nebenbestimmung eines Umgehungsgesetzes gepackt. Sobald ein Verein vor der Behörde durchsetzt, dass er allein Ansprechpartner ist, darf er mit Hilfe des Kultusamtes von Gesetz wegen über alle anderen nach Belieben drüberfahren.

Sollte der Ernstfall eintreten, wird man es vermutlich elegant vergessen. Garantie ist das aber keine.

Freiheit als bürokratischer Akt

Wie es den Angehörigen der Religionsgemeinschaften bei all dem geht, ist nebensächlich. Sie haben von all den Gesetzen und ihrem Umgehungen nur die Verpflichtung, ihr Religionsbekenntnis auf möglichst jedem Dokument einzutragen, das man ihnen vorlegt. Die Religionsfreiheit gilt nur für die Religionsgemeinschaften, nicht für ihre Angehörigen.

Eine Freiheit als bürokratisch verwalteter Akt, wie vor einiger Zeit auf dieser Seite treffend formuliert. Ein möglichst willkürlich und schlampig verwalteter Akt, ist man versucht, hinzuzufügen.

Bleibt abzuwarten, ob die Umgehungsversuche der Freikirchen so erfolgreich sein werden wie prognostiziert. Ungeachtet aller ideologischen Differenzen hätte es doch etwas Sympathisches, wenn die Dauer-Umgehungsmaschinerie des österreichischen Religionsrechts einmal vorgeführt werden würde.

Christoph Baumgarten