(hpd) Der Journalist Lawrence Wright berichtet in seinem Buch, auf Basis von Gesprächen mit ehemaligen Anhängern von Scientology, über Entwicklungen in der Organisation, wobei insbesondere die Bedeutung von Mitgliedern in der Filmindustrie thematisiert wird. Zwar handelt es sich um eine eingängige, interessante und spannende Darstellung einzelner Ereignisse, der aber eine eigene Analyse und Einordnung fehlt.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Scientology-Organisation ist einem ständigen Schwanken zwischen Dramatisierung und Ignoranz ausgesetzt. Seitdem in Deutschland auch staatliche Behörden einen kritischen Blick auf die selbsternannte Religionsgemeinschaft geworfen haben, weis man um die viel geringeren Anhänger- und Mitgliederzahlen als im propagierten Selbstverständnis. Gleichwohl verfügt Scientology in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen anderer Länder sehr wohl über einen relevanten Einfluss. Hierzu gehört auch die US-amerikanische Filmindustrie, wobei die beiden Schauspieler Tom Cruise und John Travolta nur die bekanntesten Namen sind. Der Journalist Lawrence Wright, der für ein Buch über Al Qaida den Pulitzer-Preis erhielt und für das Magazin „The New Yorker“ arbeitet, hat diesem Komplex jetzt ein umfangreiches Werk gewidmet. Es erschien in deutscher Übersetzung mit dem Titel „Im Gefängnis des Glaubens. Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche“.
Eine Informationsbasis dafür boten über zweihundert Gespräche mit aktiven und ehemaligen Anhängern der Scientology, was im Text denn auch zu unterschiedlichen Darstellungen und widersprüchlichen Deutungen führte. Aufgrund des Vorgehens der Organisation, die Kritiker gern mit Prozessen überzieht, hat sich Wright auch juristisch beraten lassen. Die Befürchtung vor entsprechenden Konsequenzen führte dann wohl zu einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung bei der Kommentierung. Außerdem findet man auf vielen Seiten häufig Formulierungen wie die folgenden Sätze. Im Haupttext steht: „Mike Rinder ... erinnert sich, dass sich Cruise bei seiner Schwester bitter darüber beklagte, dass es niemandem gelungen war, eine neue Freundin für ihn zu finden.“ Und in der Fußnote zu diesem Satz findet man dann die Worte: „Cruise’ Anwalt erklärt, sein Mandant habe sich bei der Eröffnung des Zentrums in Madrid nicht darüber beklagt, das er keine Freundin habe“ (S. 415). Scientology hat darüber hinaus im Internet umfangreiche Gegendarstellungen veröffentlicht.
Wright will mit seinem Buch folgende Fragen beantworten: „Was macht die Attraktivität von Scientology aus? Wie können scheinbar vernünftige Menschen Vorstellungen übernehmen, die vollkommen abwegig scheinen? Warum bekennen sich populäre Persönlichkeiten zur Scientology-Kirche, obwohl das mit einiger Wahrscheinlichkeit ihrem Ansehen schaden wird?“ (S. 14). Inhaltlich geht der Autor darauf aber nicht systematisch ein. Sein umfangreiches Buch ist vielmehr eine große Erzählung über Personen, die sich in der Scientology-Organisation betätigten. Dazu gehört neben dem Begründer L. Ron Hubbard eben der Schauspieler Tom Cruise oder der Regisseur Paul Haggis. So heißt es denn etwa: „Die spirituelle Suche und eine Neigung zur Frömmigkeit gehörten schon damals zu Tom Cruise’ Persönlichkeit“ (S. 295). Meist reiht der Autor nur einzelne Berichte und Informationen aneinander. Bei den wenigen analytischen Betrachtungen differenziert er indessen schon, so könne man Hubbard nicht schlicht als „Betrüger“ ansehen (vgl. 125).
Somit hat man es insgesamt betrachtet durchaus mit einem interessanten - wenn auch häufig weitschweifigem - Bericht über die Entwicklung der Scientology-Organisation zu tun. Wright bleibt allzu sehr auf die Darstellung einzelner Ereignisse fixiert, wobei deren Bedeutung als allgemeiner Trend oder einzelner Vorfall nicht klar wird. Überhaupt fehlt es an einer bilanzierenden Bewertung und Einschätzung der Organisation. Lediglich in der Einleitung bringt der Journalist einzelne Sachaussagen in diesem Sinne. Dies scheint nicht nur mit der Furcht vor juristischen Konsequenzen, sondern überhaupt mit der publizistischen Arbeitsweise von Wright zu tun zu haben. So nennt er etwa mehrere Namen von ehemaligen Scientology-Mitgliedern, die nach eigenen Aussagen durch den Leiter David Miscavige misshandelt worden seien (vgl. S. 497). Doch was bedeuten diese und andere Details und Vorkommnisse für ein Gesamtbild der Organisation. Leider geht Wright darauf noch nicht einmal in dem längeren Nachwort systematisch ein.
Armin Pfahl-Traughber
Lawrence Wright, Im Gefängnis des Glaubens. Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, München 2013 (Deutsche Verlags-Anstalt), 624 S., EUR 24,99.